BAP
vun drinne noh drusse
| | Info | Musikrichtung:Deutsch Rock
VÖ: 24.03.2006 (1982)
(EMI)
Gesamtspielzeit: 83:59
Internet:
http://www.bap.de |
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vun drinne noh drusse ist anders als "für uzzeschnigge". Ob sie besser ist? Das ist Geschmacksache. Mit Sicherheit gehören beide Alben in die höchsten Etagen des deutschen Rock-Olymps.
BAP sind erwachsener geworden. Sie sind politischer geworden. Sie sind überlegter geworden. Der sympathische spontane Dilettantismus ist reiferer Arbeit gewichen. (Immerhin hatte sich die Zeit im Studio linear gesteigert. Eine Woche für das erste Album, zwei für das Zweite, drei für das Dritte. Für vun drinne noh drusse stand fast ein Monat zur Verfügung.) Von der oft sterilen überproduktion späterer Alben ist allerdings noch nichts zu spüren. Niedecken selber zeigt sich im Interview überzeugt, dass die Naivität der Band auch bei den Aufnahmen zu Studio-Nachfolger Zwesche Salzjebäck un Bier noch intakt gewesen sei. Da habe ich meine Zweifel. Für vun drinne noh drusse gilt das auf jeden Fall.
Es mag überinterpretiert sein und die Aussagen Niedeckens zur Situation BAPs während der Aufnahmen sprechen eine andere Sprache und dennoch scheint sich der Weg BAPs raus aus dem Alltag rein ins Business aber auch auf dem vierten Album bereits auszuwirken. Die kleinen Geschichten über (un)sympathische Orignale, denen man am Tresen oder an der Ecke begegnet (Jupp, die rot-weißlig;-blau quergestreifte Frau und der Müsli Män) fehlen, dafür wird Zeitgeschichte reflektiert und politisch Stellung bezogen. Aber das dürfte natürlich auch dem damaligen Zeitgeist geschuldet sein.
Die Ehe von naiver Spontanität und professioneller Erfahrung beschert dem vierten BAP-Album einen ganzen Straußlig; perfekter Songs. Ein Hattrick von ihnen steht gleich am Anfang. vun drinne noh drusse beginnt genauso wie "für uzzeschnigge" mit der erfolgreichsten Single-Auskopplung.
Das dramatische Hörspiel “Kristallnach“ macht BAP zu Helden der politisch korrekten Szene (Damals „durfte“ man noch Kristallnacht statt Reichspogromnacht sagen!). Es folgte die perfekte Ballade - fast nur von der Akustikgitarre begleitet. “Zehnter Juni“ ist eine „Demo-Song“ eigener Art. Nie zuvor waren soviel Menschen zu einer Anti-Rüstungs-Demo zusammengekommen wie am 10. Juni in den Bonner Rheinwiesen. BAP waren dabei und setzen dem Ereignis nicht nur ein musikalisches Denkmal, sondern sorgten auch für den Soundtrack vieler nachfolgender Demos. Und wenn “Zehnter Juni“ auf irgendeiner Fete lief, war der Geist des antimilitaristischen Widerstands sofort auf der Tanzfläche lebendig. Wer weißlig;, wieviele Jungmänner durch Textzeilen wie "Plant mich bloßlig; nicht bei Euch ein!" und "Wir werden mehr, immer mehr!" den letzten Kick in Richtung Kriegsdienstverweigerung bekommen haben - ein Unternehmen, das damals noch eine andere Anforderung bedeutete als heute. Niedecken hatte sich dazu auf dem ersten BAP-Album mit "Stell dir vüür" ja schon seine eigenen politisch unkorrekten Gedanken gemacht.
Fast mutiger war allerdings der Doppelsong “Nit für Kooche“, mit dem sich die Kölner BAP von der liebsten Passion der Rheinmetropole distanzierten, wobei ganz dezent sogar das Thema der “Kristallnach“ wieder aufgegriffen wurde. Es folgt eine sehr ruhige, sehr ergreifende Antwort auf Springsteens “Wreck on the Highway“ und dann eine Art Gebet eines Ungläubigen. Niedeckens katholische Erziehung wird hier zum Thema, eine Sujet, das er auf seinem zweiten Soloalbum noch wesentlich schonungsloser inszenieren wird. Nach dem wunderschöne Liebeslied “Eins für Carmen un en Insel“ schliesst das Album mit einem unscheinbaren, aber prägnanten Song.
