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Info
Zeit: 11.10.2024
Ort: Markneukirchen, Musikhalle
Fotograf: Kai Hofmann
Internet:
http://www.axel-rudi-pell.de
http://www.fighter-v.com
Die spannende Frage ist zunächst, wer hier als Supportact auf die Bühne steigt: Das abgebildete Plakat und auch diverse Netzquellen geben Everdawn an, andere Netzquellen aber Fighter V – sobald man die Musikhalle im vogtländischen Markneukirchen betreten und seinen Blick gen Bühne gerichtet hat, wird diese Frage beantwortet, denn dort hängt ein Backdrop von Fighter V. Die Schweizer haben einige personelle Umbrüche hinter sich – vom selbstbetitelten 2019er Debüt sind auf dem aktuellen Zweitling Heart Of The Young nur noch der Keyboarder und der Drummer dabei. Von den drei Neuen ist der Sänger klar der Auffälligste – auch optisch mit seinen langen dunklen Haaren bis zum Hintern, so dass er, wenn er ein Stück größer wäre, wie die schweizerische Antwort auf den jungen Ian Gillan durchginge. Seine Brötchen verdient er indes in einer Whitesnake-Coverband, und so verwundert es nicht, dass Fighter V an vierter Setposition „Here I Go Again“ intonieren. In der Ansage danach macht der Sänger allerdings auf seine stimmliche Indisponiertheit aufmerksam – eigentlich hätte er diese und mehrere vorgelagerte Shows canceln müssen. Vielleicht ist er deshalb ein wenig in den Hintergrund gemischt worden, und in der Tat war man schon vor dieser Info an etlichen Stellen den Eindruck nicht losgeworden, dass die Tagesform des Vokalisten bei weitem nicht bei 100% liegt. Er kämpft sich nichtsdestotrotz durch den Neun-Song-Set, kreischt hier und da auch wild herum und wird vor allem in den Refrains tatkräftig von seinen Instrumentalisten mit Backings unterstützt – eindrucksvoller gerät sein Vortrag aber, wenn er clean singt.
Vom Bandnamen her hätte man eigentlich deutlich härtere Mucke erwartet, aber Fighter V zeigen sich als klassische 80er-AOR-Combo, und dass die Keyboards ziemlich dominant abgemischt sind, dürfte sicherlich keinen Zufall darstellen. Die beiden Opener machen mit flotter Zügigkeit und gelegentlichen angeproggten Verschleppungen das Spektrum schon klar, „Speed Demon“ ist themengemäß der schnellste Song des Sets, aber „Power“ steht ihm kaum nach und demonstriert mit seinem jazzigen Intermezzo zugleich, dass sich die Schweizer bei allem 80er-Traditionalismus keine stilistischen Fesseln anlegen lassen wollen. „Heart Of The Young“, Titeltrack des aktuellen Zweitlings, wiederum klingt auch nach den 80ern, aber nach dem klassischen 80er-Pop im Rockgewand, und so mancher Anwesende fühlt sich zum Tanzbeinschwingen bemüßigt. Fighter V konzentrieren sich naturgemäß auf Stoff besagten neuen Albums, vergessen aber etwa mit „Dangerous“ auch Material des Debüts nicht. Leider ist die Abmischung etwas schwierig, vor allem die klangliche Aneinanderbindung von Rhythmusgitarre und Baß gelingt nicht so richtig, was freilich die allgemeine gute Laune kaum beeinträchtigt – das Gros des Publikums erfreut sich an der Zeitreise in die Achtziger, die einen anwesenden Ex-CrossOver-Schreiberkollegen an die Pretty Maids erinnert (frühestens ab Future Word freilich – Härtegrade der Marke Red, Hot & Heavy bleiben hier dann doch aus) und die auch optisch mit entsprechenden Elementen garniert wird, sei es das synchrone Instrumentenschwenken oder der beleuchtete Keyboard-Korpus. „Tokyo Radio“ (ein Songtitel, wie er nicht achtzigertypischer sein könnte) beendet einen unterhaltsamen Set.
