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Artikel

Fernöstliche Multibegabungen: Wang Wen im KuBa Jena

Info

Künstler: Wang Wen

Zeit: 11.05.2024

Ort: Jena, KuBa

Internet:
http://www.kuba-jena.de
http://www.facebook.com/wangwencn

Chinesischen Rockbands begegnet man in Mitteleuropa eher selten – Wang Wen aus Dalian haben allerdings die notwendigen westlichen Geschäftspartner gefunden, stehen beim deutschen Label Pelagic Records unter Vertrag, haben mit Death Row eine hiesige Bookingagentur und sind in ihrer mittlerweile etwa ein Vierteljahrhundert währenden Bandexistenz nicht zum ersten Mal hierzulande unterwegs: 2019 waren sie schon mal im Jenaer Kulturbahnhof, allerdings damals nicht im Beisein des Rezensenten, der daher keine Direktvergleiche anstellen kann. Das exilchinesische Netzwerk scheint funktioniert zu haben – so viele Besucher ostasiatischer Physiognomie hat der Rezensent in dieser Lokalität jedenfalls noch nie gesehen, und diese mischen sich mit dem „Stammpublikum“ zu einer achtbaren, wenngleich noch steigerbaren Zahl.
Nebel wabert durch die gemütliche Räumlichkeit, als das Quintett kurz nach 21 Uhr die Bühne entert – eine Vorband gibt es nicht. Knapp zwei Stunden später sind auch die Novizen um die Entdeckung einer hochinteressanten Postrockband reicher. Besetzungstechnisch finden wir hier einen Drummer, einen Bassisten, einen Keyboarder mit diversen Manualen und einem Laptop, einen Gitarristen und einen Multiinstrumentalisten. Letzterer hat auch ein Keyboard vor sich, dazu aber noch ein Glockenspiel und zwei zusätzliche Trommeln, und hinter ihm befindet sich noch eine Armada an Blasinstrumenten, nämlich eine Trompete, ein Flügelhorn und ein Euphonium bzw. eine kleine Tuba – und wenn man denkt, das sei nun aber alles, greift er im Closer „Forgotten River“ auch noch zu einem Dudelsack, während der Gitarrist nebenamtlich als Tastenmann agiert und selbst der Bassist in der ersten Hälfte des vorletzten Songkomplexes „Lonely Bird/Silenced Dalian“ noch an einen Baß-Synthie wechselt.
Dieses Arsenal läßt ein interessantes Klangbild vermuten, und das bewahrheitet sich auch schnell. Wang Wen sind grundsätzlich im Postrock zu verorten, setzen also kleine Motive geduldig, schrittweise und oftmals in Vielfachen von 4 zusammen, bauen lehrbuchreife Dynamikentwicklungen ein, halten ihren Drummer überwiegend in recht schleppenden, nicht über Midtempo hinausgehenden Tempolagen – und wenn sie für die konsequente Umsetzung einer Idee mehr als zehn Minuten brauchen, dann nehmen sie sich die halt auch. Zwar kann der postrockgeübte Hörer die Lage und Gestalt des nächsten Breaks in einigen Fällen recht genau voraussagen, aber einerseits ist die Band trotzdem auch strukturell für manch eine Überraschung gut, und andererseits schafft die Übersichtlichkeit eben zugleich automatisch Vertrautheit, ohne dass man sich deswegen irgendwie zu schämen brauchte.
So weit, so normal. Aber dazu treten die beiden grundlegenden Überraschungsfaktoren. Zum einen sind Wang Wen Chinesen, und obwohl das nicht automatisch bedeuten muß, dass sie mit asiatischen Melodien, Harmonien und Strukturen arbeiten (es klingt ja auch nicht jede deutsche Band nach Heino oder Rammstein), so tun sie das doch – und sie fahren gut damit. Originäre Instrumente aus ihrem Kulturkreis spielen sie freilich nicht, aber aus den vielen im Einsatz befindlichen Synthies kommt ziemlich oft ein Sound, den man automatisch im östlichen Asien verorten würde, von der entsprechenden Melodik ganz zu schweigen. Der DDR-musiksozialisierte Hörer denkt an einigen Stellen mit wohlig-wissendem Grinsen an die A-Seite der Pond-LP Auf der Seidenstraße, die viele Menschen aus dem deutschen Arbeiter-und-Bauern-Staat mit diesen Klangwelten vertraut gemacht haben dürfte (die gleichfalls sehr bekannten und grundsätzlich ähnlichen Bayon bezogen ihre Einflüsse eher aus Südostasien). Aber hier gibt es sozusagen das Original zu hören, zwar wie erwähnt nicht auf Live-Instrumentarium, aber das braucht es in diesem Kontext auch nicht.