“Koot vüür Aach“ inszeniert die Spannung vor dem Konzert. Ganz ruhig, fast depressiv und dunkel startet es (kurz vor acht). Dann steigt die Spannung. Die Nerven sind gespannt, wie die des Sportlers auf dem Startblock (Punkt acht) und dann (kurz nach acht) explodiert der Song - ohne eigentlich heftiger zu werden - in ein akustisches Feuerwerk.
Eigentlich muss man die CD jetzt neu starten. Im Falle dieser Re-Release-Ausgabe bietet sich dafür die Live-Bonus-CD an, aber …
…dort bekommt man bei den ersten beiden Stücken erst einmal das Gefühl, sie sei nach dem Motto „Auch Helden können mal ’nen schlechten Tag haben“ zusammengestellt worden. “Wellenreiter“ kommt mit einem eher gesprochenen als gesungenen Text. Die "Tonfilm"-Version von “Nemm mich met” setzt mit weiblichen Vocals zwar neue Akzente, wirkt insgesamt aber etwas müde. Da kommen sogar die folgenden Soundcheck-Versionen besser.
Nach fünf Titeln wird die Konzeption dieser Bonus-CD deutlicher. Die BAP--Re-Release-Serie wird die Live-Alben BAPs nicht berücksichtigen. Auf dem ersten BAP--Live-Album "bess demnähx" waren aber immerhin vier neue, nie auf Studio-Alben veröffentlichte, Titel enthalten. Die sind nun komplett auf dieser Bonus-CD vertreten, einmal (“Su 'ne Morje“) sogar in der "bess demnähx"-Version. Das erste Mal, dass eine bereits auf einem Longplayer veröffentlichte Version ihren Weg auf eine der Bonus-CDs der Re-Release-Reihe gefunden hat.
Zum Abschluss gibt es die Fortsetzung des Laufenberg-Interviews. Diesmal geht es um die Naivität der frühen Chartstürmer BAP, den Eurovisions-Auftritt auf der Loreley („Ich kriege heute noch Schweißlig;ausbrüche, wenn ich dran denke“, Niedecken), die Anti-Karnevals-Haltung der Band, das unpolitische Verhältnis BAPs zu politischen Ereignissen, den Albumtitel, das BAP-Logo und das Schicksal des Malers Wolfgang Niedecken während des Durchstartens seiner Band.
Norbert von Fransecky
Trackliste | 1 Kristallnaach (4:57) 2 Wellenreiter (2:20) 3 Zehnter Juni (4:20) 4 Wie 'ne Stein (4:26) 5 Do kanns zaubere (4:35) 6 Nit für Kooche (Teil 1) (1:40) 7 Nit für Kooche (Teil 2) (4:03) 8 Ahn 'ner Leitplank (4:13) 9 Wenn et Bedde sich lohne däät (4:31) 10 Eins für Carmen un en Insel (2:53) 11 Koot vüür Aach (3:29) Bonus-CD 1 Wellenreiter (Live, Dortmund, 1982) (2:27) 2 Nemm mich met (Live, Tonfilm-Tour, 1999) (5:34) 3 Weisste noch? (Soundcheck, Köln 2002) (5:17) 4 Hundertmohl (Soundcheck, Essen 2000) (3:50) 5 Su 'ne Morje (Live "Bess demnähx", 1983) (3:04) 6 Zehnter Juni (Live, 1983, Maxi "Shanghai") (5:07) 7 Gespräch Niedecken & Frank Laufenberg, Teil IV (16:23) |
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| | Besetzung | Manfred Boecker (Perc) Wolfgang Boecker (Dr) Steve Borg (B) Wolfgang Niedecken (Voc, Git) Klaus Heuser (Git) Alexander Büchel (Keys)
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