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Artikel

30 Jahre kölsche Leeder - Die Geschichte von BAP scheibenweise (Folge 5: Die zwangsläufige Ent-täuschung)

BAP

Zwesche Salzjebäck un Bier


Info
Musikrichtung:Deutsch Rock

VÖ: 25.08.2006 (1984)

(Capitol / EMI)

Gesamtspielzeit: 73:18

Internet:

http://www.BAP.de


Die neuen BAP ent-täuschen ihre Fans

Es hat etwas gestockt, aber endlich ist die zweite Marge der BAP-Remasters am Start. Mit ihr werden die Jahre 1984-1990 abdeckt. Die Grenze zwischen den beiden ersten Remaster-Paketen ist gut gesetzt. Die Band, die von nun an Schallplatten veröffentlicht, ist eine andere als die unbedarften naiven BAP, von denen Niedecken auf den Bonus-CDs der ersten vier Alben berichtet hat. Ab jetzt tritt eine Band an, die bereits fast alles erreicht hat, was man in Deutschland erreichen kann, deren Konzerte fast mit Sicherheit ausverkauft sind. Und die mit einem entsprechenden Selbstbewusstsein an den Start geht.

Wer 1984 Zwesche Salzjebäck un Bier in die Hand nahm, konnte das bereits erkennen bevor er die LP überhaupt aufklappte. Das mit professioneller ästhetik fotografierte Hochglanzcover, auf dem die Salzstangen in Prägedruck hervorgehoben wurden, vermittelte eine ganz andere Atmosphäre, als die handgemachten Vorbilder. Und auch bei der Musik spielten die Faktoren Produktion und Arrangement eine deutlich größere Rolle als bislang.

Abgehoben hatten BAP dennoch nicht und Niedecken bemühte sich weiter mit seinen bereits traditionellen “warmen Worten“ die Hörer in die private Nähe des Songschreibers hinein zu nehmen. Ich habe Zwesche Salzjebäck un Bier geliebt und die dazugehörige Tour in der Halle Münsterland miterlebt, aber so warm wie mit den drei Vorgängern bin ich mit diesem Album nie geworden. Es war eindeutig etwas zu Ende, unvermeidbar wohl. Unschuldige Naivität kann von ihrem Wesen her keine Ewigkeit dauern. Und es war eben diese Naivität, die BAP und ihre Fans zu einer Einheit zusammengeschweißt hatte, zwischen die kein Blatt Papier passte.
Aber nun waren BAP keine Kids von der Straße mehr, sondern VIPs weit über den Bereich der Rock- und Pop-Szene hinaus.

Dabei haben sich BAP viel mehr Authentizität erhalten, als die Konkurrenz. Wer kann eine tote Hose wirklich ernst nehmen, die mit 40 noch pubertiert? Und der Mann mit dem Hut wurde zur tragischen Gestalt, die scheinbar kaum mehr zwischen der Realität und der selbst gezeichneten Kunstfigur unterscheiden kann.

BAP beginnen ihre Fans zu enttäuschen. Aber ent-täuschen heißt im Wortsinn eine Täuschung zu beseitigen. Und wer geglaubt hat, die erfolgreichste deutsche Rockband könne Erfolg, Erfahrungen, erwachsener werden, Familiengründungen und vieles andere ohne Veränderungen an Herz, Hirn und Verstand durchleben, der hat sich getäuscht und dem stand Ent-täuschung bevor gerade weil BAP sich bemüht haben, in gewisser Hinsicht die Alten zu bleiben.

Wolfgang Niedecken und Co. sind ehrliche Häute geblieben - und weil sie ehrlich sind, sind sie anders geworden. Weil sie lebendig und neugierig waren und geblieben sind (Das war eine der Grundvoraussetzungen für ihre lebensnahen Texte.), haben sie neue Erfahrungen gemacht und diese Erfahrungen haben auch ihre Musik verändert. Dass Zwesche Salzjebäck un Bier also anders ist, als die Alben zuvor, sollte niemanden überraschen. Es war bei dieser Band nur ein Frage der Zeit.

Die Remaster-Edition

Bevor wir einen Blick auf die Original-CD von 1984 werfen, wollen wir kurz auf die Remaster-Edition eingehen. Und die ist nun - im Vergleich mit den Vorgängern - tatsächlich eine Enttäuschung und zwar in dreierlei Hinsicht. Zum einen ist die Bonus-CD mit knapp 27 Minuten arg kurz ausgefallen und auch die Qualität ist fragwürdig.

