····· Wolvespirit verkaufen Bullshit ····· Rock of Ages - Zusatzshows in 2025 ····· Ally Venable veröffentlicht Video zur neuen Single „Do you cry“ ····· Das zweite Album von Wizrd kommt zum Nikolaus ····· 40 Jahre Helloween - Das muss gefeiert werden ·····  >>> Weitere News <<<  ····· 

Artikel

Die Auferstehung der DDR-Bezirksstruktur: Polis, Wolves Of Saturn und Goat Generator im Leipziger Bandhaus

Info

Künstler: Polis, Wolves Of Saturn, Goat Generator

Zeit: 24.03.2023

Ort: Leipzig, Bandhaus

Internet:
http://www.bandcommunity-leipzig.de
http://www.polisband.de
http://www.facebook.com/WolvesOfSaturn
http://www.goatgenerator.bandcamp.com

Das Areal des heutigen Freistaates Sachsen war zu DDR-Zeiten in die drei Bezirke Leipzig, Dresden und Karl-Marx-Stadt aufgeteilt. Im Billing dieses Abends findet sich nun pro Bezirk eine Band wieder. Los geht’s mit den Leipzigern, nämlich Goat Generator, deren erste Sethälfte der Rezensent verpaßt, was schade ist, weil die zweite Sethälfte durchaus viel Hörvergnügen bereitet, wenn man sich, sofern man die konkrete Art der Geräuscherzeugung vorher noch nicht kannte, auf eine Grundüberraschung einzulassen bereit ist – hinter dem Bandnamen wäre alles mögliche zu vermuten (allen voran wüster Black Metal, wofür der Bassist auch ein passendes Shirt mit irgendeinem unlesbaren Bandlogo trägt), aber nicht das, was das Quartett zumindest in den letzten drei Songs und somit vermutlich auch in den vier beim Eintreffen des Rezensenten bereits verklungenen tatsächlich fabriziert bzw. fabriziert hat, nämlich angedüsterter Progrock oder meinetwegen auch angeproggter Gothic Rock. Die auch die Keyboards bedienende Sängerin besitzt eine sehr angenehme Normalstimme, was gedanklich natürlich auch zu Vergleichsbands führt, etwa The Gathering (nach Nighttime Birds und ohne zuviel Elektronik) oder mittelalte The 3rd And The Mortal, wobei der Metalfaktor zumindest in den vom Rezensenten gehörten Songs nicht so sehr hoch liegt und der Gitarrist oftmals im halbakustischen Gewand unterwegs ist. Aber auch Bands mit männlichen Vokalisten scheinen hier und da durch, etwa Riverside oder natürlich die allmächtigen Pink Floyd, deren The Dark Side Of The Moon übrigens tagesgenau 50 Jahre zuvor seinen Veröffentlichungstag in Deutschland hatte. Ähnlich wie Waters & Co. setzen auch Goat Generator auf bedächtige Spannungsbogenentwicklungen, wobei „Apocalypse Blues“ nicht so viel Blues intus hat, wie man anhand des Titels vermuten könnte, sondern sich eher als Halbballade gebärdet, während „Far From Divine“ in puncto Entwicklung ein wenig an Riversides „The Same River“ erinnert, sich aber für weniger Dynamik noch mehr Zeit nimmt als dieser, ohne dass das Ganze freilich langweilig würde. Humor hat die Combo übrigens auch: „Wir kommen schon zum letzten Song – aber der dauert eine halbe Stunde“, verspricht die Vokalistin nach dem Ende von „Apocalypse Blues“ und flunkert dabei doch ein wenig, wenngleich es das Songdoppel „Far From Divine/Kingdom Gone“ allerdings in der Tat auf eine Spielzeit im zweistelligen Minutenbereich bringt. Dank eines relativ klaren Klangbildes kann man die Ideenentwicklung problemlos nachvollziehen, und auch der Energietransport, wo er beabsichtigt ist, funktioniert. „Die machen das noch mit Liebe“, meint ein Mitglied der Bandhaus-Crew, auf das verweisend, was alles auf- und wieder abgebaut werden muß – aber es gibt keinen sterilen Technik-Overkill, sondern warmes Feeling, was auch vom Publikum mit Applaus honoriert wird. Vereinzelte Enthusiasten wünschen sich eine Zugabe, aber die ist zeitlich nicht drin, also schafft die Sängerin Ersatz: „Unsere Zugabe spielen Wolves Of Saturn nachher.“

Setlist Goat Generator:
Honey Badger
Waving Around
Dim
Goat To Dust
Apocalypse Blues
Far From Divine/Kingdom Gone



