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„Ich lese Heavy Metal“ - Der Soziologe Hartmut Rosa enttarnt die Metal-Fans als Bildungsbürger der Pop-Kultur

Info

Autor: Hartmut Rosa

Titel: When Monsters roar and Angels sing. Eine kleine Soziologie des Heavy Metal (Metalbook, Vol. 1)

Verlag: Kohlhammer

ISBN: 978-3-17-042648-1

Preis: € 20

187 Seiten

Der typische Heavy Metal Fan stammt aus eher bildungsfernen Schichten, neigt zu oft Alkohol bedingter Gewalttätigkeit, hat ein recht schlichtes schwarz-weißes Weltbild und hört triviale grobschlächtige Musik, die vor allem laut ist und von Gewalt verherrlichenden, Frauen verachtenden oft sogar den Teufel anbetenden Texten begleitet wird. So oder ähnlich sehen die Klischees aus, die dem Fan von Hard Rock und Metal oft entgegengebracht werden.

Warum macht sich dann einer der führenden Soziologen Deutschlands daran eine Soziologie des Heavy Metals zu verfassen? Eigentlich kann das doch nur eine Art Bloßstellung der Simpels durch einen hochnäsigen Vertreter des Bildungsbürgertums sein, der sich Streicheleinheiten in den Spalten der Feuilletons erhofft. Aber die überraschende Antwort: Der Mann hört diese Musik nicht nur gerne, er macht sie sogar selbst als Hobby-Keyboarder in Amateur-Bands.

Dass Rosa sich mit diesem Buch auf einen Drahtseilakt einlässt, weiß er selbst. „Wenn ich es schlecht mache, legen die Musikfans das Buch … beiseite, weil ihnen das `Soziologengeschwurbel` zu abgehoben und substanzlos vorkommt, und zugleich verliere ich die Anhängerinnen meiner soziologischen Theorien, weil sie nicht glauben können, dass ich solch klischeehaftes und brutales Zeug, solchen rohen Krach theoretisch ernst nehme…“ (S. 25)

Die Soziologen, deren Lieblingsfach im Studium „Statistik“ war, dürften die ersten sein, die Rosa verliert. Seine Studie ist empirisch, aber nicht quantitativ. Statistisches Material über die soziale Zusammensetzung der Metal-Hörer müsste wohl auch erst mühsam erhoben werden. Vor allem müsste erst einmal definiert werden, welche Gruppe denn da ins Auge gefasst wird. Vielen wäre das Wacken-Publikum da schon viel zu weit gesteckt. Andere würden langjährige Hörer, die kaum in Konzerte gehen, keine Kutten tragen, keinem Fan-Club angehören und sogar Phil Collins noch als hörbar empfinden, aber seit 40 Jahren harte, härtere und ganz harte Bands im CD-Player haben, selbstverständlich dazu zählen.

Rosa ergründet sein Subjekt durch eine Art teilnehmende Beobachtung, die sich manchmal auf Äußerlichkeiten bezieht, die vor allem die Liebe und Intensität der Metal-Hörer zu ihrem Gegenstand deutlich machen. So beobachtet er, dass Metal-Fans, die im Plattenladen eine falsch eingeordnete Platte sehen, häufig dafür sorgen, dass sie an die richtige Stelle zurück kommt. Er führt das auf die Hochachtung der Fans für „ihre“ Musik zurück, die auch dazu führt, dass es keine andere Musiksparte gibt, in der die Fans so in das Wissen um ihr Bands einsteigen. Metal-Fans wissen, auf welchem Album ein Stück ihrer Favoriten erschienen ist, wer dort Bass gespielt hat, wer das Album produziert hat und oft auch, wer das Artwork gestaltet hat.


Der Download einzelner Stücke ist für den Metal-Fan höchstens eine Option, um im Vorfeld der Veröffentlichung eines neuen Albums schon einmal mitzubekommen, wohin der Hase laufen wird. Metal-Fans kennen oft schon Monate vor dem Erscheinen eines Albums viele Details. Grundlage dafür sind Metal- und Hard Rock-Magazine, die Fans dieser Stilrichtung, genau wie die Tonträger, physisch in den Händen halten wollen. Während sich in anderen Genres bestenfalls noch ein Magazin mühsam in den Läden hält, hat der Kunde zumindest in der Bahnhofsbuchhandlung die Qual der Wahl unter mindestens zwei Dutzend Magazinen im Bereich Hard Rock, Metal und in angrenzenden Gebieten wie Classic Rock, Prog, Punk, die auch in den Metal Magazinen regelmäßig zumindest als Inspirationsquellen auftauchen. Der Slogan „Ich lese Heavy Metal“ mit dem das Magazin Rock Hard jahrelang für sich geworben hat, könnte fast so etwas wie ein Fazit von Rosas Arbeit sein.

Wer einwendet, dass auch Lady Gaga-Fans (der Name ist fast beliebig austauschbar) begierig nach „Informationen“ über ihre Künstlerin Ausschau halten, vergleicht den, der im Golden Blatt die Berichte über die Royals verschlingt, mit dem, der die politische Karriere von Robert Habeck verfolgt (auch der Name ist je nach politischer Vorliebe austauschbar).

