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Artikel

Jam Control in der Bar: „Die lustigen Weiber von Windsor“ von Otto Nicolai als Hochschulopernprojekt in Leipzig

Info

Künstler: Otto Nicolai: Die lustigen Weiber von Windsor

Zeit: 29.05.2024

Ort: Leipzig, Hochschule für Musik und Theater

Fotograf: Jörg Singer, Mathias Morgenstern (Plakat-/Programmhefttitelmotiv)

Internet:
http://www.hmt-leipzig.de

Den Opern von Otto Nicolai begegnet man auf den heutigen Bühnen kaum noch – und wenn, dann ist es im Regelfall „Die lustigen Weiber von Windsor“, während das Schaffen aus seiner italienischen Zeit ein weitestgehendes Schattendasein führt und Aufführungen wie die von „Il Templario“ vor anderthalb Jahrzehnten an der Chemnitzer Oper Seltenheitswert besitzen. „Die lustigen Weiber von Windsor“ zählte noch bis vor einigen Jahrzehnten zum Standardrepertoire jedes deutschen Stadtmusiktheaters, aber diese Zeiten sind vorbei, und wenn man heute diese Oper auf die Bühne bringt, muß man als Programmverantwortlicher im Regelfall einen gewichtigen Grund dafür haben. Von daher ist es prinzipiell erstmal zu begrüßen, dass die Leipziger Musik- und Theaterhochschule dieses Werk für das Opernprojekt des 2024er Sommersemesters auserkoren hat – der Gelegenheiten für jüngere Generationen, es livehaftig kennenzulernen, sind nicht eben viele, und auch der eine oder andere Hörer älterer Generationen nimmt die Chance, in Erinnerungen zu schwelgen und das musikalische Gedächtnis aufzufrischen, dankbar wahr, so dass sich die sechs Vorstellungen Ende Mai eines sehr guten Besucherzuspruchs erfreuen dürfen.
Das Werk hat drei Akte, und man könnte es natürlich mit zwei Pausen spielen – in Leipzig gibt es aber nur eine Pause, und die liegt nicht etwa zwischen zwei Akten, sondern innerhalb des zweiten Akts, indem dessen erste Szene, die Versammlung der Jagdgesellschaft und die Unterhaltung zwischen Herrn Bach und Sir John Falstaff, noch vor der Pause erklingt und der „Rest“ des zweiten Aktes dann nach der Pause, was hilft, die beiden Teile wenigstens annähernd gleich lang zu machen. Auch anhand der Inszenierung von Karoline Gruber paßt die räumliche Anbindung: Der Teil vor der Pause spielt komplett in einem Fitneßstudio mit angeschlossener Bar, wobei der primäre Handlungsort die letztere ist, ergänzt durch den Umkleideraum und eine Mehrzweckfläche für Yogaübungen und andere sportive Betätigungen. Einzelne Geräte stehen da oder werden von den Handelnden mitgebracht, ein riesiges Poster mit einem Hinweis auf ein als sportleistungsfördernd angesehenes Getränk hängt an der Wand, und Pokale und Wimpel zeugen von der erfolgreichen Vergangenheit.Hier treffen sich auch die diversen an der Konfliktsituation beteiligten Personen: Sir John Falstaff will an das Ersparte von Frau Fluth und an das von Frau Reich heran und dabei auch noch ein bißchen Spaß mit den beiden haben – allerdings parallel, was den beiden nicht entgeht, so dass sie ihm Streiche zu spielen beginnen und dabei auch gleich noch den übermäßig eifersüchtigen Herrn Fluth aufs Korn nehmen.

Ensemble und Chor in der Sportbar, in der Mitte Herr Fluth (Tom Nicholson) und Herr Reich (Bastian Röstel)


Parallel soll Anna, die Tochter von Reichs, verheiratet werden, aber Herr und Frau Reich haben jeweils einen anderen, freilich jeweils einen gesellschaftlich hochgestellten Kandidaten im Auge – Anna indes liebt den tatkräftigen, aber trotzdem armen Fenton. In der zweiten Hälfte verlagert sich das Geschehen zunächst auf einen Wäscheplatz, der sich dann im dritten Akt in einen nächtlichen Wald verwandelt, wo im Zuge eines Kostümfestes zum einen Falstaff final bloßgestellt wird, zum zweiten die beiden noblen Bewerber um Anna verheiratet werden, allerdings miteinander, und zum dritten auch Anna und Fenton den Bund der Ehe schließen, wonach im Original Frau Fluth dazu auffordert, die Konflikte der Vergangenheit zu begraben und statt dessen ein fröhliches Hochzeitsfest zu feiern.
Aus der beschriebenen Konstellation könnte man alles mögliche machen, von einer bunt-schrillen Revue, wie es sie an der HMT vor anderthalb Jahrzehnten bisweilen gab und die man auch mit dem Cover des Programmheftes bzw. dem Veranstaltungsplakat (entworfen von Mathias Morgenstern, der mit Roy Spahn auch als Bühnenbildner fungiert) assoziieren würde, bis zur schicksalsschweren Deutung der Konfliktstrukturen, die bei genauerer Betrachtung ungelöst bleiben bzw. allesamt ins Negative gewendet werden: Falstaff bekommt weder das Geld noch seinen Spaß, Anna verarmt möglicherweise, die abgewiesenen Bewerber müssen sich erstmal wieder scheiden lassen, Ehepaar Reich bekommt keinen der angepeilten Schwiegersöhne, und ob sich die Eifersucht von Herrn Fluth wirklich dauerhaft kurieren läßt, bleibt offen. Letztere Variante wäre wohl in der Ära von Matthias Oldag auf die Bühne gekommen. Karoline Gruber nun versucht auf dem Grat zwischen Humor und Ernst zu balancieren, wobei vor der Pause der erstgenannte dominiert, was schon in der Ouvertüre beginnt, als der Opernchor in zwei Gruppen das Studio betritt, die Damen als Gymnastikgruppe, die Herren offenbar von einem Ballspiel kommend – einer der Herren mischt sich unter die Gymnastikgruppe, bezahlt das aber mit einer Oberschenkelzerrung. Frau Fluth und Frau Reich sind ebenfalls sportlich aktiv – ob sie auch bisexuell sind, kann anhand diffuser Andeutungen nur vermutet werden.
Fenton (Ido Beit Halachmi) und Anna (Lorraine Pudelko)

