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Info
Zeit: 07.06.2024
Ort: Leipzig, Bandhaus
Internet:
http://www.bandcommunity-leipzig.de
http://www.facebook.com/Calliophis
http://www.urza-doom.com
http://www.facebook.com/AscianDoom
Eine Split-Veröffentlichung zweier Bands mit je zwei Songs pro Band geht üblicherweise als EP durch – nicht so freilich im Doom-Genre: Dawn Of A Lifeless Age, die Calliophis-/Urza-Split, deren Release an diesem Abend im Leipziger Bandhaus (und am Folgeabend auch noch in Berlin) gefeiert wird, bringt es summiert auf eine Dreiviertelstunde Spielzeit, da alle vier vertretenen Kompositionen die Zehnminutenmarke überschreiten, was auch auf das Gros der an diesem Abend überhaupt in den Sets der drei Bands vertretenen Nummern zutrifft.
Auch der erste Act Ascian nämlich widmet sich dem Doom, und zwar wie die beiden anderen Combos der deathdoomigen Variante. „Autumn Doom“ nennt das Quartett seinen Stil, und das lange atmosphärische, allerdings nicht vom Band kommende, sondern live gespielte Intro des Openers verbreitet tatsächlich eine gewisse herbstliche Atmosphäre und erinnert ein wenig an Anathema zu The Silent Enigma-Zeiten, also als die Briten gerade Pink Floyd zu entdecken begannen. Der Hauptteil des Songs landet dann aber eher im klassischen Doom Death, und der Sänger, der im Gegensatz zu seinen Bandkollegen im Habit auf der Bühne steht, artikuliert sich hier noch nahezu ausschließlich im Grunzsektor. Das beginnt sich ab dem zweiten Song zu ändern: Das Grunzen bleibt dominant, dazu gesellt sich aber tiefer gothic-kompatibler Klargesang, und einer der beiden Gitarristen steuert noch eine kreischige Zweitstimme bei. Außerdem vernimmt man gelegentlich bombastische Hintergrundsamples, und der Drummer verfällt kurzzeitig in herzhaftes Geprügel, ehe sich wieder die gewohnte, wenn auch gekonnt variierte Schleichgeschwindigkeit einstellt. Besagter Drummer spielt an diesem Abend übrigens nur aushilfsweise mit, was dem nicht um diesen Umstand wissenden Zuhörer aber wohl kaum aufgefallen wäre, und ein Bassist ist von vornherein nicht anwesend, wobei vermutlich hier und da via Signalteilung trotzdem ein entsprechender Sound zustandekommt. Song 3 zeigt den singenden Gitarristen auch mit einer entrückt-schrägen Klarstimme, während zugleich der Sänger beweist, dass auch er das Kreischfach beherrscht. Der Mittelteil überrascht hier mit einem niedlichen Schunkelpart im Dreiertakt über perlenden Keyboardsamples, und auch sonst ist das Drumming hier oft erstaunlich locker-leicht – klar, im selbstdefinierten Herbst muß auch Platz für Weinseligkeit sein, und die Stimmung ist nicht permanent nihilistisch, wobei Ascian gerade ihre Melodik aber schon etwas kälter inszenieren als etwa die ganzen alten romantischen Doom-Death-Holländer wie Officium Triste, Orphanage oder Morphia. Der Setcloser fällt durch ein markantes Fünf-Beat-Motiv im Intro und Sprachsamples im Mittelteil auf, ehe im hinteren Teil nochmal eine markante Beschleunigung auftritt, während im Finale nur noch der Drummer dahinschleicht und der Gitarrist darüber kreischt. Der Applaus ist herzlich, und auch ein anwesender Ex-CrossOver-Redaktionskollege, dem Ascian „auf Platte zu postig“ (meint: zu postrocklastig) anmuten, wird mit dem Liveeindruck deutlich besser warm. Im Anschluß an den Set entspinnt sich mit ihm und einem Besucherpaar eine philosophische Diskussion über die Wirkung der Distanzierung der Band von wem oder was auch immer, die die Mitglieder mit dem Tragen von Augenbinden versinnbildlichen wollen.
