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Äthiopische Schatten gegen protestantische Strenge: Das Santa Monica High School Symphony Orchestra im Leipziger Gewandhaus

Info

Künstler: Santa Monica High School Symphony Orchestra

Zeit: 28.03.2024

Ort: Leipzig, Gewandhaus, Großer Saal

Internet:
http://www.samohiorchestras.com

Gegründet 1903, gehört das Santa Monica High School Symphony Orchestra zu den ältesten Klangkörpern dieser Art in den USA. In Europa war das Orchester schon mehrfach unterwegs, letztmalig 2014 – zehn Jahre später steht nun über Ostern ein Deutschlandtrip auf dem Programm, der neben zwei Konzerten im Leipziger Gewandhaus und in der Berliner Philharmonie auch musikalische Kurse für die Jugendlichen und natürlich kulturelles Sightseeing beinhaltet. Das Orchester ist an eine öffentliche High School angebunden und besteht ausschließlich aus aktiven Schülern – es sind also keine Alumni am Start, wie das in anderen Jugendorchestern oft praktiziert wird. Die Zahl derjenigen Musiker, die 2014 schon mit dabei waren, dürfte also bei Null liegen. Eher überschaubar ist leider die Zahl der Besucher im Gewandhaus, erfreulich dagegen der Aspekt, daß viele Jugendliche im Publikum sitzen, und die machen schon nach der kurzen, in Englisch gehaltenen Anmoderation applaustechnisch Lärm für mindestens die doppelte Kopfzahl.

In die Leitung der fünf Werke des Programms teilen sich gleich drei Dirigenten. Felix Mendelssohn Bartholdys Konzertouvertüre Nr. 2 op. 26 „Die Hebriden“ eröffnet den Abend. (Roland hatte die Ouvertüre bereits einige Tage zuvor in Gera) gehört; Red.) Jim Wang wählt ein breit schwingendes, aber durchaus nicht langsames Tempo und eine Klangstrategie, die den dem Werk innewohnenden Naturalismus deutlich herausarbeitet, und das bewältigen die jungen Musiker trotz des Aspektes, daß ihre heimische Küste so ganz anders aussehen dürfte als die auf den Hebriden. Der Dynamikaspekt gelingt gut, auch wenn die Tutti noch etwas zu sehr ineinanderlaufen und vor allem das Blech einige Anlaufschwierigkeiten offenbart. Aber die Gesamtstimmung ist erstmal positiv.

Der Rang Ernest Blochs als Komponist ist in der Neuen Welt deutlich höher als in der Alten. Jason Aiello leitet an diesem Abend den dritten Satz, „Pastoral And Rustic Dances“, aus dem Concerto grosso Nr. 1 für Streicher und obligates Klavier, wobei die nicht beteiligten Musiker (das ist das Gros – auch die Streicher spielen nur in Kammermusikbesetzung) nicht die Bühne verlassen, sondern kurzerhand sitzenbleiben. Es entwickelt sich zunächst eine sehr bedächtige Klanglandschaft, geprägt durch eine markante Solovioline, und nach einer schrittweisen Steigerung landen wir im ersten Tanzthema, einem sehr flotten gleich. In der Folge entspinnt sich ein bunter Mix aus Tempi und Stimmungen, zu dem man phasenweise tatsächlich das Tanzbein schwingen könnte. Aiello dirigiert mit weit ausschwingenden Bewegungen, läßt den exzellenten Choral aus Bratschen und Celli aber komplett autonom laufen und wird mit einer Klasseleistung dieser beiden Fraktionen belohnt. Die klangliche Einbindung der Kontrabässe ist etwas schwieriger, da sie sich sehr weit abseits der anderen Musiker befinden – aber man muß sich dann eben etwas stärker auf sie konzentrieren, um die Zusammengehörigkeit zu erschließen. Ein hübsches Stück, wenngleich insgesamt eher unauffällig, von dem erwähnten wunderbaren Choral mal abgesehen.


