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CRISTIN CLAAS: Ein Rohdiamant - doppelt gefasst
Nun gehen also im Maschinenhaus die Lichter aus. Gut 80 Besucher haben zum Großteil Sitzplätze auf den rückwändigen Stufen gefunden. Der Raum ist gut genug gefüllt, um nicht leer zu wirken. Die Showcases in Hamburg, München und Berlin sind wohl nicht zuletzt zur Medieninformation angesetzt worden. Dennoch: Gut die Hälfte der Anwesenden ist zahlende Kundschaft, freut sich Cristin Claas’ online-Promoter Kai Manke. In Leipzig sah das ganz anders aus. Die Moritzbastei war voll, als die drei Ostdeutschen dort aufgetreten sind. Berlin sei generell schwierig, verrät Manke nichts Neues. Und die Musik von Cristin Claas sei etwas, das sich rum sprechen müsse. Zustimmung! Für das, was in den kommenden anderthalb Stunden abgeht, gibt es keine definierte Zielgruppe. Mangels Vergleichbarem kann man auch nur schwer davon erzählen.
Claas beginnt sehr verhalten, introvertiert, fast scheu, haucht Worte ins Mikrofon, senkt dabei den Blick, dass ihre Augen nahezu vollständig hinter dem schräg geschnittenen blonden Pony verschwinden. Christoph Reuter und Stephan Bormann tun es ihr gleich. Wie auf Zehnspitzen lassen sie ihre Töne in den Raum hinaus, als seien sie zerbrechlich, filigrane Akkorde mit Glasknochen.
Beim zweiten Stück ändert sich das erst einmal. Mit „I’m waiting“ spielt Claas den Trumpf ihres brandneuen Albums In the Shadow of your Words aus - zumindest das eingängigste, fröhlichste Stück des Albums, das eigentlich eine Single-Auskoppelung verdient hätte. Die Musik ist - kurzfristig - lebendiger geworden, fällt aber schnell wieder in das Verhaltene des Openers zurück. Es dauert eine Zeit bis sich das wirklich ändert. Und ganz verschwinden tut diese Attitüde nie. Sie gehört zu Cristin Claas dazu. (So kommt man im Laufe des Konzertes auch immer wieder einmal in den Genuss des Bass-Grooves der Skatalites, die eine Etage tiefer im Kesselhaus ihre neue CD präsentieren.)
Aber es geht auch anders. Zu „Mother Tongue“ klemmt sich Christoph Reuter eine silberne türkische Trommel zwischen die Knie. „Die hat er in Istanbul gekauft. Und die sieht auf der Bühne doch toll aus. Da mussten wir sie einfach auch gebrauchen“, schmunzelt Cristin. Reuter trommelt. Stephan Bormann bearbeitet seine basslastig ausgesteuerte Akustikgitarre so, dass man gelegentlich glaubt, ein Schlagzeug zu hören. Und Claas schraubt ihre Stimme tief, gibt ihr ein Volumen, dass man der zarten, verhaltene Dame niemals zugetraut hat. Die Band legt jetzt eine Power vor, die sich mit jeder Rockband messen kann.
Somit sind die Karten auf dem Tisch und das Trio braucht sich keinerlei Beschränkungen mehr aufzuerlegen. Wir machen, was wir wollen, laut und leise, Volkslied (Goethes “Sah ein Knab ein Röslein steh’n“ wurde als drittes Stück zum Besten gegeben), Folk, Jazz, was wir wollen, was wir können - und das ist einiges.
Wer allerdings glaubt, dass das Pulver an Überraschungen bereits verschossen ist, soll sich getäuscht haben. Christoph Reuters Ansage des Liedes von den zwei Hasen klingt noch lediglich etwas skurril verschmitzt. Ein komischer Kauz der Keyboarder. Weit unterschätzt. Im Verlauf des Abends entwickelt er die Qualitäten eines Musikclowns. Die sind bekanntlich in der Regel ausgezeichnete Musiker. Sein schlaksiger, etwas gebeugter Körperbau passt hervorragend dazu. Als er sich beim „Regenlied“, mit dem der erste Set abgeschlossen wird, als eine Art Ganzkörperpercussion benutzt, fällt auch die Kategorie E-Musik, die man eventuell noch zu bemühen bereit gewesen wäre, krachend in sich zusammen.
Mir würde auch kein „ernstes“ Ensemble einfallen, in dem die Sängerin die CD-Werbung schlicht zur gerade laufenden Musik singt.
Dramaturgisch macht die Band alles richtig. Verschmitzte Ansagen, wie die zum Hasenlied, lassen das Eis brechen, das fremde Publikum und die Band kommen sich näher, so dass dem Mitsingspiel, das Cristin gleich nach der Pause anleitet, keine Spur von unpassender Peinlichkeit anhaftet. Die Band stülpt dem Publikum nichts über, sondern nutzt eine Nähe, die sie sich erarbeitet hat. Stimmig!