Wirklich lohnend ist eigentlich nur die Single “Nackt im Wand“, die 1985 von der so genannten Band für Afrika eingespielt wurde. Im Zuge von Bob Geldofs gigantischem Live Aid-Spektakel fanden sich weltweit populäre Künstler zusammen, um Schallplatten aufzunehmen, mit denen auf das Elend in der dritten Welt hingewiesen und gleichzeitig Geld für Hilfsprojekte gesammelt werden sollte. (Mir sind neben der Band für Afrika Projekte aus den USA, Kanada, Großbritannien, österreich, sowie das von Ronnie James Dio initiierte Heavy Metal Aid-Projekt bekannt.) In der Band für Afrika waren unter anderem Heinz Rudolf Kunze, Udo Lindenberg, Nena, Ulla Meinecke, Herbert Grönemeyer, Peter Maffay, Wolfgang Niedecken, Gitte, Hans Hartz und Klaus Lage aktiv.

Die Akustik-Version von Niedecken solo ist mau. Die “Sendeschluss“-Aufnahme mit Orchester gibt dem Studio-Original nichts Neues dazu. Die beiden anderen Live-Songs sind absolute Live-Standards, die der Fan in der einen oder anderen Version sowieso im Regal hat. Da ändert auch das schöne und recht ausführliche Gitarren-Solo bei “3 Wünsch frei“ wenig. Das hört sich alles okay an, aber wirkliche Bonbons sind nicht in der Schachtel.

Noch ärgerlicher ist aber, dass jede inhaltliche Begleitung des Werdeganges von BAP eingestellt wurde. Es gibt keine Fortsetzung des Laufenberg-Interviews. Und das Booklet enthält lediglich die Original-„Warmen Worte“ von Niedecken.
Böse Zungen könnten in einer Zuspitzung meiner Einleitung behaupten, der interessante Teil der Geschichte BAPs ist mit Von drinne noh drusse beendet. Jetzt lehnen sich die Rocker zurück und ernten mit Routine und Wiederholungen, was sie gesät haben. Mit dem Ende der Kommentierung ihrer Remaster-Edition leistet die EMI dieser - falschen - Einschätzung leider massiv Vorschub.

BAP 1984 - Zwesche Salzjebäck un Bier

BAP zeigen sich auf diesem fünften Album (mit Neu-Drummer Jan Dix) von zwei Seiten. Da ist auf der einen Seite der mitfühlende Beobachter, der seine Umwelt liebevoll, aber dennoch schonungslos porträtiert, wie wir ihn von “Jupp“ oder der “Ruut-wieß-blau querjestrieften Frau“ kennen. Ihn finden wir in “Jojo“, der Beschreibung einer alten, vom Leben verbitterten Frau wieder, oder auch bei “Diss Naach ess alles drinn“. Ein schwer melancholischer Einstieg beschreibt mit verhallender Trompete die hoffnungslose Langeweile eines arbeitslosen Lebens. Dann plötzlich startet der aufgemotzte Escort und ein treibender Rocker, eine der packenden BAP-Live-Nummern, jagt den ganzen Frust durch den Auspuff in den nächtlichen Himmel über Köln während die Reifen das Gummi qualmen lassen. Super! Das sind ganz authentisch die alten BAP!

Oder gab es da nicht noch ältere? Immerhin war nicht nur Niedecken selber abgebrochener Kunst-Student. Und daran erinnern die BAP-LPs ab jetzt immer mehr - nicht nur mit dem Cover. Gleich der Opener “Bahnhofskino“ fordert den Hörer mit stark verdichteter Sprache. Viel abstrakter, viel symbolischer als bisher greift Niedecken auf Textmerkmale des ersten Albums zurück - nun aber wesentlich ausgereifter und ernsthafter. “Bahnhofskino“ zeichnet in knapp sieben Minuten die klaustrophobische Atmosphäre der Weltuntergangsszenarien, die in den 80ern allgegenwärtig waren. Kein Wunder. Die Labilität des atomaren „Gleichgewichts des Schreckens“ war bei jedem politisch wachen Menschen im Detail präsent. Auch die umfangreiche Studie „Gloabl 2000“ und die Berichte des „Club of Rome“ wurden in Gemeinden, auf Schulhöfen und in Bürgerinitiativen diskutiert und gelesen(!). Mittlerweile scheint sich die Menschheit daran gewöhnt zu haben, ständig am Rande des Abgrunds zu leben. Vor 25 Jahren steckte der Schock dieser Erkenntnis noch tief im öffentlichen Bewusstsein. BAP spiegeln diese Situation. Auch im folgenden “3 Wünsch frei“, einem Antikriegslied in der “Vorkriegszeit vom Weltkrieg Nummer drei“.

