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Der Kapitän ist noch an Bord - Chuck Berry heizt der Zitadelle ein
Auf dem Weg zum Chuck Berry-Konzert bin ich zum Philosophen geworden. Ausgangspunkt war die Realisierung dessen, den ich da - kurz nach seinem 80. Geburtstag - auf der Bühne sehen sollte.
Chuck Berry ist nicht irgendwer. Mit „Sweet little Sixteen“, „Maybellene“, „Roll over Beethoven“, „ Johnny B. Goode” und und und hat er nicht nur den Rock’n’Roll mit erfunden. Er hat den Grundstein für all das gelegt, was wir heute Pop, Rock, Metal oder Punk nennen. Und der Mann lebt noch. Das macht nicht zuletzt deutlich, wie jung die Musik, die heute 80 oder 90 Prozent der Radiowellen füllt, letztlich noch ist.
Das jugendliche Grinsen, die lebhafte Kommunikation mit dem Publikum und die kraftvolle Beweglichkeit auf der Bühne ließen den großen alten Mann so jugendlich wirken, wie es alle diese Musiken immer wieder sein wollen. Die 20 Jahre jüngeren Steely Dan, die genau eine Woche früher auf der Bühne in der Zitadelle gestanden hatten, wirkten im direkten Vergleich noch einmal doppelt so alt, wie sie es schon für sich getan hatten.
Mit seinem Legendenstatus und einem Alter, das jeden kleineren und mittelgroßen Ausfall entschuldigt hätte, hatte Berry im Prinzip schon von vorne herein gewonnen, als er Viertel vor Neun die Bühne betrat und mit lautem Applaus gefeiert wurde. Diesen Startvorteil hat der schlaksige Senior mit Glitzerhemd und Kapitänsmütze aber nicht im Ansatz gebraucht. Er gab dem Publikum Zuckerwürfel im Dutzend.
All die Stücke, die andere Acts benutzen, um den Stimmungspegel zu heben wenn das eigene Material mal nicht zündet, gehören bei Berry zum eigenen Standardprogramm: „Memphis, Tennesse“ „Reelin’ & Rockin’“, „Oh, Carol“ - die Augen der mehr oder weniger rüstigen (Früh)-Rentner im Publikum glänzten selig. Und es blieb der Phantasie des Betrachters überlassen zu vermuten, welche Erinnerungen an Teenagerträume da wohl wieder wach wurden.
Allerdings - um noch einmal einen Vergleich zu der anderen Senioren-Veranstaltung eine Woche zuvor zu ziehen: Berry war es wesentlich besser gelungen als den Herren Fagen und Becker, die Generationen unter 35 in den Hof der Renaissance-Festung zu ziehen.
Und - wieder ein Unterschied zur Vorwoche - Berry konnte und wollte mit dem Publikum kommunizieren und er war für die eine oder andere Überraschung gut.
Lag es am Alter des Publikums oder an der bestuhlten Atmosphäre? Nur wenige Gestalten taten das, was zum Rock’n’Roll eigentlich untrennbar dazu gehört. Sie bewegten sich im Rhythmus der Musik. Sie tanzten - zwischen Stuhlreihen und Absperrung.
Und sie fanden Gnade in den Augen des Herrn. „These six People that are dancing - come on Stage!“ lud Berry die mutigen Tänzer ein. ”I wanna have some Girls on Stage!” sprühte der Junggebliebene lebensfroh in die Menge. Wirkliche Rock’n’Roll-Überschläge gab es zwar nicht zu sehen. Aber nach Ende des nächsten Stückes verließen die Geehrten den Meister mit Handschlag und Küsschen um wieder in die Welt des gemeinen Konzertbesuchers zurückzukehren.
Nachdem „Oh Carol“ verklungen war, holte Berry eine junge Dame auf die Bühne. „Sie war ein Jahr alt, als ich das Lied vor 29 Jahren (1958; NvF) für sie geschrieben habe,“ verrechnete sich der Charmeur alter Schule galant. Später wurden auch noch ihre französischen Eltern, die die Show von den Bühnenseiten aus genossen, ins Spotlight genötigt.
Und noch zwei Personen wurden der Anonymität entzogen. Die junge Dame, die Berry bei einigen Songs unterstützte, und der Gitarrist trugen beiden den Namen Berry. Denn Ingrid und Charles dürfen die Musiklegende vertraulich „Daddy“ nennen.
Nach etwa 50 Minuten gab sich der Held unsicher und verwirrt. „Habe ich eigentlich schon `Johnny B. Goode´ gespielt?“, rief er ins Publikum. „Wirklich nicht?“ quittierte er die verneinende Antwort. Natürlich folgte dann eine ausgedehnte Version des Klassikers. Bereits zuvor hatte sich Berry nach den Wünschen des Publikums erkundigt. „Sollen wir weiter spielen?“ (Ja!) „Sollen wir gehen?“ (Nein!) „Sollen wir die ganze Nacht durch spielen?“ (Ja!) Das Publikum reagierte natürlich programmgemäß.
