Artikel
Info
Zeit: 03.11.2005
Ort: Bamberg, Konzertsaal
Besucher: ca. 500
Um 24 Uhr verließ das Publikum den Saal, erleichtert schienen die Blicke umherzuwandern. Erleichtert, dass das Konzert nun endlich zu Ende war? Kaum.
Froh, dass sie es heil wieder raus geschafft hatten? Nicht ganz.
Die Blicke resultierten vielmehr aus den Erwartungen, die wohl so vielfältig und unterschiedlich waren wie das Publikum. Angefangen bei den zwei Mädchen, die an der Abendkasse kichernd sagten: "Wir sind die Gewinner vom Radio-Galaxy-Gewinnspiel" und die Mutter nervös fragte, ob das Konzert lang dauere, sie müsse die Mädchen wieder abholen, hin zu den 40-jährigen Ehepaaren, die ihre Liebe mit der Stimme von der Glashaussängerin "Cassandra Steen" umschmeicheln wollte, ließ sich keine Tendenz feststellen.
Als dann der Saaleinlass erfolgte und sich die vielleicht 500 Zuschauer im bestuhlten Konzertsaal zu Bamberg verteilten, fragten sich wohl viele, ob man hier nicht besser die Bayerische Staatsphilharmonie bewundern könnte. Manche in der Loge oben, manche seitlich, in der Mitte, unten auch noch ein paar. Doch soweit das beurteilt werden kann und die Fähigkeit des Autors Menschen einzuschätzen nicht völlig verkümmert ist, legte sich dieser Eindruck schnell.
Punkt acht Uhr bewegte sich etwas auf der Bühne, aber Musik war noch nicht zu hören. Erstmal gab's Tipps der 3p-Familie in Gestalt von Costa für ein gelungenes Glashauskonzert, die bei einer Länge von vier Stunden auch gut gebraucht werden konnten. Mit Stand-Up Qualitäten, von denen SAT 1-Freitag-Abend-Komödianten nur träumen können, gab es Anleitungen für's Tanzen und Tipps für den Umgang mit der bestuhlten Location. Als sich dann noch Leute von der Empore in die unteren, halb gefüllten Reihen begaben, stand dem eigentlichen musikalischen Abend nichts mehr im Wege.
Als erster Supportact von Glashaus betrat Chima die Bühne, ein relativ neues Mitglied der 3p-Crew, von welchem ihr euch auch ein Interview zu Gemüte führen könnt. Sein neues Album Im Rahmen der Möglichkeiten und die Single "Wundervoll" bildeten das gelungene Gerüst. Chima, vor längerer Zeit noch englischsprachige Musik schreibend und neben dem Solokünstlerdasein auch Kollaborateur mit den Brothers Keepers machte die Ansage: "Man kann es Rap nennen, man kann es Soul nennen" - und legte einfach, nur unterstützt von Gitarre und Drum, los. Das erste Lied "Lampenfieber", welches dieses Gefühl in Liebesbeziehungen thematisiert, genügte schon um zu spüren, dass das Publikum diesen Künstler nicht als bloßen Voract sehen konnte und wollte. Mit drei weiteren Songs war es schon geschafft, dass die ersten ihre Hände erhoben und klatschten. Mit seiner Single "Wundervoll" setzte alsbald das Schunkeln ein und statt der Zeile: "Du bist wundervoll", sangen die noch näher zusammengerückten Zuschauer davon, wie wundervoll Bamberg ist. Also ein guter Auftritt und Beruhigung für die Leute, die im Kopf schon durchgerechnet hatten, was man für den Eintritt von 30 Euro alles hätte kaufen können.
Nach Chima und einer weiteren Comedyeinlage, setzte sich Charles Simmons ans Klavier, sprach über seine neue CD und über die Ahnung, die manche Leute hatten, als er zum ersten Ton einsetzte. Als Stimme in der Langnese-Werbung hatten wohl viele schon beim Weg in die Küche in der Werbepause dieses Lied im Ohr. Charles Simmons spielte sechs Songs, stellte alle kurz vor und sorgte einfach für eine angenehme Fortsetzung des Abends. Auch wenn sicher nicht jeder auf etwas schmachtenden Soul steht, so wurde doch deutlich, dass die Entscheidung Supportacts aus dem eigenen Label aufzubieten, nicht die schlechteste war. Diese noch eher unbekannten Acts gaben dem Konzert eine Struktur, die es abhob vom Normalen: auf die Uhr gucken, wann geht's weiter, wieso ist die Vorband so scheiße, dass Becher fliegen, geht's dann endlich los?... Gut - das Publikum bestand wohl nicht aus den klassischen "Becherwerfern", aber Stille kann viel grausamer sein.