Zwei Nummern machen die Weiterentwicklung von Band und Musikern deutlich. “Schloof Jung, schloof joot“, ein Gute-Nacht-Lied für Kinder, erinnert daran, dass hier keine kiffenden Zivis mehr auf Tour sind, sondern mittlerweile Familienväter.
“Sendeschluss“ berichtet von einem Mädchen, dem zu hause die Decke auf den Kopf fällt, die es nicht mehr aushält und einfach abhaut. Nichts Neues soweit, das kennen wir auch von den Beatles und ihrem “She’s leaving home“. Obwohl die Fähigkeit von Niedecken, die für eine lebensoffene Jugendliche unerträgliche Spießigkeit ihrer Eltern zu beschreiben, den Beatles-Song weit in den Schatten stellt.
Die Bedeutung BAPs für viele Fans wird aber im Folgenden deutlich. Das Mädchen trampt der Band nach. Dort erhofft sie sich ein Zuhause, im Tross der Band auf Tour, an der Seite der Menschen, die sie aus ihren Liedern zu kennen meint; die für sie mehr zu Freunden geworden sind, als die Menschen, die neben und mit ihr gelebt haben. Aber auch die Band hat keinen Platz für sie.
Das Lied beruht auf einem realen Brief, in dem ein Mädchen ihre Fassungslosigkeit und Enttäuschung über die Ablehnung („Auch bei euch kein Platz mehr frei“) mitteilt.
Niedecken stellt sich mit diesem Lied sehr einfühlsam und nachdenklich der Verantwortung eines Musikers, für das was er bei seinen Hörern auslöst, ohne zu kokettieren - und kreiert gleichzeitig eines der tiefgründigsten Stücke der Bandgeschichte.

Ein kleines Stück deutsch-deutscher Geschichte ist “Deshalv spill' mer he“, ein Vorgriff auf eine geplante DDR-Tour von BAP, die wiederum genau wegen dieses Liedes nicht stattfinden sollte. BAP waren schlicht nicht bereit auf die Textzeile “Ne SS 20 zu ’nem Traktor und ne Pershing zu ’ner Lok“. Das war den DDR-Behörden wohl zu ausgewogen. Denn die amerikanischen Pershing 2-Raketen waren natürlich viel bedrohlicher als die den Frieden schützenden russischen SS 20-Projektile.
Vor allem aber zitierten BAP damit das Motto der staatskritischen DDR-Friedensbewegung „Schwerter zu Pflugscharen“, das aus dem Propheten Micha im alten Testament stammt.

Kommen wir zur Bewertung. Kein Zweifel, es muss einen Abstand zum Vorgänger-Album geben. Nochmal gibt es also keine 20 Punkte. Sehr empfehlenswert bleibt die Scheibe für alle, die sie noch nicht haben. Eine Neuanschaffung ist aufgrund der Defizite bei der Bonus-CD allerdings eher nicht zu empfehlen. Darum 17 statt 18.



Norbert von Fransecky



Trackliste
1 Bahnhofskino (6:45)
2 Drei Wünsch frei (5:22)
3 Diss Naach ess alles drinn (5:28)
4 Sendeschluss (5:47)
5 Alexandra, nit nur do (5:47)
6 Jojo (4:51)
7 Zofall un e janz klei' bessje Glück (3:46)
8 Deshalv spill' mer he (5:04)
9 Schloof Jung, schloof joot (3:13)

Bonus-CD
1 Nackt im Wind (Niedecken solo, 1985) (2:35)
2 Nackt im Wind (Single der Band für Afrika, 1985) (5:12)
3 Drei Wünsch frei (Live, Köln, 1988) (6:19)
4 Sendeschluss (Live mit Streichorchester, Bei Bio, 1984) (6:19)
5 Alexandra, nit nur do (Live, Köln, 1988) (6:29)
Besetzung

Manfred Boecker (Perc)
Steve Borg (B)
Alexander Büchel (Keys)
Jan Dix (Dr)
Klaus Heuser (Git)
Wolfgang Niedecken (Voc, Git)


Norbert von Fransecky


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