Frau Fluth (Kristin Guðmundsdóttir) und Herr Fluth (Tom Nicholson)

Fenton hat zwar eine Warnweste an, bleibt aber trotz engagierten Gesangs farblos. Herr Fluth kommt als Metaller daher (mit Shirt der fiktiven Band Jam Control, dessen konkrete Motivausprägung Kostümbildnerin Kira Fasbender ein exzellentes Zeugnis für die parodierende Wiedergabe metallischer Gestaltungselemente ausstellt), Herr Reich dagegen eher im Alternative- bis Hardcorebereich mit umgedrehtem Basecap, und Sir John Falstaff mixt Altertümliches (die Perücke!) mit Zeitgenössischem (falls man die gezeigte pseudosexy „Reizwäsche für den Mann“ als zeitgenössisch betrachten kann). Allerdings gibt es eher wenig Grundironie, der Humor bleibt relativ klassisch, auch in den (gesprochenen) Rezitativtexten hält man sich hier noch ans Original.
Letzteres ändert sich im zweiten Teil zumindest phasenweise, wobei aus dem Programmheft nicht hervorgeht, ob das eine bewußte Neufassung war oder die Darsteller hier improvisieren. Interessanterweise ändern die neuen Texte aber nichts an der Humorkonstellation – vor allem im dritten Akt aber wandelt sich das ganze Inszenierungskonzept plötzlich zu einer stärkeren Betonung des Ernstes der Lage, was in den Elfen- und Verfolgungsszenen vor und während des Kostümfestes gipfelt. Mit dem simplen Mittel von Handybildschirmen angeleuchteter Gesichter werden aus Elfen Horrorwesen, ein verfolgender Scheinwerfer tut sein Übriges dazu, und die Ansage von Frau Fluth, man solle jetzt doch ein fröhliches Hochzeitsfest feiern, wirkt wie bittere Ironie, die Gruber noch dadurch zu steigern versucht, dass Falstaff den Schwerenöter in sich nicht besiegen kann und während der Schlußszene mit der ob des Verheiratungsfehlschlages frustrierten Frau Reich in einem Separee verschwindet.
Ensemble und Chor in der Schlussszene, in der Mitte die unfreiwillig miteinander verheirateten Junker Spärlich (Miltiadis Tzimourtos) und Dr. Cajus (Joshua Geddes)


Die mögliche weitere Steigerungsstufe, dass die beiden miteinander verheirateten Noblen plötzlich ihre Homosexualität entdecken, bleibt allerdings aus.
Während auf der Bühne wie erwähnt die Akteinteilung und die Pausenstruktur nicht übereinstimmen, bleibt es im Graben an diesem Abend bei der Akteinteilung: Sungwook Kim, Dirigierstudent bei Matthias Foremny, verläßt nach dem ersten Akt das Pult, und Foremny selbst übernimmt für die beiden weiteren Akte. Das Orchester agiert planmäßig sehr vielfarbig, und beide Dirigenten überzeugen in der Evozierung dieser Farbenvielfalt – beide bekommen aber die Balanceschwierigkeiten nicht endgültig in den Griff, da speziell Frau Fluth und Frau Reich akustisch oft zu weit ins Abseits gestellt werden, und das, obwohl besonders Kristin Guðmundsdóttir als Frau Fluth eine enorme Stimmgewalt besitzt und diese etwa in der Bürgerwehr-Szene in den Höhen auch ins Feld führt. Was man von ihr hört, überzeugt freilich genauso wie das von Nina Schumertl als Frau Reich Gebotene. Ido Beit Halachmi als Fenton und Lorraine Pudelko als Anna liefern sich eindrucksvolle Duette, Miltiadis Tzimourtos und Joshua Geddes als die beiden noblen Bewerber fallen planmäßig nicht weiter auf, Tom Nicholson und Bastian Röstel als Herr Fluth und Herr Reich agieren solide, und Vincent Hoppe als Sir John Falstaff meistert die undankbare Aufgabe, als Student in Tiefbaßlagen hinunterkommen zu müssen, sehr achtbar, wenngleich er bis zum Volumen von sagen wir Gunther Emmerlich noch ein Stück Weges vor sich hat. Ein Grundproblem, das schon bei anderen Hochschulopernprojekten der vergangenen Jahre zutagetetreten war, findet sich allerdings auch hier: Offenkundig ist die Gesangs- und Sprechausbildung nicht mehr darauf ausgelegt, dass die Studenten akzentfreies Deutsch singen und sprechen können, was vor allem in den Rezitativen auffällt. Das Publikum stört sich daran in der großen Mehrheit zumindest in der vom Rezensenten miterlebten vorletzten Vorstellung offenbar nicht – es gibt sehr viel Jubel und zahlreiche Bravi.

Roland Ludwig


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