Zu Urza könnte man im Prinzip das Review über ihren Gig vom 01.02.2020 an gleicher Stelle zweitverwerten, nur mit dem praktischen Unterschied, dass man irgendwie die Titel der beiden neuen Songs unterkriegen muß, denn die werden beide live gespielt, der eine, nämlich „Maunder Minimum“, als Opener und der andere, „Through Ages Of Colossal Embitterment“, als Closer. Stilistische Unterschiede zum Rest des Sets in Gestalt von „In The Aftermath Of Dystopia“ gibt es freilich kaum, sieht man davon ab, dass der Closer von zwei kurzen Speedmomenten gerahmt wird, die im Schaffen der Berliner sonst Seltenheitswert besitzen, was auch auf den echoartigen Klargesang des Gitarristen zutrifft. Ansonsten äußert sich der rastalockige (!) Sänger derartig tief grunzend, dass man ihn quasi nur als Laut wahrnimmt, streut gelegentlich Kreischpassagen und einmal auch psychotisches Geschrei ein, während die Kollegen an den Instrumenten unter den drei langsamen Bands des Abends die noch einmal mit Abstand Langsamsten sind, aber trotzdem noch knapp über der Funeral-Doom-Grenze agieren und auch die zum Drone weit von diesseits betrachten. Von der Lieblichkeit der Gitarrenmelodien her sind sie zugleich auch die Nihilistischsten der drei, und auf Publikumskommunikation verzichten sie ebenso wie Ascian. Kuriosum: Letztere hatten ein Backdrop aufgehängt, aber Urza haben keins – nur hat das von Ascian irgendwie niemand abgehängt, so dass die vom Auditorium ebenfalls positiv aufgenommenen Berliner also „unter falscher Flagge“ spielen.
Schrägerweise tun das dann auch Calliophis, und das, obwohl sie den Gig in Ton und Bild mitschneiden. Die Lokalmatadore agieren immer noch als Quartett mit nur einem Gitarristen, lösen das Problem etwaiger hier und da fehlender Klangfülle aber mit einigen Loops, und auch der Basser spielt eine markantere Rolle als bei Urza mit ihrem Gitarrendoppel. Gleich im Opener „Endure Your Depression“, dem einen der beiden Split-Songs, sind fast lieblich zu nennende Gitarrenpassagen zu hören – jedenfalls sobald bzw. soweit man sie hören kann: Ascian und Urza hatten jeweils recht klare Klangbilder, bei Calliophis ist der Sound anfangs ein wenig zu verwaschen und wird erst schrittweise klarer. Die tempovariable, aber natürlich immer im langsamen Bereich angesiedelte Nummer macht jedenfalls auch klar, dass der Vokalist die zugänglichste der drei Grunzstimmen des Abends zum Einsatz bringt, für die sich nach wie vor Nick Holmes in seinen Frühzeiten als Vergleich eignet. „Rajomon“ taugt als Beispiel, dass der Drummer nach wie vor gern mit Fills arbeitet und im Mittelteil auch nicht vor fast schwingendem, wenngleich nicht Ascian-weinseligem Midtempo zurückschreckt, während im Finale eine marschartige Ausprägung zutagetritt. „Trepak“, die andere der beiden neuen Nummern, wird introseitig durch markante Geräusche strukturiert und transportiert im Mittelteil die mit Abstand herzerwärmendsten Gitarrenleads des ganzen Abends – der Applaus brandet hier schon vor dem langen Orchesteroutro auf. Das rhythmisch wieder etwas ungewöhnlichere „Art Of Shudder“ läßt den Sänger im Mittelteil ins Flüstern verfallen, während der Setcloser „Liquid Darkness“ einige eigenartige Echoeffekte in den Einzelschlägen der HiHat beinhaltet, später aber soundlich nochmal Probleme aufwirft, indem die Gitarre zu verwaschen aus den Boxen quillt, obwohl die Gesamtlautstärke auch hier im angenehmen Bereich bleibt. Da die Enthusiasten im Publikum eine Zugabe einfordern, kommt noch der Oldie „Seven Suns“, bei dem sich wie schon zweimal im Hauptset zuvor der Sänger, der vor Jahren noch kaum ein Wort der Ansage herausbrachte, plötzlich zu einer Plaudertasche wandelt und intensiv, wenn auch bisweilen leicht „abwegig“ mit den Anwesenden im ordentlich ge-, wenn auch nicht überfüllten Bandhauskeller kommuniziert – schon vor „Liquid Darkness“ hatte er sich beispielsweise bei „den Leuten an Licht, Ton und The Gathering, äh, Catering“ bedankt. Und obwohl drei Bands dieser anstrengenden Stilistik nacheinander trotz überschaubarer Gesamtspielzeiten für den Besucher doch recht fordernd sind, herrscht doch allerorten Zufriedenheit, zumal Ascian für den Calliophis-Fronter extra fränkisches Bier (aus Würzburg) mitgebracht haben.
Setlist Calliophis:
Endure Your Depression
Rajomon
Trepak
Art Of Shudder
Liquid Darkness
--
Seven Suns
Roland Ludwig
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