Das bleibt natürlich ein Witz, denn die aus Dresden kommenden Wolves Of Saturn gehen stilistisch doch etwas anders zu Werke, wenngleich auch sie sich oft viel Zeit nehmen, um ihre musikalischen Ideen zu entwickeln. Das Trio siedelt irgendwo zwischen Stoner und Space Rock und erinnert bisweilen an eine um eine Portion Dröhnfuzz reduzierte Version von Monster Magnet, wobei die Gitarre oft und gern einen ganz bestimmten Sound auffährt, der den Rezensenten wiederum an eine andere Band erinnert, auf deren Namen er allerdings noch nicht gekommen ist. Der Hüne, der dieses Instrument bedient, ist allerdings auch noch für die Keyboards zuständig, was dann dazu führt, dass Hammond- oder artverwandte historische Klänge oftmals in In- oder Outros Verwendung finden, der Hauptteil aber von der Gitarre bestritten wird. Die ersten Songs bleiben instrumental, und als der Nichtkenner der Formation schon mutmaßt, dass Wolves Of Saturn eine reine Instrumentalband sind und das Mikrofon vor dem Gitarristen nur der Publikumskommunikation dient, kommt plötzlich doch noch ein Block mit Gesang versehener Nummern, ehe ein weiteres Instrumental den Set abschließt, in dem der Bassist in ultratiefen Frequenzen rumkrebst, die u.a. das Gestell unter dem Mischpult zur vibrierenden Eigenresonanz anregt. Der Gesang zeigt sich leicht angerauht und weitgehend in normaler Lage, wobei die Lyrics einen recht engagierten Eindruck hinterlassen, wenn da etwa die Sinnlosigkeit des Sterbens im Krieg angesprochen oder das letzte Gedicht von Victor Jara eingeflochten wird, letzteres im spanischsprachigen Original, während ansonsten Englisch gesungen wird. Kommt die Publikumskommunikation anfangs noch ein wenig zurückhaltend rüber, taut der Hüne später auf und muß sich bremsen, um nicht als zu große Plaudertasche durchzugehen. Grund zum Feiern hat er freilich auch: Wolves Of Saturn haben soeben ihr Debütalbum mit dem einprägsamen Titel The Deserts Echo And The Peyote Delusion (ja, ohne Apostroph in der Wüste) herausgebracht, auch auf Vinyl übrigens, und der Gig an diesem Abend ist der zweite einer kleinen Mini-Releasetour, die nebenbei bemerkt auch in jeden der Bezirke führt: nach Chemnitz, nach Leipzig und zum Schluß noch ins heimatliche Dresden. Das Leipziger Publikum zeigt sich jedenfalls recht angetan vom Sound des Trios, aber die vereinzelten Zugabewünsche fallen auch hier realisierungsseitig flach.

Polis vertreten nicht etwa Griechenland, sondern den Bezirk Karl-Marx-Stadt, zu dem ihre Heimatstadt Plauen einst gehörte. Dass die DDR-Referenz bei ihnen besonders sinnfällig greift, wird auch dem Uneingeweihten schnell klar: Das Quintett tritt das Erbe der östlichen Artrocker der 1970er an, und das nicht etwa nur, weil sich der Vokalist in deutscher Sprache artikuliert, wie es in der DDR weiland Pflicht war, wenn man irgendeine Chance haben wollte, sein Material offiziell unters Volk zu bringen. Besagter Sänger hätte freilich auch damals gute Chancen gehabt, einen Posten bei einer der etablierten Formationen zu bekleiden, nimmt man seine Fähigkeiten als Maßstab, und wenn er sich dann auch noch mit dem Keyboarder und dem Bassisten zu Satzgesängen findet, denkt man abwechselnd an diverse Blumenkinder der Spätsechziger oder an Uriah Heep, welchletztere auch sonst im Material von Polis die eine oder andere Spur hinterlassen haben, was freilich auch, um wieder in die DDR zurückzukehren, auf die Frühzeit der Puhdys oder ganz speziell auf Renft zutrifft. Mit „Der Kreis“ und „Tropfen“ legt das Quintett die Meßlatte jedenfalls schon recht hoch und reißt diese auch während des weiteren Sets nicht, wobei „Leuchtfeuer“ (einem verstorbenen Freund der Band gewidmet) und das für sein Sujet überraschend flotte „Pilger“ strukturell ein wenig aus dem Rahmen fallen. Ansonsten gestalten Polis aber einen homogenen Set, der in dieser Form problemlos auch auf Burg Herzberg hätte dargeboten werden können, dort dann vor deutlich mehr Leuten (das ist 2019 auch tatsächlich schon mal geschehen) – aber die Begeisterung zumindest eines Teils der Anwesenden ist auch im Bandhaus sehr groß, zumal ein klarer und doch druckvoller Sound die Nachvollziehung der guten Ideen der Songwritingfraktion ermöglicht und die Band spielerisch wie sängerisch voll zu überzeugen weiß. Lediglich ihr Bedürfnis, gegen Ende des Sets unbedingt auf der Bühne rauchen zu müssen, trübt das positive Bild ein wenig. Das intensiv gesungene „Blumenkraft“ wirkt auf dem ersten Blick einen Tick zu prätentiös, aber sobald einem dann eingefallen ist, dass dieser Faktor nicht störend ins Gewicht gefallen wäre, wenn der Vokalist hier „Flower Power“ statt „Blumenkraft“ gesungen hätte, kann man auch diese Passagen besser ins große Ganze einordnen, das Polis an diesem Abend erzeugen. Die Zugabewünsche aus dem Publikum finden diesmal Erfüllung, wenngleich nicht mit „Schwester“, wie auf der Setlist eigentlich steht, sondern (nach einer längeren Debatte unter den Bandmitgliedern) mit „Sag mir“, das ebensowenig mit „wo die Blumen sind“ weitergeht wie etwa „Danke“ mit „für diesen guten Morgen“. Feiner Stoff!

Setlist Polis:
Der Kreis
Tropfen
Gedanken
Die Einsamkeit
Leuchtfeuer
Leben
Pilger
Danke
Blumenkraft
--
Sag mir

Roland Ludwig


Zurück zur Artikelübersicht