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Die Klagen der Plattenindustrie über sinkende Verkaufszahlen klingen scheinheilig, bei gleichzeitiger Vermarktung des immer selben Breis. Kleine Label bekommen große Probleme, je variantenreicher und experimenteller sie vorgehen. Durchbricht SonyBMG diesen alltäglichen Lauf der Dinge etwa? Auf den ersten Blick scheint es so, denn die Verpflichtung von Matisyahu (bürgerlich Matthew Miller), der „Hasidicreggae“ nicht nur singt, sondern lebt, ist ein Schritt in eine völlig neue Musikrichtung. Das neue Album Youth ist nun fertig und gibt es in den USA schon einen kleinen Hype, ist Matisyahu in Deutschland noch völlig unbekannt. Doch im Internet wurden von seinem Vorgängeralbum über iTunes schon mehr als 200.000 Alben verkauft, ganz ohne die große Promomaschinerie. So relativiert sich also wieder der scheinbare Mut der Plattenmanager.
Wer aber ist der jüdische Sänger mit dem langen Bart und dem schlecht sitzenden Anzug? Matisyahu ist 26 Jahre alt und wandte sich schon früh dem Reggae zu. Er tat es dem Vorbild seiner Eltern nach und zog von einem Hippie-Festival zum Anderen, ohne sich seiner Religion besonders bewusst zu sein, noch sie besonders zu schätzen. Die Geschichte, die er immer erzählt, handelt von Gott, von Bob Marley und von ihm selbst, suchend nach einer Konstante in seinem Leben, nach etwas zum Festhalten. Er entdeckte Gott für sich neu und tat aber einen großen Schritt um diese Verbindung zu zementieren. Mit 20 Jahren schloss er sich Chassiden (auf englisch Hassidic), einer Gruppierung innerhalb des Judentums, das umgangssprachlich als ultra-orthodox bezeichnet wird. Die Chassiden selbst hören dies nicht gerne und auch Matisyahu sieht dies etwas anders. Für ihn bedarf es einer ständigen, vom Nehmen und Geben geprägten Verbindung zu Gott, die auch Opfer erfordert. So war eine Heirat die Voraussetzung um wieder Musik machen zu dürfen. Erstaunlich, wenn man seine Konzerte sieht, auf der Juden und Nicht-Juden gleichermaßen den Musiker aus New York feiern. Er sieht die Zwänge als Voraussetzung für seine Freiheit an, ganz im Kant´schen Sinne. Er sieht die strengen Regularien nicht als von Außen gegeben an, sondern als Ausdruck seiner inneren Vernunft.
Doch wie schlägt sich das in seiner Musik nieder? Textlich dreht sich alles um Gott, um ein Leben mit und ohne ihn. Von harmlosen Zeilen, wie: „Jerusalem you take me high make me fly like arrow in the sky”, kann er auch martialischer, missionarischer: „You're a warrior, Fighting for your soul…”
Fairerweise muss man aber sagen, dass Matisyhau meistens nicht ins platte Missionieren abdriftet und keinen Alleinvertretungsanspruch erhebt. Trotzdem gibt es sicher auf der einen Seite Leute, die seinen tiefen Glauben als Angriff auf Andere sehen, auf der anderen Seite Fans, die seine Musik nutzen um sich über andere und ihren Glauben zu erheben. So sollte man sich mit den angefügten Links selbst ein Bild machen. Denn dass seine religiöse Strömung innerhalb des Judentums nicht nur die Liebe zum Menschen, sondern auch eine starke Abgrenzung zu Anderen und eine umstrittene Rolle der Frau beinhaltet, kann man wohl nicht bestreiten.
Matisyahus Glauben und sein Auftreten mögen fremd erscheinen, die Musik ist es auf keinen Fall und wer nur ein bisschen für Reggae oder Dancehall übrig hat, wird sofort begeistert sein. Wenn man dann trotzdem ein offenes Ohr behält und auch manche Textzeile kritisch sieht und für sich hinterfragt, wird man viel Freude mit dieser Musik haben, die wohl bald auch nach Europa schwappen wird. Das dies auch ein Verdienst der ungewöhnlichen Umstände ist, dem ist sich Matisyahu völlig bewusst.
Alexander Kitterer
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