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Adiós, Señor: Die Robert-Schumann-Philharmonie spielt im Abschiedskonzert ihres GMD Guillermo García Calvo ihren Namenspatron sowie Bruckner

Info

Künstler: Robert-Schumann-Philharmonie

Zeit: 07.06.2023

Ort: Chemnitz, Stadthalle, Großer Saal

Fotograf: Kati Hilmer (Theater Chemnitz)

Internet:
http://www.theater-chemnitz.de

Seit der Saison 2017/18 wirkt Guillermo García Calvo als Generalmusikdirektor in Chemnitz – mit dem letzten Sinfoniekonzert der Saison 2022/23 sagt er nun Adiós zu diesem Amt. Sein Vorvorgänger Niksa Bareza hatte in seinem Abschiedskonzert Bruckner gespielt, das tut García Calvo auch, wenngleich eine andere Sinfonie als damals 2007. Vorher stellt er uns aber noch einen jungen spanischen Landsmann als Klaviersolist vor, nämlich Javier Perianes, mit dem zusammen die Robert-Schumann-Philharmonie das Klavierkonzert a-Moll op. 54 ihres Namenspatrons intoniert.
Wo der Hase hier interpretatorisch entlangläuft, wird schon im eröffnenden Allegro affettuoso deutlich. Zunächst hören wir den Kontrast zwischen den hektischen Anfangstakten und dem entspannt ruhigen Fortgang noch in sehr hervorgehobener Weise, aber entspannt bleibt hier bald nichts mehr, nachdem der Pianist unauffällig wieder Hektik und Nervosität einschmuggelt und der Dirigent sich dieser Strategie anschließt. Wie auch der Mittelteil trotz scheinbar ruhigen Flusses unterschwellige Hektik atmet, muß man in dieser Subtilität erstmal hinbekommen, und spätestens hier ist dann auch dem Zweifler klar, dass das eine interpretatorische Entscheidung sein muß und nicht etwa auf Unzulänglichkeiten beispielsweise im Zusammenspiel zurückzuführen ist. Dass auch im Publikum viel Unruhe herrscht, paßt wider Willen ins Bild, das die ganze Zerrissenheit Schumanns in perfekter Weise transportiert. Dass man das Können des Pianisten gut durchhören kann, dafür sorgt der Dirigent mit gekonnter Orchestertransparenz, und nach der unspektakulären, aber soliden Kadenz hängt ein markanter und – wen wundert’s – nervöser Schluß an.
Gespannt durfte man nach diesem Satz auf das Intermezzo sein, immerhin ein Andantino grazioso. Und ja, graziös ist hier an diesem Abend wie erwartet wenig, einige der großen Verharrungen vielleicht, während Perianes auch in die leisen Passagen wieder diesen hektischen Unterton legt, trotz überschaubaren Tempos. Das ergibt hochinteressante Kontrastwirkungen etwa zum großen Cello-Choral, und den intensiven Spannungsaufbau im Finale dieses Satzes meistern alle wieder hochklassig. Dass ein Huster genau im falschen Moment die komplette Spannung zusammenfallen läßt, dafür können die Bühnenaktiven ja nichts.
Das Allegro vivace nimmt der Dirigent zügig, aber nicht überschnell, und Perianes muß die Hektik jetzt nicht mehr unterschwellig verstecken, sondern übernimmt mit ihrem Gestus konsequent die Führung – freilich nicht für lange. Schon die gelegentlichen Bombastausbrüche wirken nunmehr eher geerdet, die schnellen Passagen bekommen nach hinten heraus eine vivide Lebendigkeit, in der Hinleitung zum Finale lauern einige geschickt umgesetzte minimale Tempovariationen, und ein für Schumann-Verhältnisse ziemlich strahlender Schluß rundet das Bild einer schrittweisen Stimmungsaufhellung ab, die der Grundstrategie trotzdem nicht zuwiderläuft, sondern sie im Gegenteil erst richtig hervorhebt. Dafür gibt’s viel Applaus, für den der Pianist sich mit zwei Zugaben bedankt, zunächst einer längeren Chopin-Mazurka mit einem Grundcharakter ähnlich der Konzertinterpretation, also Hektik über langen Akkorden, bevor sich gegen Ende hin enorme Spannung entwickelt. Die zweite Zugabe, einen Diabelli-Walzer, bestreiten der Pianist und der Dirigent gemeinsam vierhändig am Klavier, ein knackig-witziges Stück. Den hektischen Eindruck verkörpert der Pianist aber auch noch auf eine andere Art und Weise: So schnell beim Abgehen und Wiederkommen ist sonst kaum jemand.