Die Umbaupause wird u.a. mit Led Zeppelin und Deep Purple überbrückt – irgendwie eine logische Wahl beim Gig des vermutlich zweitgrößten Deep-Purple-Fans Deutschlands (nach Andree Schneider). Allerdings kommt nach dem Erlöschen des Hallenlichtes zunächst Johnny Gioeli allein auf die Bühne und verkündet, dass er aufgrund einer Rückenverletzung seit einigen Tagen gleichfalls indisponiert sei und um Verständnis bitte, dass seine Bühnenperformance nicht ganz so intensiv ausfallen würde wie sonst – er habe mehr Chemikalien intus als die Stones, witzelt er bei einer späteren Ansage. Bis dahin hat man freilich kaum einen Unterschied zu früheren Gigs bemerkt – der Vokalist rennt wie gewohnt über die Bühne, schwenkt den Mikroständer, fällt seinen Mitmusikern um den Hals und singt wie der sprichwörtliche junge Gott. Offenbar haben die Chemikalien und das ausgeschüttete Adrenalin entsprechende Wirkung getan – der Merchandiser erzählt hinterher, dass der Sänger während der zwei Stunden auf der Bühne quasi vergißt, dass er eigentlich krank ist, dass es ihm in den 22 anderen Stunden des Tages allerdings wirklich nicht besonders gut geht und dass sich niemand gewundert hätte, wenn er die Entscheidung getroffen hätte, zumindest einige Tage der Tour zu canceln. Aber Gioeli beißt sich durch und liefert eine der intensivsten vokalen Performances ab, die der Rezensent in letzter Zeit miterleben durfte. Und er verliert seinen Humor nicht: „Es ist nicht schön, wenn man 35 wird.“ Wenn er jetzt 35 wäre, hieße das, dass er das Hardline-Debüt als Zweijähriger eingesungen haben müßte ...
Aber wir haben der Entwicklung weit vorgegriffen. Risen Symbol heißt das neue Album von Axel Rudi Pell, auf dem er, wie Spötter behaupten, so klingt wie immer – man kann das freilich auch positiv formulieren und sagen, dass er seinen Stil konsequent weiter pflegt und verfeinert. Und Pell-Alben mit Death Metal oder Hip Hop würde vermutlich niemand so richtig prickelnd finden, selbst wenn Gioeli mit etwas Training wahrscheinlich auch sowas singen könnte. An diesem Abend erwartet jedenfalls niemand irgendwelche stilistischen Bocksprünge, und es gibt auch keine – was nicht heißt, dass die Überraschungsdichte bei Null läge. Zunächst erklingt ein bombastisches Intro, in dem eine Grabesstimme ab 10 herunterzählt, ehe der Opener „Forever Strong“ losbricht, einer von 2,33 Beiträgen des neuen Albums zur Setlist und, wie sich am Ende herausstellt, der einzige Speedie. Der Sound ist noch ein wenig matschig und besonders die HiHat nervig penetrant, aber ersteres bekommt der Pultbediener schnell in den Griff, so dass wir uns eines zwar leicht überlauten, aber gut ausbalancierten Klangbildes erfreuen können, in dem nach zwei, drei Songs dann auch die HiHat ihren angemessenen Platz gefunden hat. Und schon in besagtem Opener rennt und springt Gioeli über die Bühne, als wäre derjenige, der da wenige Minuten zuvor von seiner eigentlichen Indisponiertheit berichtet hatte, ein ganz anderer Mensch gewesen. Mit „Wildest Dreams“ folgt gleich ein Klassiker, im Midtempo gehalten, in der zweiten Strophe einige seltsame Breaks auffahrend und mit einem schönen atmosphärischen Solo des Chefs himself Punkte sammelnd. „Strong As A Rock“ eignet sich für die erste große Publikumsanimation, indem die Anwesenden in die Teams Volker, Johnny und Axel geteilt werden und den Refrain möglichst laut mitformulieren müssen. „Voodoo Nights“ bringt das Kunststück fertig, grooviges Midtempo fast schwingend zu spielen – und dann kommt die erste und auch gleich größte Überraschung. Gioeli bringt zunächst eine sehr lange Ansage, in der er (über einem Keyboardteppich) seine Dankbarkeit gegenüber jedem einzelnen Fan zum Ausdruck bringt, dass er von dem, was er liebt (nämlich Musik machen), seinen Lebensunterhalt bestreiten kann, und man zweifelt nicht daran, dass das keine Show, sondern pure Ehrlichkeit ist. Danach gehen Keyboards und Gesang in die erste von zwei Coverversionen des Sets über – und wer nicht auf die Setlist gelinst hat, wird von Leonard Cohens „Hallelujah“ doch ziemlich überrascht worden sein, um es mal vorsichtig zu formulieren: Der Song stammt in der Pell-Fassung von The Ballads IV aus dem Jahr 2011 und kam damals auch als Single heraus, tauchte aber erst 2019 erstmals im Liveprogramm auf, und obwohl er auch 2022 und 2023 gespielt wurde, überrascht der Fakt, dass er sich derart „festgekrallt“ hat, doch. Keyboarder Ferdy Doernberg rollt weiter sanfte Teppiche aus, Gioeli gestaltet die Strophen recht expressiv, läßt die Refrains aber vom Publikum im Alleingang singen, und das gibt nicht nur eine interessante Kontrastwirkung, sondern schraubt den Emotionenfaktor derart in die Höhe, dass der Rezensent zwei Tage später beim Eintippen des Reviewtextes immer noch ein Tränchen der Rührung verdrücken muß, zumal dann als nächster Song auch noch „Oceans Of Time“ folgt, dessen Refrain das Emotionenkostüm nochmal in hochgradige Wallungen versetzt.