Aus einer durchspielten Nacht wurde allerdings nichts. Nach „Johnny B. Goode“ ging Berry nach einer guten Stunde Spielzeit von der Bühne ohne zurückzukehren. Trotz kochender Stimmung vor der Bühne gab es keine Zugabe.
In vielen anderen Fällen wäre das Publikum jetzt wütend geworden. Bei Berry herrschte eher Verwirrung und Ungläubigkeit. Diese grußlose Verabschiedung passte ganz einfach nicht zu dem voraus gegangenen Konzert. Wohl niemand war Berry wirklich böse, aber das Ende verursachte einen Bruch im Erleben eines tollen Konzertes.
Zwei Anmerkungen seien noch gemacht:
Zum einen ein Lob an die Security in der Zitadelle (und das gilt nicht nur für dieses Konzert). Immer freundlich und immer deutlich; d.h. es wurde weder überzogen, noch die ordnende Aufgabe vernachlässigt. Und es wurde mit Fingerspitzengefühl agiert. Als die Begeisterung gegen Ende des Berry-Konzertes zu kochen begann, wurde der Bereich direkt vor der Bühne, der bislang als Sichtschneise für die Inhaber der (teuren) erste Reihe Tickets offen gehalten wurde, frei gegeben, so dass hier getobt, getanzt, gefeiert werden konnte. Ich habe es selten erlebt, dass eine Security so souverän auf die Dynamik eines Konzerts reagiert hat.
Zum anderen gab es da ja noch Vorgruppen. Dass ich die beiden Berliner Opener nicht erlebt habe, hat nichts mit meinem relativ späten Erscheinen eine Viertelstunde nach offiziellem Konzertbeginn zu tun. Denn da war bereits Band Nummer drei (und Legende Nummer eins) auf der Bühne. King Size Taylor hat bereits in den sechziger Jahren das Vorprogramm für Berry gestaltet. Entsprechend nahe am Hauptprogramm war das unter anderem mit Fats Domino-Nummern gespickte Programm der sechsköpfigen Rock’n’Roll-Truppe.
Einen Stimmungswechsel brachte dann Little Willie Littlefield. Der Boogie-Pianist, der heute in den Niederlanden lebt, spielte häufiger die Blues-Karte, unter anderem mit dem Klassiker „Sweet home Chicago“.
Info
Künstler: Chuck Berry
Zeit: 22.07.2007
Ort: Zitadelle, Spandau
Fotograf: Norbert von Fransecky
Zeit: 22.07.2007
Ort: Zitadelle, Spandau
Fotograf: Norbert von Fransecky
Auf dem Weg zum Chuck Berry-Konzert bin ich zum Philosophen geworden. Ausgangspunkt war die Realisierung dessen, den ich da - kurz nach seinem 80. Geburtstag - auf der Bühne sehen sollte.
Chuck Berry ist nicht irgendwer. Mit „Sweet little Sixteen“, „Maybellene“, „Roll over Beethoven“, „ Johnny B. Goode” und und und hat er nicht nur den Rock’n’Roll mit erfunden. Er hat den Grundstein für all das gelegt, was wir heute Pop, Rock, Metal oder Punk nennen. Und der Mann lebt noch. Das macht nicht zuletzt deutlich, wie jung die Musik, die heute 80 oder 90 Prozent der Radiowellen füllt, letztlich noch ist.
Das jugendliche Grinsen, die lebhafte Kommunikation mit dem Publikum und die kraftvolle Beweglichkeit auf der Bühne ließen den großen alten Mann so jugendlich wirken, wie es alle diese Musiken immer wieder sein wollen. Die 20 Jahre jüngeren Steely Dan, die genau eine Woche früher auf der Bühne in der Zitadelle gestanden hatten, wirkten im direkten Vergleich noch einmal doppelt so alt, wie sie es schon für sich getan hatten.
Mit seinem Legendenstatus und einem Alter, das jeden kleineren und mittelgroßen Ausfall entschuldigt hätte, hatte Berry im Prinzip schon von vorne herein gewonnen, als er Viertel vor Neun die Bühne betrat und mit lautem Applaus gefeiert wurde. Diesen Startvorteil hat der schlaksige Senior mit Glitzerhemd und Kapitänsmütze aber nicht im Ansatz gebraucht. Er gab dem Publikum Zuckerwürfel im Dutzend.
All die Stücke, die andere Acts benutzen, um den Stimmungspegel zu heben wenn das eigene Material mal nicht zündet, gehören bei Berry zum eigenen Standardprogramm: „Memphis, Tennesse“ „Reelin’ & Rockin’“, „Oh, Carol“ - die Augen der mehr oder weniger rüstigen (Früh)-Rentner im Publikum glänzten selig. Und es blieb der Phantasie des Betrachters überlassen zu vermuten, welche Erinnerungen an Teenagerträume da wohl wieder wach wurden.