Nach zwei Stunden Konzert vor dem Konzert fiel der weiße Vorhang und Glashaus mit ihrer Band im Gepäck begannen zu spielen. Die nach den Seiten hin offene Bühne mit den Instrumenten, den Musikern und dem alles überragenden DJ-Pult gab trotz der Größe den Anschein einer "Jam-Session". Nichts muss, alles kann, was wird, werden wir sehen. Natürlich war trotzdem der Konzertablauf festgelegt. Die Stimme von Cassandra Steen war schon zu Anfang voll da und mit "Solange" und "Haltet die Welt an" breitete sich der opulente Sound von Glashaus aus.
Mit dem Track "Du" ging es weiter und es sah danach aus, dass die anfängliche "Mitmachstimmung" sich wieder abgekühlt hatte. Der Klangteppich und die ruhige Stimme machten das Mitmachen aber auch nicht gerade leicht. Weitere Songs mit etwas kraftvolleren Beats (als Tipp soll hier der Remix von "Haltet die Welt an" genannt werden, zu bekommen für lau bei www.tonspion.de) und trotzdem dem Glashaus-eigenen Sound folgten. Doch dann kam in Texter und Rapper Moses Pelham (der auch im Interview exklusiv für Musik an sich über Musik und vieles mehr sinnierte) seine Leidenschaft für das gesprochene Wort hoch und zusammen mit seinen Labelkollegen pushte er, getrieben von wuchtigen Beats das Publikum ordentlich. Mehrere solcher Songs mündeten in "Die Welt steht still, ein schöner Tag", bei dem man fast ein Grölen des Publikums erkennen konnte.
Als schließlich Schnaps für die vorderen Reihen serviert wurde (die Mutter der beiden Kartengewinnerinnen hätte sich wohl bei dieser Gewissheit sofort ins Auto geschwungen) stimmte die 3p-Crew "eisgekühlter Bommerlunder" an und die meisten Zuschauer standen mittlerweile. "Wenn das Liebe ist" setzte dann einen - vielleicht zu rapiden (irgendwo MUSS ja kritisiert werden) - Kontrapunkt. Doch wer schon ein paar Konzerte besucht hat, die einen bereits nach 70 Minuten wieder in die Garderobe entließen, musste nach einem Blick auf die Uhr zumindest das Gefühl zulassen, dass alle für einen gelungenen Abend für jedermann kämpften.
Auf der Bühne herrschte viel Bewegung, bei "Is nur Kino" - geschrieben vom Gitarristen der Band - bildeten sich neue Konstellationen, mit "Was immer es ist" konnte das Publikum seine Sangeskünste unter Beweis stellen und das Spiel: erst singt links, so laut es geht, dann rechts, funktionierte tadellos.
Auch die Zugaben, zwei an der Zahl, verfehlten ihre Wirkung nicht. Moses Pelham wagte sich noch in die Menge, als er plötzlich hinter dem Lichtpult auftauchte.
Nach vier Stunden ging das Licht wieder an und die Leute erhoben sich, um ihre erleichterten Blicke im Foyer schweifen zu lassen. Dort konnten sie Chima erblicken, der geduldig Autogramme verteilte und das ganze fast familiär wirken ließ. Wer sich von Chima selbst ein Bild machen will, kann dies auf der aktuellen Patrice-Tour tun, die Chima supportet.
Gut, dann ist es jetzt an der Zeit, die hammer-kreative Überschrift zu entschlüsseln. Also:
Steine zur Hand, um nicht nur allen außerhalb des Glashauses zu ermöglichen am musikalischen Werk teilzuhaben, sondern alle, sei es Managern der Musikindustrie, die rätseln wieso die Bindung zwischen Künstler und Publikum immer öfter, immer schneller abreißt, oder Leuten, die auf keine Konzerte gehen, da ja eh immer nur dasselbe "von Platte" gespielt wird, mit einem Wurf zu zeigen, dass nichts spannender ist, als wenn Musik live sich selbst weiterentwickelt und im Zusammenspiel von Künstlern und Publikum etwas ganz Neues, Unerwartetes und hoffentlich Einmaliges entsteht.
Alexander Kitterer
Zurück zur Artikelübersicht |