So gelingt es den drei Musikern einen wundervollen Abend voller Poesie, Humor bis zur unpeinlichen Albernheit, Power und emotionaler Nachdenklichkeit zu gestalten. Dabei steht keiner der drei alleine im Zentrum. Cristin ist als Sängerin natürlicher Mittelpunkt und Blickfang, eine Rolle, die sie engagiert ausfüllt. Mit ihrer extrem variablen Stimme fesselt und überrascht sie zudem immer wieder. Christoph Reuter ist für’s Entertainment zuständig. Klassenclown und Konzertmeister in einem. Auf seinen Instrumenten ist er ebenso variabel wie Cristin mit ihrer Stimme. Dazu braucht er nicht einmal seine Schlauchmelodika Veronika auspacken. Stephan Bormann erregt mit seinen vier im Halbkreis aufgebauten Gitarren bereits Aufsehen, bevor er die Bühne betritt. Als einziger hat er kein Mikrofon vor sich stehen. Aber Gitarrensoli verkauften sich auf der Bühne immer schon besser, als Tastenzaubereien. Man sieht einfach mehr davon.
Info
Künstler: Cristin Claas
Zeit: 02.07.2007
Ort: Berlin, Maschinenhaus in der Kulturbrauerei
Besucher: Ca. 80
Fotograf: Norbert von Fransecky
Internet:
http://www.cristinclaas.de
Zeit: 02.07.2007
Ort: Berlin, Maschinenhaus in der Kulturbrauerei
Besucher: Ca. 80
Fotograf: Norbert von Fransecky
Internet:
http://www.cristinclaas.de
Cristin Claas? Nie gehört! Aber drei Wochen als Strohwitwer - das gehört ausgenutzt und für Neues ist man immer offen. Also das Angebot der Promotionfirma angenommen.
Die erste Überraschung erlebte ich als die dazugehörige CD ankam (Review in dieser Ausgabe). Sony classical? Von was Klassischem hatte ich in der Ankündigung gar nichts gelesen. Die Überraschung verwandelte sich in Verwirrung als das Album im Player lag. Von mir aus Sony classical; die Scheibe kann auf jedem und keinem Label erscheinen. Die passt eigentlich nirgendwo hin. Folk, Jazz, Deutsches Volkslied, Klassik, Songwriter - alles möglich. Vielleicht würde ein Prog-Label wie InsideOut oder QuiXote passen.
Besetzung | |
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Claas beginnt sehr verhalten, introvertiert, fast scheu, haucht Worte ins Mikrofon, senkt dabei den Blick, dass ihre Augen nahezu vollständig hinter dem schräg geschnittenen blonden Pony verschwinden. Christoph Reuter und Stephan Bormann tun es ihr gleich. Wie auf Zehnspitzen lassen sie ihre Töne in den Raum hinaus, als seien sie zerbrechlich, filigrane Akkorde mit Glasknochen.
Beim zweiten Stück ändert sich das erst einmal. Mit „I’m waiting“ spielt Claas den Trumpf ihres brandneuen Albums In the Shadow of your Words aus - zumindest das eingängigste, fröhlichste Stück des Albums, das eigentlich eine Single-Auskoppelung verdient hätte. Die Musik ist - kurzfristig - lebendiger geworden, fällt aber schnell wieder in das Verhaltene des Openers zurück. Es dauert eine Zeit bis sich das wirklich ändert. Und ganz verschwinden tut diese Attitüde nie. Sie gehört zu Cristin Claas dazu. (So kommt man im Laufe des Konzertes auch immer wieder einmal in den Genuss des Bass-Grooves der Skatalites, die eine Etage tiefer im Kesselhaus ihre neue CD präsentieren.)
Discographie | |
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Somit sind die Karten auf dem Tisch und das Trio braucht sich keinerlei Beschränkungen mehr aufzuerlegen. Wir machen, was wir wollen, laut und leise, Volkslied (Goethes “Sah ein Knab ein Röslein steh’n“ wurde als drittes Stück zum Besten gegeben), Folk, Jazz, was wir wollen, was wir können - und das ist einiges.
Wer allerdings glaubt, dass das Pulver an Überraschungen bereits verschossen ist, soll sich getäuscht haben. Christoph Reuters Ansage des Liedes von den zwei Hasen klingt noch lediglich etwas skurril verschmitzt. Ein komischer Kauz der Keyboarder. Weit unterschätzt. Im Verlauf des Abends entwickelt er die Qualitäten eines Musikclowns. Die sind bekanntlich in der Regel ausgezeichnete Musiker. Sein schlaksiger, etwas gebeugter Körperbau passt hervorragend dazu. Als er sich beim „Regenlied“, mit dem der erste Set abgeschlossen wird, als eine Art Ganzkörperpercussion benutzt, fällt auch die Kategorie E-Musik, die man eventuell noch zu bemühen bereit gewesen wäre, krachend in sich zusammen.
Mir würde auch kein „ernstes“ Ensemble einfallen, in dem die Sängerin die CD-Werbung schlicht zur gerade laufenden Musik singt.
Dramaturgisch macht die Band alles richtig. Verschmitzte Ansagen, wie die zum Hasenlied, lassen das Eis brechen, das fremde Publikum und die Band kommen sich näher, so dass dem Mitsingspiel, das Cristin gleich nach der Pause anleitet, keine Spur von unpassender Peinlichkeit anhaftet. Die Band stülpt dem Publikum nichts über, sondern nutzt eine Nähe, die sie sich erarbeitet hat. Stimmig!
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