Allerdings - um noch einmal einen Vergleich zu der anderen Senioren-Veranstaltung eine Woche zuvor zu ziehen: Berry war es wesentlich besser gelungen als den Herren Fagen und Becker, die Generationen unter 35 in den Hof der Renaissance-Festung zu ziehen.
Und - wieder ein Unterschied zur Vorwoche - Berry konnte und wollte mit dem Publikum kommunizieren und er war für die eine oder andere Überraschung gut.
Lag es am Alter des Publikums oder an der bestuhlten Atmosphäre? Nur wenige Gestalten taten das, was zum Rock’n’Roll eigentlich untrennbar dazu gehört. Sie bewegten sich im Rhythmus der Musik. Sie tanzten - zwischen Stuhlreihen und Absperrung.
Und sie fanden Gnade in den Augen des Herrn. „These six People that are dancing - come on Stage!“ lud Berry die mutigen Tänzer ein. ”I wanna have some Girls on Stage!” sprühte der Junggebliebene lebensfroh in die Menge. Wirkliche Rock’n’Roll-Überschläge gab es zwar nicht zu sehen. Aber nach Ende des nächsten Stückes verließen die Geehrten den Meister mit Handschlag und Küsschen um wieder in die Welt des gemeinen Konzertbesuchers zurückzukehren.
Nachdem „Oh Carol“ verklungen war, holte Berry eine junge Dame auf die Bühne. „Sie war ein Jahr alt, als ich das Lied vor 29 Jahren (1958; NvF) für sie geschrieben habe,“ verrechnete sich der Charmeur alter Schule galant. Später wurden auch noch ihre französischen Eltern, die die Show von den Bühnenseiten aus genossen, ins Spotlight genötigt.
Und noch zwei Personen wurden der Anonymität entzogen. Die junge Dame, die Berry bei einigen Songs unterstützte, und der Gitarrist trugen beiden den Namen Berry. Denn Ingrid und Charles dürfen die Musiklegende vertraulich „Daddy“ nennen.
Nach etwa 50 Minuten gab sich der Held unsicher und verwirrt. „Habe ich eigentlich schon `Johnny B. Goode´ gespielt?“, rief er ins Publikum. „Wirklich nicht?“ quittierte er die verneinende Antwort. Natürlich folgte dann eine ausgedehnte Version des Klassikers. Bereits zuvor hatte sich Berry nach den Wünschen des Publikums erkundigt. „Sollen wir weiter spielen?“ (Ja!) „Sollen wir gehen?“ (Nein!) „Sollen wir die ganze Nacht durch spielen?“ (Ja!) Das Publikum reagierte natürlich programmgemäß.
Aus einer durchspielten Nacht wurde allerdings nichts. Nach „Johnny B. Goode“ ging Berry nach einer guten Stunde Spielzeit von der Bühne ohne zurückzukehren. Trotz kochender Stimmung vor der Bühne gab es keine Zugabe.
In vielen anderen Fällen wäre das Publikum jetzt wütend geworden. Bei Berry herrschte eher Verwirrung und Ungläubigkeit. Diese grußlose Verabschiedung passte ganz einfach nicht zu dem voraus gegangenen Konzert. Wohl niemand war Berry wirklich böse, aber das Ende verursachte einen Bruch im Erleben eines tollen Konzertes.
King Size Talor |
Zwei Anmerkungen seien noch gemacht:
Zum einen ein Lob an die Security in der Zitadelle (und das gilt nicht nur für dieses Konzert). Immer freundlich und immer deutlich; d.h. es wurde weder überzogen, noch die ordnende Aufgabe vernachlässigt. Und es wurde mit Fingerspitzengefühl agiert. Als die Begeisterung gegen Ende des Berry-Konzertes zu kochen begann, wurde der Bereich direkt vor der Bühne, der bislang als Sichtschneise für die Inhaber der (teuren) erste Reihe Tickets offen gehalten wurde, frei gegeben, so dass hier getobt, getanzt, gefeiert werden konnte. Ich habe es selten erlebt, dass eine Security so souverän auf die Dynamik eines Konzerts reagiert hat.
Little Willie Littlefield |
Zum anderen gab es da ja noch Vorgruppen. Dass ich die beiden Berliner Opener nicht erlebt habe, hat nichts mit meinem relativ späten Erscheinen eine Viertelstunde nach offiziellem Konzertbeginn zu tun. Denn da war bereits Band Nummer drei (und Legende Nummer eins) auf der Bühne. King Size Taylor hat bereits in den sechziger Jahren das Vorprogramm für Berry gestaltet. Entsprechend nahe am Hauptprogramm war das unter anderem mit Fats Domino-Nummern gespickte Programm der sechsköpfigen Rock’n’Roll-Truppe.
Einen Stimmungswechsel brachte dann Little Willie Littlefield. Der Boogie-Pianist, der heute in den Niederlanden lebt, spielte häufiger die Blues-Karte, unter anderem mit dem Klassiker „Sweet home Chicago“.
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