Niksa Bareza hatte sich anno 2007 mit der gewaltigen Achten Anton Bruckners vom Chemnitzer Publikum verabschiedet, Guillermo García Calvo wählt sozusagen die Hälfte aus, nämlich die Vierte in Es-Dur, die sogenannte Romantische, und zwar in der heute gängigen Fassung von 1878/80. Im ersten Satz entfaltet er zunächst eine schöne ruhige Atmosphäre, in der freilich das Horn und später auch das Holz bedenklich wackeln. Dass dies hier keine Strategie der Offenlegung etwaiger nervöser Schichten in der Komposition darstellt, wird freilich schnell klar. Das Tutti läßt der Dirigent breit schwingen, das Seitenthema tupft er hübsch hin, und auch die weiteren Tutti bleiben ein wenig diffus, werden aber bisweilen schon mit markanten Blechchorälen ausstaffiert. Die Trümpfe dieses Abends liegen aber vorerst in den bezaubernden Pianissimo-Entwicklungen über dem Paukenteppich, wo die Hörner zwar immer noch leicht wackeln, aber bisweilen auch am wünschenswerten butterweichen Gestus kratzen. Aber auch der Mix aus Streicherarpeggien und großen Blechchorälen überzeugt, zumal der Spanier am Pult geduldig Schicht für Schicht übereinanderlagert. Das Finale geht eher in die Breite, und die Hörner wackeln nochmal, aber das ist hier ein Nebenkriegsschauplatz.
Das Andante quasi Allegretto erfährt eine sehr behutsame Formung, und García Calvo erzeugt unauffällig ein erstaunlich treibendes Tempo. Der Trauerfaktor hält sich planmäßig lange Zeit in überschaubaren Grenzen, und die Hörner pendeln weiter zwischen Wacklern und zauberhaften Momenten, etwa mit der Flöte als Duettpartner. Die späteren Trauermärsche nimmt der Dirigent gezielt fahl, legt eine exzellente spannende Umgebung um diverse sinistre Teile, darf sich über schöne Tiefblechchoräle freuen, zieht das Finale noch weiter in die Breite als das des ersten Satzes und bekommt dort vom Orchester einen exzellenten Totenmarsch vorgesetzt, vom ausfasernden Schlußton mal abgesehen.
Die an diesem Abend erklingende Fassung ist die, die das bekannte Jagd-Scherzo enthält, und da spielen die Hörner naturgemäß eine ganz spezielle Rolle. Diesmal mutet ihr Spiel eher ineinanderfließend an, und García Calvo wählt ein ziemlich schnelles Tempo, nimmt dafür den Seitengedanken aber sehr weit zurück. In den weiteren Themendurchgängen agieren die Hörner dann aber deutlich zackiger, wobei auch hier die erstaunlich gute Transparenz auffällt und man etwa Holzbläser an Stellen hört, wo sie sonst oft und gern überdeckt werden. Das Trio nimmt der Dirigent sehr gemütlich, die Reprise entspricht fast deckungsgleich dem ersten Teil, allerdings mit dem markanten Unterschied, dass das Blech gleich von Anfang an zackiger agiert. Das Satzfinale wiederum enthält den bisher raumgreifendsten Bombast des Abends.
Setzt der Finalsatz da noch eins drauf? Die Lage bleibt spannend, schließlich hat sich der Dirigent für eine interessante Kombination entschieden: eine unterschwellig treibende Einleitung, dann aber ein betont zerklüftetes Hauptthema im Kontrast zu einem herrlich gemütlichen Seitenthema und tänzerischen Passagen an der Ironiegrenze, wobei wiederum die Echowirkung der Hörner im Übergang zum Seitenthema unter Beweis stellt, was man mit diesem Instrument so alles Großartiges anstellen kann. Der Kontrast aus Zerklüftung (etwa im Streicherchoral) und bedächtig-flüssiger Entwicklung (über Teppichen aus Pauke und Kontrabässen) setzt sich fort, allerdings gewinnt erstgenannte vor allem in den Themenwiederkehrungen an Dominanz: Das Hauptthema bricht förmlich über das Geschehen herein, wenn auch einen Tick flüssiger als zu Beginn des Satzes, und die Generalpausen erfahren auch weiterhin eher eine Betonung. Richtig unheildräuend läßt der Dirigent dann das Hauptthema aus dem ersten Satz hereinplatzen, das Satzfinale ist das allerbreiteste der Sinfonie (so gehört sich das hier ja eigentlich auch), und selbst Huster und Vorklatscher, die die Spannung erfolgreich torpedieren, können am positiven Gesamtbild trotz der genannten Wackligkeiten nichts mehr ändern. Der laute und ausdauernde Jubel gilt freilich nicht nur der soeben gehörten Sinfonie, sondern der gesamten Amtszeit des Dirigenten, in der dieser dem Publikum „in den schönsten Momenten den Himmel geöffnet“ habe, so Generalintendant Christoph Dittrich (auf dem Foto rechts), der eine kleine Abschiedsrede für Guillermo García Calvo enthält, wenngleich dieser auch noch am Folgeabend mit dem gleichen Programm sowie einige Tage später noch ein letztes Mal mit einem Klavierabend zu erleben ist. Von den erwähnten schönsten Momenten gab es in diesem Sinfoniekonzert zwar nicht ganz so viele wie in diversen anderen dieser und der vorherigen Saisons, aber eine starke Leistung samt einiger ungewöhnlicher Interpretationsansätze können sich der Dirigent und die Robert-Schumann-Philharmonie allemal gutschreiben lassen. Muchas gracias, Señor – man wird sich hoffentlich wieder hören.

Roland Ludwig


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