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Info
Zeit: 07.02.2023
Ort: Jena, Kulturbahnhof
Internet:
http://www.deafradioband.com
http://www.goddys.de
Schon nach dem im November 2019 erschienenen zweiten Album Modern Panic bemühte sich das Kulturbahnhof-Team, die Griechen Deaf Radio mal nach Jena einzuladen, aber da kam die Pandemie dazwischen. Die nutzte das Quartett, um das dritte Album Arsenal Of Hope herauszubringen, und 2022 konnte es endlich auch wieder auf große Fahrt gehen. Im zweiten Ast der Tour zu ebenjenem neuen Album ist als einzige deutsche Stadt nun auch Jena vertreten.
Als lokaler Support fungieren Goddys, die sich, als der Rezensent mit wenigen Minuten Verspätung im Kulturbahnhof eintrifft, gerade im Opener „Caveman“ befinden, also offensichtlich pünktlich begonnen haben. Dieser Song und das folgende „Oddkilla“ waren die beiden Vorabsingles des aktuellen, 2022 veröffentlichten Albumzweitlings Monsters Of Reality, während im weiteren Verlauf des Sets auch Material ihres 2019er Debüts Ambrosia zum Zuge kommt, interessanterweise jedoch nicht ihre Bandhymne „Goddys“. Das Quintett wurzelt im siebzigerlastigen Rock – um eine genauere stilistische Erörterung vornehmen zu können, muß der Hörer allerdings ein wenig warten, und zwar bis in die zweite Sethälfte. Bis dahin leidet das Soundgewand nämlich unter einer leichten Unausgewogenheit, stehen sich die Stimmen der Leadvokalistin und des gelegentlich eine zweite Stimme beisteuernden Gitarristen akustisch eher im Wege, statt sich zu ergänzen, und den Keyboarder sieht man anfangs zwar sein Werk verrichten, beginnt ihn aber erst in „Brother“ ansatzweise und ab „Yeastbeast“ dann richtig zu hören. Dieser Song mit seinem interessanten Vokalarrangement, das die Sängerin in sehr dunkle Lagen nach unten führt, markiert dann generell auch die Wende zu einem plötzlich richtig ausgewogenen Klangbild, und prompt steigt ebenso die akustische Zugänglichkeit der kompositorischen Ideen des Quintetts. Die Gitarrenarbeit ist hörbar im Blues verwurzelt, aber schleichende Beats und „Mein Liebster/meine Liebste hat mich verlassen“-Weltschmerz gibt es zumindest hier im Set nicht. Die geschmackvoll gekleidete blonde Sängerin wiederum deckt ein recht breites Spektrum ab, und vor allem die Ausflüge nach unten, soweit man sie denn hören kann, tragen einiges zum interessanten Bild bei. Der „Deadman“ ist für seinen Status auf erstaunlich flotten Füßen unterwegs, und im Closer „Fallen Goddess“ entdeckt der aufmerksame Hörer gleich mehrere bewußte oder unbewußte Verbeugungen vor Helden der Szene, etwa eine Themenstruktur, die es in ähnlicher Form schon mal in Queens „Bohemian Rhapsody“ gab. Natürlich ist das nicht so gemeint, dass man den fünf Bewohnern des Thüringer Waldes daraus einen Strick drehen sollte, und das tut das gut gelaunte Publikum im Kulturbahnhof auch nicht, sondern spendet fleißig Applaus. Nur an der Kommunikation müssen Goddys noch arbeiten – wenn es zwischen den Bühnenaktiven mehr Kommunikation gibt als von den Bühnenaktiven in Richtung Publikum, ist das irgendwie nicht im Sinne des Erfinders, obwohl auch das Gebotene ausreicht, um der Sängerin einen sympathischen südthüringischen oder sogar fränkischen Akzent zu attestieren. Trotz der grundsätzlichen positiven Aufnahme der Band seitens des Publikums bleiben die Zugabewünsche allerdings sehr spärlich und finden letztlich wohl aus Zeitgründen auch keine Erfüllung.
