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Artikel

SANDOW - Stationen einer Sucht

Info

Gesprächspartner: Sandow

Zeit: 27.09.2007

Interview: Face 2 Face

Stil: Rock

Keiner hätte mehr so richtig mit einer Reunion von Sandow gerechnet. Auch nicht, als Gerüchte aufkamen, dass Kai-Uwe Kohlschmidt die in diesem Sinn als Essenz seines Lebens zu sehende Band reformieren wollte. Müde, ewig nur auf "Born In The GDR" reduziert zu werden und seinem eigenen Teufel nicht Herr werdend war Sandow 1999 Geschichte. Vorerst. Mit Kiong - Gefährten der Liebe gibt es nun doch das neue Album, mit dem wir, um ehrlich zu sein, dann doch nicht gerechnet haben. Kiong, das sind erneut Metaphern, verpackt in Avant-Rock. Anfangs, mit "Karakul", präsentiert sich die Band noch relativ in Frieden mit sich selbst und der Welt, nur sollte man sich zu sehr darauf verlassen. Denn die Stille ist trügerisch, da Sandow in "Krieg" ihr ganz eigenes Schlachtfeld inszenieren. "Glauben Glauben Revolution!!!"..., und wir sind mittendrin. Die hirnlose Partygeneration steht hierbei genau so zur Diskussion wie die Gottesfrage und das wichtigste Ding auf der Welt: Liebe. Und das ist der Ansatzpunkt, der Aufschluss zu allen hier behandelten Themen gibt. Womit wir mittendrin sind. Im Gespräch mit Sandow-Frontmann Kai-Uwe Kohlschmidt.

MAS:
Euer plötzliches Comeback überrascht doch etwas. War die Zeit nach acht Jahren wieder reif für Sandow?

Kai-Uwe Kohlschmidt:
Das war ganz klar ein Suchtfall, da ich schon mächtig auf Entzug war. Denn dass man innerhalb eines solchen Ensembles Dinge umsetzen kann und Sachen entstehen wie bei keiner anderen Formation, das war schon klar. Somit war es einfach nur eine Frage der Zeit, dass es dazu kommen musste.

MAS:
Es sind ja fast alle Musiker von der Originalbesetzung mit dabei. Nur der Schlagzeuger Tilman Berg fehlt hier.

KUK:
Das war die einzige Stelle, bei der ich darüber nachgedacht habe, dass wir uns verändern und mit anderen Beats operieren müssen. Lars Neugebauer lernte ich bei einer anderen Band, den Velvets, kennen. Er ist ein unglaublich guter Schlagzeuger, mächtig groovy und tight und er spielt außerdem als Studiomusiker für internationale Popgrößen. Ich wollte an dieser Stelle unbedingt ausprobieren, ob er nicht auch für Sandow spielen könnte. Und so stand dem Wechsel eigentlich nichts mehr im Weg. Für mich war das ein unangenehmer Schritt, aber auch das muss manchmal sein.

MAS:
Was genau ist "Kiong"?

KUK:
Das ist ein Rätselwort, welches aus einem Schreibfehler heraus entstand. Ich habe natürlich ein Faible für Dinge, die Nichts und doch alles Mögliche bedeuten, was hier der Fall ist. Du kannst danach googeln, du findest hier nichts, in keiner Sprache. So wäre das auch eine super Automarke. Da wird ja auch immer nachgeforscht, ob die nicht eventuell auf Suaheli ‚Schweinescheiße' heißen und dann dort nicht zu verkaufen sind. Aber für mich speziell ist das ein Schlüsselwort, um etwas zu transportieren, was beispielsweise zwischen zwei Menschen passieren kann, die sich in Liebe, Hingabe, Leidenschaft, aber auch Hass verbunden sind. Die somit Gefährten auf einem langen Weg sind, die hin und wieder auch etwas trennt, aber die trotzdem immer zusammengehören.

MAS:
Wie auch auf dem Alben zuvor, aber ganz besonders auf "Kiong", ist wieder ganz viel von Liebe die Rede. Steckt eine besondere Intention dahinter?

KUK:
Das ist etwas, was an einen selbst herantritt und nichts, was man sich aussucht. Ich schreibe aus einem privaten Hintergrund aber ich schreibe nicht privat. Das ist ein Sammelsurium an Erfahrungshintergründen, die sich verdichten und deshalb ist diese Platte ja auch nicht linear zu sehen.

MAS:
Womit wir zum Thema kommen, da ja auch die Aggressivität auf dieser Platte ein wichtiges Kriterium ist. Vor allem in "Krieg" habe ich den Eindruck, dass ihr dem Krieg mit eurem ganz privaten Krieg begegnet.

