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Mit "Fuck Your Fear" räumt man schon zu Beginn das neuen Albums Acetylene mit der Angst in den Köpfen auf. Eine Angst, die begünstigt durch den 11. September, von der US-amerikanischen Regierung kompromisslos ausgenutzt wird, um ihre Interessen in der ganzen Welt nun mit Macht durchzusetzen. Und überhaupt ist, im Gegensatz zu ihren vorhergegangenen, eher melancholisch-balladesken Werken, hier viel, viel Wut auszumachen, eine Wut, die sich konsequenterweise in Form von überaus rockiger Heavyness ausdrückt. Und gerade diese schon etwas ungewöhnlichen Töne sind es, die aufhorchen lassen, was die Walkabouts um Carla Torgerson und Chris Eckman in erster Instanz mit Acetylene auch bezwecken. Trotzdem herrscht schon noch etwas Erklärungsbedarfs ob des radikalen Wandels der Band, den uns Chris Eckman aber an dieser Stelle bietet.
MAS:
"Acetylene", eure neue Platte, rockt, wenn man es einmal so sagen darf, wie die Hölle. Wie kam dieser plötzliche Richtungswandel zustande?
Chris Eckman:
Ich denke, da spielen viele Gründe eine Rolle - Frustration, ein gewisser Grad an Verzweiflung und vor allem die gegenwärtige Situation in der gesamten Welt. Wir waren einfach nicht in der Lage, zu diesem Zeitpunkt ruhigere Songs zu schreiben und so packten wir die Gelegenheit bei Schopf, endlich einmal wieder eine Platte zu machen, die auch richtig rockt. Aber es kam wirklich einer Gruppentherapie gleich, einmal wieder richtig loszurocken und hiermit gleichzeitig unsere Statements über die ganzen zerfahrenen Situationen, über den Krieg im Irak bis hin zu der Lage im eigenen Land, loszuwerden.
MAS:
Viele Amerikaner, mit denen ich in letzter Zeit sprach, sind frustriert darüber, dass das Land und seine Bewohner es nicht geschafft hat, eine zweite Amtsperiode von George W. Bush zu verhindern. Und das gibt, wie bei euch, wahrlich genug Stoff, mit dieser ganzen Thematik Alben zu füllen.
Chris Eckman:
Genau, aber das ist eben nur ein Aspekt unserer ganzen Frustration. Das fing mit den Dingen an, die nach dem 11. September passierten, die Gesetze gegen den Terrorismus und alle Bestimmungen, welche die Regierung im Namen des 11. September durchsetzen konnte, um die Freiheit im eigenen Land einzuschränken und der Welt quasi den Krieg zu erklären. Im Namen des 11. September marschierte man in Afghanistan ein, im Irak, tötete 100.000 Leute, nur weil man der Ansicht war, dass die eigene Freiheit in Gefahr war. Aber wir sind eine Demokratie, der Präsident wird vom Volk gewählt und ist somit berechtigt, im Namen des Volkes solche Handlungen vorzunehmen. Somit ist es schon schwierig, hier einen exakten Strich zwischen Gut und Böse zu ziehen und gerade das ist es, was uns in der gegenwärtigen Situation, die aber exemplarisch für alle Dinge ist, die auf der Welt passieren, so frustriert macht.
MAS:
Kann man deshalb Titel wie "Fuck Your Fear", "Kalashnikov" oder "Acetylene" als euren Spiegel auf die heutige Zeit sehen?