Den Namen Florence Price liest man hierzulande sehr selten auf Konzertprogrammen, obwohl gleich drei Voraussetzungen erfüllt sind, um in den aktuellen Zeitgeist zu passen: Sie war eine Frau, sie war schwarz, und sie hat im 20. Jahrhundert komponiert, ohne die Zuhörer schreiend aus dem Konzertsaal treiben zu wollen. Das Stück „Ethiopia’s Shadow In America“ befaßt sich dann auch noch mit den kulturellen Einflüssen, die mit den afrikanischen Sklaven in die Neue Welt gelangt sind. Der kammermusikalische Auftakt gerät sehr nervös, die Festigung braucht ein wenig Zeit, aber beim ersten Bombasttutti nach einer markanten Generalpause hat Kevin McKeown alle Beteiligten angebunden. Die nur durch kurze Tempoanflüge unterbrochene bedächtige Entwicklung setzt sich geraume Zeit fort, aber schon hier finden sich interessante Dynamikelemente, was sich freilich bald steigert, indem die Komponistin ins jazzorientierte Fach wechselt – und so locker grooven kann man als amerikanisches Jugendorchester wahrscheinlich leichter, als das einem gestandenen deutschen Sinfonieorchester möglich wäre. Da klöppeln Glockenspiel und Xylophon, da liefern kleine und große Trommel herrliche Offbeats, da verwandelt sich das Orchester praktisch in eine riesige BigBand, die aber nie vergißt, wann sie in die strenge Orchesterwelt zurückkehren muß. Sehnsuchtsvolles Schwelgen wird mit Violin- und Cellosoli garniert, der Jazz kommt mehrfach zurück, und es fällt ein extrem harter Beckensound auf, der markant aus der Klangwelt hervorsticht. Eine breaklastige Hinleitung führt zum Finalbombast, der mit lautem und verdientem Jubel aus dem Publikum quittiert wird – dem Stück würde man unter passenden Voraussetzungen gern mal wieder begegnen und auch wissen, was die in den USA mittlerweile schon „wiederentdeckte“ Frau noch so geschrieben hat.

Nach der Pause wagen sich die jungen Amerikaner an einen deutschen sinfonischen Brocken, nämlich die Sinfonie Nr. 2 D-Dur op. 73 von Johannes Brahms, geleitet von Aiello, der auch wieder etwas Zeit braucht, bis der edle Hornton in der langsamen Einleitung eine qualitative Entsprechung in der Spielsicherheit findet, was dann erst im Hauptthema und den folgenden Tutti besser gelingt, auch wenn speziell das Blech Brahms bisweilen zum Avantgardisten stempelt, aber dann immer wieder mit dem erwähnten edlen Tonfall kontert. Aiello wählt im Allegro non troppo ein durchaus zügiges Tempo, das alle mitgehen können, und vor allem vom Holz hört man im Mittelteil so manches Gutes. Ach ja, und dann wäre da noch der ausgedehnte pizzikatodominierte Part im Finale dieses Satzes – hat man den schon mal mit so viel Witz gehört, wie ihn diese jungen Amerikaner hier reinlegen, dem protestantisch-strengen Norddeutschen so manches von seiner Strenge nehmend?
Das Adagio non troppo legt der Dirigent von vornherein nicht allzu schwerblütig an – er spielt schließlich nicht Bruckner. Trotzdem gilt auch hier wieder: So federleicht wie phasenweise in diesem Satz hört man Brahms selten, und da sieht man als Hörer auch gern darüber hinweg, daß spiel- wie zusammenspieltechnisch nicht immer alles klappt. Außerdem überzeugt Aiellos Binnendynamik in diesem Satz.

Das Allegretto grazioso (quasi andantino) nimmt der Dirigent wörtlich – graziös ist das zumindest phasenweise tatsächlich, was seine jungen Musiker da abliefern. Da kommt gleich in der Einleitung viel Lockerheit und Eleganz aus Holz und Celli, da zieht das Hauptthema zwar nach vorn, aber das elegante Midtempo gewinnt.
Das Allegro con spirito hält noch eine besondere Überraschung parat, nachdem der holprige Start überwunden und im Hauptthema die nötige Schärfe evoziert ist. In der Folge des Satzes spielt der Pauker nämlich derart groovig-leicht, daß der Eindruck vom Finale des ersten Satzes sogar noch übertroffen wird, und auch viele der Tutti gelingen derart „undeutsch“, daß man nur noch die sprichwörtlichen Bauklötze staunt, was man aus Brahms so alles herausholen kann, ohne ihn zu vergewaltigen. Aiello macht Tempo, wenn nötig, und rechtzeitig zum Grande Finale ist auch die notwendige Schärfe wieder da, angekündigt vom Konzertmeister und umgesetzt von allen, inclusive dem Pauker, der hier nun wieder perfekt-hölzern herumdonnert und jede Menge Energie freisetzt. Eine ungewöhnliche Brahms-Lesart, aber eine, an die man sich gewöhnen könnte.

Mit Aaron Copland beschließt ein weiterer Amerikaner das Programm – nicht die „Fanfare For The Common Man“, die man hierzulande in 90% der Fälle hört, wenn irgendwas von ihm gespielt wird, sondern der „Hoe-down“ aus dem Ballett „Rodeo“. Das Stück wechselt munter zwischen scharfem Speed, groovigen Märschen und progressiv-verschleppten Passagen, alles sehr spielfreudig umgesetzt und einen markanten Breakdown vor dem powernden Schluß auffahrend. Das eher kurze Stück wird intensiv bejubelt – eine Zugabe entlocken lassen sich die jungen Amerikaner aber nicht (eher ungewöhnlich für ein Jugendorchester, von denen im Gegensatz zu „Erwachsenenorchestern“ viele oft und gern Zugaben auspacken). Egal: Hier ist viel Gutes und Interessantes zu hören gewesen, und man freut sich auf ein Wiedersehen und -hören.

Roland Ludwig


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