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Zeit: 26.03.2023
Ort: Augsburg - Spectrum
Fotograf: Karin Turba
Das Konzert hätte eigentlich schon im Herbst 2022 stattfinden sollen, wurde jedoch aus organisatorischen Gründen auf März 2023 verlegt. Da ich von dem Konzert im August 2022 in Nürnberg schon so begeistert war, beschloss ich mir selbst hier eine Zugabe zu gönnen.
Die Band zieht auch über 50 Jahre nach ihrer Bandgründung noch etliche Fans an. Das Spectrum ist proppenvoll und fast ausverkauft. Auch einige jüngere Fans sind anwesend und lassen sich das Bluesrock-Spektakel nicht entgehen. Eine Vorband gibt es nicht, Ten Years After legen ohne viel Tamtam pünktlich um 20 Uhr los. Der Sound begeistert mich von Beginn an und bleibt während des Konzerts optimal. Man hört jede kleine Nuance im Sound heraus und bekommt so den absoluten Hörgenuss geliefert. Beim neuen Stück „Land Of The Vandals“ darf der Bühnentechniker noch das Tamburin beisteuern, ansonsten sind die vier auf sich allein gestellt.
Und mit „One Of These Days“ kommt gleich ein Klassiker aus der Frühzeit der Band. Hier zeigt ein bestens gelaunter und ein hochmotivierter Frontmann Marcus Bonfanti, was er alles so draufhat. Die bedrohliche raue Stimme, eine fabelhafte Gitarre, Ausstrahlung ohne Ende und eine Bluesharp, die einen sprachlos macht. Dabei wirbelt er wie ein Verrückter über die Bühne und nutzt diese dabei in seiner ganzen Breite. Ob er während seiner Solos wirklich anwesend ist, mag ich dabei nicht zu beurteilen. Er wirkt entrückt und dabei völlig in dem jeweiligen Stück versunken. Aber er findet immer genau rechtzeitig wieder in die Spur, um den musikalischen Faden aufzunehmen.
Bassist Colin Hodgkinson, der links von ihm steht, lässt es sich dabei nicht nehmen, immer wieder auf die Soundeskapaden seines Gitarristen einzugehen. Mit dem satten und knurrigen Bass-Sound des 77-jährigen Engländers und dem fabelhaften Schlagzeug des Ur-Mitglieds Ric Lee findet Bonfanti genau die Spielwiese, die er für seine Art von Musik braucht. Und dass es ihm Spaß macht, kann jeder im Publikum ganz deutlich sehen. Die vier musizieren in einer Art zusammen, dass es eine wahre Freude ist.
Die drei wesentlich älteren Musiker scheinen in einen regelrechten Jungbrunnen gefallen zu sein. Bonfanti treibt sie alle in einer positiven Weise an und man merkt, dass die vier vermutlich nicht nur auf der Bühne eine Menge Spaß zusammen haben. Chick Churchills Leib- und Magenstück „Hear Me Calling“ bereitet ihm die Möglichkeit, sein Können als Orgel-Solist unter Beweis zu stellen. Er malträtiert die Hammond dabei nach allen Regeln der Kunst und entlockt dem Instrument ziemlich schräge Töne. Der Applaus des völlig ausgeflippten Augsburger Publikums ist ihm sicher. „I’d Love To Change The World“ haut mich regelrecht aus den Latschen. Die Antikriegshymne vom 1971er Album „A Space In Time“ hat textlich leider gar nichts von seiner Aktualität eingebüßt und bei der Textzeile „Stop The War“ hat man das Gefühl, den Atem anhalten zu müssen. Musikalisch ist das hier gebotene ganz großes Kino, die Musiker spielen sich dabei regelrecht in einen Rausch.
Danach müssen die Männer ein bisschen auf die Bremse treten. Sie tun dies völlig stilecht mit ein paar Hockern, um darauf sitzend ein paar Lieder im akustischen Gewand zu präsentieren. Dabei wechseln sich Stücke der neuesten CD A Sting In The Tale mit älteren Stücken, die mit Alvin Lee geschrieben wurden, ab. Das Ganze hat fast schon Wohnzimmer-Charakter. Schlagzeuger Ric Lee erzählt dabei immer ein paar Anekdoten zu den jeweiligen Stücken und bietet sich dabei mit dem Gentlemen Hodgkinson den einen oder anderen äußerst lustigen verbalen Schlagabtausch. Beim Publikum kommt diese musikalische Abwechslung sehr gut an und zeigt, dass die Stücke von TYA auch problemlos in einem akustischen Gewand funktionieren.