Die angebliche politische Rechtsorientierung, die dem musikalischen Steinzeitmenschen „Heavy Metal-Fan“, gerne nachgesagt wird, weist Rosa zurück. Zu Recht. Gewalt-verherrlichende und anti-humane Bands werden in Interviews zwar oft von kritischen Fragen verschont. Das lässt sich in der Regel aber wohl tatsächlich darauf zurückführen, dass diese Texte von Fans (und Musikern) ähnlich ernst genommen werden, wie Zombie-Filme. Man sehe sich z.B. das kultige Video zu Zodiac Mindwarps „Prime Mover“ an, oder die Twisted Sister Videos, in denen Lehrer und Väter auf teils brutale Weise durch den Kakao gezogen werden.
Grundlagenwerk von Hartmut Rosa, 815 Seiten, 2019


In den Editorials und vor allem in den Leserbriefspalten weht ein ganz anderer Band. U.a. an Auseinandersetzungen um und mit der Band Slayer, die einen umstrittenen Song über den KZ-Arzt Mengele veröffentlicht hat, den Böhsen Onkelz, die in den Medien lange Zeit als Prototyp der Rechten Bands galt, und dem Iced Earth-Kopf Jon Schaffer, der an der Erstürmung des Capitols beteiligt war, kann Rosa deutlich machen, dass die Metal Community eher im links-liberalen Bereich zu verorten ist.

Bis hierhin dürfte Rosa seine open minded Kollegen nicht verloren habe; die Metal-Fans aufgrund seiner großzügigen Rehabilitation ihrer Spezies sowieso nicht.

Das mag aber geschehen, wenn er beginnt den Metal mit Hilfe der von ihm selbst entwickelten Resonanztheorie zu betrachten, die er 2019 in einem gut 800 Seiten starken Wissenschaftswälzer dargestellt hat. Vielleicht ist meine Vorstellung von Soziologie zu eng. Ich bin kein Soziologe. Aber in meinen Augen verlässt Rosa spätestens mit dem fünften Kapitel den Bereich der Soziologie und begibt sich in einen Raum, der sich zwischen Musikphänomenologie, Neurologie, Psychologie und Religionswissenschaft befindet.

Rosa versucht zu beschreiben, was passiert, wenn Metal-Fans Metal laut(!) hören und behauptet zumindest implizit, dass das eben nur bei Metal passiert und nicht bei anderen Musikstilen. Er beschreibt das, was passiert, als ganzheitliches Phänomen, das Körper, Geist und Seele(?) gleichermaßen erfasst, so dass Metal-Hören im eigentlichen Sinn im Prinzip nicht im Sessel geschehen kann, da das wirkliche Metal-Hören den Körper nicht nur erreicht (Lautstärke!), sondern ihn auch in Bewegung versetzt.

Metal versetzt den Hörer in Resonanz nicht nur mit sich selbst, der Musik, sondern auch mit der Wirklichkeit an sich, so formuliere ich es jetzt einmal. Damit ermöglicht das Hören von Metal-Musik echte Transzendenz-Erfahrung, die die im „Normalzustand“ erfahrbare Realität sprengt.

Wenn Rosa dann auch noch von der Unverfügbarkeit dieser Erfahrung spricht, liegt er sehr dicht an der Art, in der z.B. der Theologe Paul Tillich die Erfahrung des Religiösen beschreibt. Gemeinsam ist beiden, dass sie die transzendierende Erfahrung in der Musik, bzw. dem Glauben, als Etwas beschreiben, dass man nicht einfach machen kann, das einem in manchen Situationen auch gar nicht zugänglich ist, weil man in einer ungeeigneten Disposition ist.

Paul Tillich beschreibt den Moment, in dem die religiöse Erfahrung gemacht wird als „Kairos“, einen Moment, der sozusagen den Himmel öffnet, und der alles andere als Alltag ist. Rosa formuliert hier nahezu parallel. „Es sind seltene, intensive Erfahrungen der Tiefenresonanz, die mit einem Album oder in einem Konzert gemacht werden, welche Metalfans dazu bringen, von Konzert zu Konzert und von Album zu Album nach ihnen zu suchen.“ (S. 124)

Rosa bemüht für die Beschreibung solcher Momente, den auch in Rock-Zeitschriften immer wieder so oder ähnlich benutzten Begriff der „Ganzkörpergänsehaut“. Diese Momente können nicht einfach beliebig wiederholt werden, denn „ihre Nicht-Erzwingbarkeit, ihre Unverfügbarkeit [ist] ganz offensichtlich eines ihrer konstitutiven Merkmale“. (S. 85)

Aber der Kairos kann im Alltag erinnert werden, z.B. im Gebet oder im Ritual, oder eben im Hören eines Albums oder beim Besuch eines Konzertes.

Rosa bricht mit Where Monsters roar and Angels sing also eine doppelte Lanze, sowohl für den Metal-Fan als auch für den Metal selbst. Beide holt er heraus aus dem Ruch der Oberflächlichkeit und Belanglosigkeit und weist ihnen einen Platz im Oberhaus der Kultur zu, dem immer schon der Anspruch zugesprochen wurde, zu einem tieferen Verständnis der menschlichen Existenz beizutragen. Chapeau!

Norbert von Fransecky


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