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Titel: Sibiriens vergessene Klaviere
Verlag: Piper
ISBN: 978-3-492-31287-5
Preis: € 14
398 Seiten
Sibirien. Das ist nicht nur einfach eine geographische Angabe. Sibirien. Das ist ein Symbol, in dem vieles mitschwingt – Kälte, Einsamkeit, Straflager, der sowjetische Gulag, Hoffnungslosigkeit, Verbannung. Womit man bei dem Wort Sibirien wohl kaum rechnet, ist eine Verbindung mit dem elitären Musikinstrument Klavier. Aber genau das ist das Thema von Sophy Roberts: Sibiriens vergessene Klaviere.
Auf gut 300 Seiten erzählt Roberts von Klavieren, die auf teilweise abenteuerliche Weise per Schiff, Schlitten, Kutsche oder Auto in das riesige Land gekommen sind. Vor allem aber erzählt sie von ihren verschiedenen Recherchereisen in das riesige Land. Ganz chronologisch geht sie nicht vor. Zum Teil mischt sie Teile unterschiedlicher Reisen.
Wie sie auf die Idee zu dieser Forschungsarbeit gekommen ist, sagt sie nicht. Auch wo sie die Informationen zu den einzelnen Klavieren (oft mit Seriennumern) her hat, wie und wo sie recherchiert hat, kommt nur gelegentlich in Nebenbemerkungen zur Sprache. Offensichtlich hat sie zum Teil Aufrufe in russischen Medien machen können, hat die Archive verschiedener Klavierbauer genutzt und wurde oft bei der Recherche vor Ort auf neue Spuren aufmerksam gemacht.
Die institutionelle Verankerung bleibt ebenfalls offen. War sie für eine wissenschaftliche Einrichtung unterwegs? Wer hat die verschiedenen Reisen nach Sibirien finanziert? Wie war das mit der Zusammenarbeit mit den sibirischen Behörden? Dass das nicht immer leicht war, wird angedeutet. Hatte sie da Unterstützung? Von wem?
Auch wenn viele Fragen offen bleiben und gar nicht so ganz deutlich wird, welche Klaviere sie denn nun gefunden hat und welche sie als die identifiziert hat, die sie gesucht hat, ist das nicht schlimm. Denn, das muss ich sagen, die Klaviere sind eigentlich das am wenigsten Interessante an ihrem Buch.
Spannend zu lesen war dabei vor allem, wie stark das zaristische Russland in die europäische Kultur eingebunden war, welch umfangreiche eigene Klavierproduktion es in Russland gegeben hat, wie gerade Sibirien durch die Verbannten und Deportierten zu einem kulturellen Zentrum des russischen Reichs wurde. Ebenso spannend sind die Berichte von Gesprächen mit zum Teil hochinteressanten Menschen, die versucht haben Roberts mit ihren Erinnerungen bei ihrer Suche weiter zu helfen.
Das Buch hat eine doppelte Gliederung. Der erste Teil betrachtet das zaristische Russland von 1762 (Regierungsantritt von Katharina der Großen) bis zur russischen Revolution 1917. Dann folgt die Zeit der Sowjetunion. Der dritte, kürzeste, Teil befasst sich mit der Zeit von 1992 bis heute.
Innerhalb dieser Teile ist der Text nach den Regionen gegliedert, in denen Roberts nach Klavieren gesucht hat.
Ob Klavier-Nerds an dem Buch viel Freude haben werden, weiß ich nicht. Wer seine Klischee-Vorstellung von Sibirien los werden will, ist bei Sophy Roberts aber an der besten Adresse.
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