Chris Eckman:
Ja, man kann diese Songs als Spiegel, Reaktion und Verzweiflungsschreie unsererseits betrachten. Beispielsweise beschäftigt sich "Fuck Your Fear" mit der Furcht, die einem durch einen anonymen und eigentlich so nicht existierenden Feind im eigene Land suggeriert wird. Alle leben von dieser nach dem 11. September geschürten Furcht - die Regierung, die Konzerne, die Medien und die Kirchen. Wir versuchen mit unseren beschränkten Mitteln, die Leute aufzurütteln und ihre Furcht vor Dingen, die in dieser Form eigentlich überhaupt nicht existent sind, zu besiegen. Denn das Schüren dieser Angst und vor allem die Sensationsgier nach dieser Angst begünstigten doch erst solche Maßnahmen wie den Krieg im Irak. Denn ein Volk in Angst läßt sich überaus leicht führen. Und das ist es, mit was sich gerade ein Song wie "Fuck Your Fear" beschäftigt. Beispielsweise hat sich auch gerade ein Michael Moore mit seinem Film "9/11" mit diesem Thema beschäftigt. Er wurde aber von einem Großteil der amerikanischen Bevölkerung leider nicht ernst genommen, denn sonst hätte es wohl nicht passieren können, daß ein George W. Bush die Wahl zum Präsidenten zum zweiten Mal gewinnt. Und das es ein zweites Mal passierte, gibt der bisher gefahrenen Politik dieser Regierung noch Recht. Der Song "Kalashnikov" bezieht sich dagegen auf den sogenannten Terrorismus. Sogenannt deswegen, weil die Definition eines Terroristen immer eine politische Definition ist. Die eine Gruppe spricht von Terroristen, die andere wiederum von Friedenskämpfern. Es ist immer eine Art der Auslegung.
MAS:
Das bedeutet mit Blick auf die Walkabouts aber nicht, dass es nie mehr die so typischen Balladen im Stil von "Follow Me An Angel", "Last Tears" oder "Till I Reach You" geben wird?
Chris Eckman:
Nein, auf keinen Fall. Unsere Alben waren bisher immer, wie vorhin schon angesprochen, Reaktionen auf die Dinge, die um uns herum passieren. Und ich hoffe, daß sich diese irgendwann wieder normalisieren werden.
MAS:
Was für Walkabouts werden wir dann auf eurer nächsten Tour zu sehen bekommen?
Chris Eckman:
Ich denke, die verärgerten und bösen Walkabouts (lacht). Aber ich denke, dass unsere neue Platte auch live gut funktioniert, da das Rock'n Roll ist, was wir hier spielen und da die Umsetzung der rockigeren Sachen auf der Bühne schon eine angenehme und dankbare Sache ist. Aber letztendlich richtet sich die Gestaltung eines Abends immer nach der aktuellen Situation und den Stimmungen, in denen wir uns gerade befinden.
MAS:
Meiner Meinung nach ist "The Last Ones", was auch zufälligerweise der letzte Song der Platte ist, das beste Stück Musik, welches Neil Young nie geschrieben hat. Auffällig ist auch, dass meiner Meinung nach dieser Musiker euch schon irgendwie für euer neues Album beeinflusst hat?
Chris Eckman:
Aber eher unbewusst. Eher ist "Acetylene" und speziell auch ein Song wie eben "The Last Ones" als Resultat meiner musikalischen Entwicklung zu sehen. Abe immer, wenn elektrische Gitarren den Walkabouts-Sound bestimmen, ist eine gewisse Affinität in Richtung Neil Young auszumachen. Das liegt aber nicht unbedingt daran, dass er uns maßgeblich beeinflußte, obwohl ich ihn sehr schätze, sondern von der ähnlichen Art und Weise, Gitarre zu spielen, da ich selbst anhand seiner Platten Gitarre spielen lernte.
MAS:
Im letzten Jahr erschienen von Carla und dir jeweils die ersten Soloplatten. Welche Prioritäten besitzen diese in Bezug auf eure Arbeit bei den Walkabouts?
Chris Eckman:
Ich kann selbst nicht für Carla sprechen aber ich selbst befand mich zu dieser Zeit, also im letzten Jahr, in der Situation, daß ich endlich mein eigenes Studio hatte und hier Songs einspielte, die schon überaus ruhig und düster waren und so nicht unbedingt ins Walkabouts-Konzept passten. Es waren schnell eine Reihe von Songs fertig und es war wirklich befriedigend, einmal ein Album in einer relativ kurzen Zeit einzuspielen und fertigzustellen. Es war eine vollkommen neue Freiheit, die sich mir hier bot, da ich mich einmal nicht darauf einstellen mußte, in welcher Verfassung die Band war, sondern einfach das machen konnte, was mir auf den Herzen lag. Das war eine Erfahrung, die ich dringend nötig hatte.
Carsten Agthe
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