Setlist Goddys:
Caveman
OddKilla
Tentacles
Brother
Yeastbeast
Mash Head
Deadman
Fallen Goddess
Auch Deaf Radio fallen durch ihre Bühnenmode auf: Der Frontmann, der singt, Gitarre spielt und auch ein paar Synthies einstreut, ist ganz in Weiß gekleidet, die anderen drei Bandmitglieder hingegen ganz in Schwarz. Passenderweise setzt der Lichtmann dazu häufig senkrechte weiße Strahler ein, die den ästhetischen Aspekt wirkungsvoll ergänzen. Die Musik des Quartetts gestaltet sich hingegen deutlich bunter und ist gar nicht so einfach einzuschubladisieren, wenn man versucht, in der großen Rock-Schublade irgendein passendes Unterfach zu finden. Das soll freilich nicht als Zeichen etwaiger Planlosigkeit gewertet werden – die Griechen wissen offensichtlich sehr genau, was sie tun. Hier und da gehen sie als modernisierte Version von Pink Floyd durch, holen aber auch Wave- und Postpunk-Elemente in ihren Sound, evozieren klassischen Hardrock mit gewisser Siebziger-Schlagseite und hier und da leichtem Stoner-Feeling, schielen zu diversen angedüsterten Skandinaviern wie Leprous oder Katatonia, spielen mit musikalischen Elementen ihrer heimischen Folklore, kennen vermutlich auch Krautrock wie die frühen Eloy – und schaffen es, daraus einen vielfältigen, individuellen und nicht beliebig wirkenden Cocktail zuzubereiten. Dass eine progrockige Nummer ausgerechnet „Oceanic Feeling“ heißt, paßt dann prima ins Bild, hatten doch auch Eloy den Ozean als Sinnbild verarbeitet, obwohl Hannover weiter vom Meer entfernt liegt als Athen. In diesem Song und auch im folgenden „...And We Just Pressed The Alarm Button“, dem Quasi-Titeltrack des 2017er Debütalbums Alarm, fällt erstmals markant auf, dass auch der zweite Gitarrist gelegentlich Vocals beisteuert und dabei eine hohe, eher fragile Stimme offenbart, die gut mit der etwas kräftigeren und tieferen, im besten Sinne normalen Stimme des Hauptvokalisten korrespondiert. Der Drummer wiederum agiert zeitweise elektronisch verfremdet, so gleich im Opener „Lisbon Hills“, konzentriert seine Aktivitäten aber im wesentlichen auf klassisches Rockdrumming und schafft es problemlos, den Boden für ein nicht selten doch recht intensives Zucken des Tanzbeins zu bereiten – der Vokalist hat vor „Dance Like A Reptile“ dann auch gleich mit „Here is something to dance to“ eine der maßgeblichen Richtungen für diesen Abend vorgegeben, und das Publikum stört sich auch nicht daran, dass er nicht hinzusetzt, wie man das denn hinkriegen soll, im Stile eines Reptils zu tanzen. Mit „Supersonic“, der ersten Single vom neuen Album, ist dem Quartett ein veritabler Hit gelungen, der auch live zündet, und der Hit „Animals“ vom zweiten Album, den einige Anhänger bereits zwischendurch mal gefordert hatten, kommt später natürlich auch noch (wobei sich hinter ihm natürlich keine Pink-Floyd-Coverversion verbirgt – das gleichnamige Floyd-Album besaß bekanntlich keinen Titeltrack). Strukturell aus dem Rahmen fällt „Astypalea“ – das ist der Song, wo im Intro mal kurz griechische Folklore anklingt und der sich gemäß der Ansage auch tatsächlich mit diversen der vielen griechischen Inseln befaßt. „Backseats“, die zweite im Set stehende Nummer vom Debüt, leitet mit ihrem bombastischen Ende zum Finale des regulären Sets über, das vom Titeltrack des neuen Albums gebildet wird und nach strukturell interessantem Aufbau ebenfalls in ziemlich großen Bombastwällen mündet, womit sich das gut gelaunte Publikum natürlich nicht zufrieden gibt und mit „Revolving Doors“ als Zugabe noch einen dritten Song vom Debüt vorgesetzt bekommt. Der Sound für Deaf Radio wird übrigens vom bandeigenen Mischer mit einem Tablet-Pult gemacht, mit dem er mitten im Publikum steht, und bis auf ein paar zu blechern anmutende Momente in der Setmitte hat er das Geschehen jederzeit im Griff. Ein starker Gig einer interessanten Band, der zu wünschen ist, dass sie nicht zwischen allen Stühlen landet, sondern es tatsächlich schafft, Anhänger aus verschiedenen Subszenen zu gewinnen. Die bisherige Entwicklung zeigt, dass das klappen könnte – immerhin soll beispielsweise die Vinylfassung des Modern Panic-Albums schon am Releasetag ausverkauft gewesen sein. Und wenn dann tatsächlich jemand die als Merch-Artikel angebotenen Socken mit dem Bandlogo kauft ...
Setlist Deaf Radio:
Lisbon Hills
Dance Like A Reptile
Colours
Oceanic Feeling
...And We Just Pressed The Alarm Button
Supersonic
Death Club
Crystal Fears
Model Society
Astypalea
Animals
Backseats
Arsenal Of Hope
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Revolving Doors
Roland Ludwig
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