Statt dessen haben wir ja da noch den anderen Überraschungsfaktor, nämlich all das, was der erwähnte Multiinstrumentalist so einwirft. Trompeten und andere Blechblasinstrumente sind in der harten Musik, vom Ska-Punk und dem ganzen John-Zorn-Avantgarde-Zirkel mal abgesehen, bekanntlich nicht sonderlich verbreitet, und hier ergibt sich die Möglichkeit, eine interessante zusätzliche Palette an Klangfarben einzubauen, die Trompete dabei natürlich mit den gängigen Erweiterungsoptionen, also auch mal mit Dämpfer etc., während das Flügelhorn ein seltener Gast bleibt und die Tuba jeweils ein bißchen Zeit braucht, bis sie der (bandeigene) Soundmensch ins jeweilige angemessene klangliche Licht gerückt hat. Das Gesamtklangbild ist allerdings sehr klar und in angenehmer Lautstärke gehalten, dabei aber trotzdem so druckvoll, dass jede Menge Energie transportiert werden kann, sofern’s drauf ankommt – und in so manchem Bombastfinale großer Songs kommt’s definitiv drauf an, wobei keine Lärmwände entstehen, sondern nach wie vor klare Strukturen erkennbar bleiben, was in ähnlichen Fällen durchaus gewissen Seltenheitswert besitzt. Im balladenartig anhebenden „Painful Clown“ greift der Gitarrist außerdem noch zum Mikrofon, das er sonst nur für die wortschatzseitig begrenzten und doch sympathischen Ansagen gebraucht, und singt in einer leicht angerauhten Tonlage – frage keiner den Rezensenten, welche Sprache das war. Im Grande Finale von „Lonely God/8th Layer Hell“, das den regulären Set abschließt, gibt es noch einmal Vocals von ihm, diesmal allerdings heftiges Brüllkreischen. Ansonsten kokettiert der Mann mit dem Umstand, dass er auf der Bühne sitzen muß – er hat sich letzten Winter beim Skaten das Bein gebrochen, und der zweite Gitarrist, der planmäßig zur Besetzung gehört, fehlt ganz und konnte auch nicht operativ ersetzt werden. Zumindest der Rezensent, der die Band wie erwähnt zum ersten Mal live sieht, vermißt eine zweite Gitarre im Livesound indes nicht.
So hält dieses Konzert fast durchgängig ein sehr hohes Niveau, einzig das etwas zu smoothjazzige „If Tomorrow Comes“ fällt ein klein wenig ab. Der Gesamteindruck stimmt jedenfalls nahezu uneingeschränkt positiv, das Publikum zeigt sich ebenfalls zufrieden und ist so geplättet, dass zwar der Schlußapplaus nach knapp zwei Stunden sehr intensiv ausfällt, aber keiner eine Zugabe einfordert, wobei der Soundmensch auch ziemlich schnell die Pausenmusik wieder einschaltet, so dass man vermutet, dass vielleicht gar keine Zugabe geplant war. Bei einem nachträglichen Blick auf die Setlisten anderer Gigs der Tour erweist sich freilich, dass „Lonely Bird/Silenced Dalian“ und „Forgotten River“ wohl als Zugaben gedacht gewesen waren, was indes kommunikationstechnisch ein wenig untergegangen ist. Aber egal – Wang Wen gehören zu den erfreulichsten Kulturexporten Chinas, konstatiert man in der Bilanz dieses Gigs, und man freut sich, sie irgendwann wiederzusehen.

Roland Ludwig


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