Danach hätte das Konzert eigentlich enden können – tut es aber natürlich nicht: Mit „Mystica“ kommt gleich der nächste epische Titeltrack hinterher, dessen Titel die Anwesenden begeistert mitformulieren und dessen langsamer Mittelteil wieder zu ausgiebiger Instrumentalarbeit genutzt wird, für die sich der Gitarrist sogar von der Bühne herunterbegibt. Außerdem ist das Drumsolo in diesen Song integriert – hinter dem Kit sitzt bereits seit geraumer Zeit nicht mehr Mike Terrana, sondern Bobby Rondinelli, und das hat natürlich auch Auswirkungen auf den Solostil, bekommen wir doch keine orchestrierte Show, sondern altschuliges Handwerk, ohne auf moderne Elemente zu verzichten, wie die Elektropauke beweist – und der New Yorker Altmeister bearbeitet das Kit phasenweise auch mit bloßen Händen und schlägt ganz zum Schluß den großen Gong hinter sich an. Wenn der Rezensent nichts übersehen hat, ist das übrigens der einzige Moment des ganzen Gigs, wo dieser Gong zum Einsatz kommt – ihn nur dafür mitzuschleppen braucht also schon eine gute Portion Enthusiasmus. Mit „Darkest Hour“ folgt der zweite Beitrag des neuen Albums, ausgestattet mit einem sehr stark an Deep Purple angelehnten Hauptthema, ehe sich das „Carousel“ im zügigen Midtempo dreht, die Hauptsoloeinleitung aber in Doomgefilde herunterfährt, bevor Doernberg zum Keyboardsolo ansetzt, zunächst klassische Themen verarbeitend (Stil: Jon Lord), dann aber spacige Sounds auffahrend (Stil: Tony Carey und David Stone bei Rainbow). Nahtlos schließt sich die Powerballade „The Line“ an, Gioeli abermals sehr expressiv agieren lassend, ehe die zweite Überraschung kommt: Auf dem neuen Album steht der „Immigrant Song“ als Coverversion, und man hätte durchaus auch live mit ihm gerechnet, aber statt dessen kommt „Beautiful Day“ von U2, und zwar musikalisch völlig unironisch in gut gelauntem treibendem Midtempo – den Song kennt man von Pells erstem Diamonds Unlocked-Coveralbum aus dem Jahr 2007, aber sonderlich häufig in den Setlisten aufgetaucht ist er bisher nicht, nämlich erstmals justament auf der aktuellen Tour. Das Grande Finale des Sets koppelt „The Masquerade Ball“, „Casbah“ und das neue „Ankhaia“ – daher oben die Drittelzählung. Alles mündet in einem großen Bombastfinale, Gioeli rennt nochmal kreuz und quer über die Bühne, Doernberg und auch Bassist Volker Krawczak liefern paßgenaue Backing Vocals (dass Doernberg, optisch Typ Kneipenschläger, jede filigrane Progmetalband stimmlich veredeln würde, ist ein netter musikgeschichtlicher Treppenwitz), und das Auditorium fordert natürlich Zugaben ein, die es mit „Fool Fool“ (prima Kontrast des verspielten Strophen- und des vorwärtsdrängenden Refrainteils, Gioeli zudem in ungewohnte Tiefen hinabsteigen lassend) und „Rock The Nation“ (mit etwas zu bemühter Unterbrechung in der zweiten Strophe und dem letzten großen Mitsingspiel) auch bekommt. Ein enorm starkes Konzert – und man möchte beide Acts gerne wiedersehen, wenn alle Bandmitglieder komplett fit sind.
Setlist Axel Rudi Pell:
Forever Strong
Wildest Dreams
Strong As A Rock
Voodoo Nights
Hallelujah
Oceans Of Time
Mystica (mit Drumsolo)
Darkest Hour
Carousel (mit Keyboard-Solo)
The Line
Beautiful Day
The Masquerade Ball/Casbah/Ankhaia
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Fool Fool
Rock The Nation
Roland Ludwig
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