Danach sorgen die unverwechselbaren Anfangstöne von „Love Like A Man“ für Begeisterung im Publikum. Hier ist alles dabei: cooler Text, Klasse-Melodie, grollende Hammond-Orgel und ein Bass-Gitarre-Duell, bei dem sich Hodgkinson und Bonfanti die Bälle nur so zuspielen und dabei mit jungenhafter Begeisterung ihrer musikalischen Leidenschaft nachgehen. Mit „I’m Coming On“ und dem festen Live-Bestandteil „Hobbit“ wird das Gaspedal wieder ordentlich durchgedrückt. Hier lässt es Lee sich nicht nehmen, im Mittelteil des Stückes sein bekanntes Schlagzeug-Solo vom Stapel zu lassen. Auch wenn ich es schon ein paar Mal gesehen habe, fasziniert es mich immer wieder aufs Neue. Welche Sounds er dabei den Becken entlockt, ist phänomenal. Auch hier scheint das Alter keine Rolle zu spielen, er tobt sich nach Herzenslust an seinem Instrument aus.
Das legendäre „Good Morning Little Schoolgirl“ sorgt für anhaltende Bewegung im Spectrum. Die Musiker schaffen es mühelos, das Publikum zu begeistern und verwandeln die Konzerthalle in eine Partymeile allererster Güteklasse. Bei „I Say Yeah“ dürfen alle mitsingen und tun das auch lauthals. Damit es auch jeder kapiert, hält Kult-Keyboarder Churchill bei der jeweiligen Stelle immer ein „Yeah“-Schild hoch. Die Musiker nehmen sich nicht allzu ernst, ihre Musik jedoch auf jeden Fall. Die Woodstock-Hymne „I’m Going Home“ sorgt für etliche strahlende Gesichter im Publikum. Danach gibt’s eine kurze Verschnaufpause, um nach den frenetischen „Zugabe“-Rufen der Augsburger für ein letztes Stück zurück auf die Bühne zu kommen.
„Choo Choo Mama“ präsentiert mit seinem hämmernden Boogie-Klavier einen musikalischen Farbtupfer, der den Tanzfaktor im Spectrum auf hohem Niveau hält. Churchill klimpert hier noch einmal nach allen Regeln der Kunst und auch der Rest der Truppe lässt gewaltig krachen. Danach ist leider Schluss, das Konzert ist gefühlt nur so an mir vorüber gedonnert. Das Spectrum honoriert die hervorragende Darbietung mit einem Wahnsinns-Applaus. Die Musiker bedanken sich sichtlich gerührt und kündigen noch auf der Bühne an, dass sie kurz danach für Autogrammwünsche am Merchandise-Stand zu finden sind. Dort stehen die Fans schon Schlange, um mit den sympathischen Bandmitgliedern Fotos zu machen, zu plaudern oder diverse Tonträger unterschreiben zu lassen. So muss das sein, Star-Allüren sucht man bei diesen Legenden vergeblich.
Ob das Konzert gut war? Nun ja, ich würde es fast so ausdrücken: Die Götter des Bluesrock sind herabgestiegen, um den anwesenden Augsburgern ordentlich die Messe zu lesen. Auch wenn sie schon ein bisschen ergraut, kurzsichtig oder älter sind wie viele der anwesenden im Publikum: Diese Truppe rockt gewaltig und unterhält ihre Fans bestens. Und was will man mehr?
Auch auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole: Leute, schaut euch die Band live an solange es noch geht. Die sind Klasse!
Setlist:
1. Land of the Vandals
2. One of These Days
3. Hear Me Calling
4. I'd Love to Change the World
5. Silverspoon Lady
6. Portable People
7. Don't Want You Woman
8. Losing the Dogs
9. Love Like a Man
10. I'm Coming On
11. The Hobbit
12. Good Morning, School Girl
13. I Say Yeah
14. I'm Going Home
15. Choo Choo Mama
Stefan Graßl
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