KUK:
Ja, zum einen ist das eine vertonte Liste von manipulativen Ereignissen und Personen, bei denen ich der Meinung bin, dass wir hier im Sinne des Regierens durch Angst manipuliert werden sollten. Zum anderen bin ich mir dennoch im Klaren darüber, dass, was sich auch immer Krieg nennt, obwohl es sich anders maskiert, wie beispielsweise ein fingiertes Attentat, schon immer Bestandteil der menschlichen Sozialstruktur ist. Ob nun sich einander zu bekriegen, den Anderen zu bestehlen oder umzubringen, um selbst mehr zu erreichen, das alles gibt es seit Menschengedenken. Und was vor fünfhundert Jahren moralisch noch vollkommen in Ordnung war, muss heute eben unwahrscheinlich maskiert werden. Aus dieser Grausamkeit resultiert aber letztendlich auch der Vorsprung und der Wohlstand der westlichen Zivilisation. Und gerade das ist der Widerspruch, denn wenn wir das nicht getan hätten, hätte das sicherlich ein anderer getan. Das liegt daran, dass der Mensch an sich über das Raubtierstadium nur bedingt hinausgewachsen ist. Das alles hat mittlerweile zwar einen luxuriösen geistigen Überbau, aber tief in ihm ist er immer noch aufs Töten eingestellt.

MAS:
Was auch noch überaus interessant ist - auf der Homepage von Sandow gibt es ein recht ausführliches, weil ganze 43 Seiten langes Interview mit dir, was auch überaus ehrlich herüberkommt. Wie kam es, dass du deine Seele doch so offen gelegt hast?

KUK:
Der Ronald Klein, der Autor dieses Interviews, hat dieses über drei Nächte mit mir geführt. Er wurde eigentlich beauftragt, einen Text über mich für einen Fotoband von Sandow zu erstellen. Das Buch ist dann aus verschiedenen Gründen nicht erschienen, aber dieses Interview stand. Ich fand die Ergebnisse hierzu recht charmant, da es jenseits einer Strategie geführt wurde. Es wurde im Sinne des Schreibers, der aus diesen Informationen einen Text bauen sollte, geführt. Und da dieses Interview unglaublich viel über die Beschaffenheit dieses ganzen Sandow-Kosmos erzählt, habe ich ihn gefragt, ob wir dieses nicht in seiner ganzen Länge auf unsere Homepage stellen könnten. Man muss dabei bedenken, dass das Interview in einer Zeit geführt wurde, als es Sandow nicht gab, weswegen die Entwicklung meiner Person auch etwas selbstironischer und selbstkritischer geschildert wurde.

MAS:
Was ist mit "Born In The GDR", das in der letzten Zeit eures Bestehens eurerseits doch etwas abwertend behandelt wurde?

KUK:
Den gibt es wieder. Wir haben sogar eine neue Version, die wir dann auch live spielen. Die monumentale Erinnerung an die ganzen damaligen Ereignisse ist nun aber zurück geschmolzen, auf eine eher warme Umarmung. Für mich ist das eine andere Form der Verklärung und ein Spielball, den man nicht auslassen sollte. Wir haben überhaupt ältere Lieder wie "Rausch" und "Fatalia" auf ein neueres, moderneres Niveau gehoben. Diese sind nicht wie früher gespielt, wir wollten, dass sich das an das neue Material angleicht.

MAS:
Ich möchte aber einmal behaupten, dass es euch mit "Born In GDR" trotzdem absolut fern liegt, auf den manchmal doch oberpeinlichen Ostalgie-Verklärungszug von Bands, die wir an dieser Stelle nicht erwähnen wollen, aufzuspringen.

KUK:
Was die Verklärung betrifft, das liegt, um ehrlich zu sein, nicht in unsere Hand. Interessant ist, dass, was die DDR anbelangt, die Wahrnehmung zum größten Teil medial gesteuert ist. Alles, was einmal DDR war, verklumpt hier extrem. Und selbst wir sind Teil dieses Klumpens. Ob nun Stasi, FDJ oder Silly, alles ist eine Knete. Unter uns, die wir uns doch differenzierter daran erinnern, vielleicht nicht so, aber ich weiß, das wir, wenn uns Westmedien entgegentreten und in unsere Biographie schauen, auch aus dieser Knete kommen. Das alles ist inzwischen gestaltlos und amorph. Aber darauf haben wir natürlich überhaupt keinen Einfluss.

MAS:
Solistisch bist du nebenbei auch sehr rege. Was ist hier in der nächsten Zeit noch zu erwarten?

KUK:
Ich veröffentliche nächstes Jahr ein Hörspiel, dass ich für den Hessischen Rundfunk produziert habe und möchte damit auch auf Präsentation gehen. Und dann geht es weiter zu einer nächsten Hörspielexpedition nach Australien, auf den Spuren von Ludwig Leichart, einem deutschen Forscher aus dem 19. Jahrhundert, der bei den Aborigines verschwunden ist. Das heißt, er ist von der Traumwelt, die er und sein in nachfolgender Fortschritt unter den Stiefel genommen hat, verschluckt worden.

MAS:
"Am Grab es Lizzard (für C.W.)", ist ja dein ganz persönlicher Abschied von Chris Whitley. Ist die Parallele zum Lizardking Jim Morrison gewollt?

KUK:
Er hatte mit diesem Topos auch gespielt und auch eine starke Affinität zu Jim Morrison. Mich hat Chris auch sehr stark an Jim Morrison erinnert, nicht, dass sie jetzt miteinander zu vergleichen wären, Chris war ein eigener, autarker Künstler, aber die manische Attitüde des Poeten hat er ähnlich verkörpert und der Lizzard war für ihn ebenfalls ein wichtiges, magisches Wort.

Carsten Agthe


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