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Artikel

Konfrontation mit Monatsliedern und Beckengeschepper: Mirna Bogdanovic Group im Jazzklub Altenburg

Info

Künstler: Mirna Bogdanovic Group

Zeit: 09.12.2022

Ort: Altenburg, Paul-Gustavus-Haus

Fotograf: Dovile Sermokas

Internet:
http://www.mirnabogdanovic.com

Confrontation hieß das 2020er Debütalbum von Mirna Bogdanovic, für das die aus dem postjugoslawischen Areal stammende, aber seit einem Jahrzehnt in Berlin ansässige Sängerin, Komponistin und Multiinstrumentalistin viel Lob einheimsen konnte, u.a. den Deutschen Jazzpreis als bestes Debütalbum. Nun wird Altenburg erstmals mit ihrem Sound konfrontiert – die Chanteuse hat eine kurzerhand nach ihr benannte Band zusammengestellt, mit der sie den alljährlichen Vorweihnachtsgig des Altenburger Jazzklubs bestreitet und in der interessanterweise außer Keyboarder Povel Widestrand keiner der Musiker vom Debütalbum vertreten ist.
Das mit der Konfrontation bekommt dann allerdings auch noch eine ganz andere Dimension. Schaut man sich nämlich die Setlist genau an, fällt auf, dass von den elf Songs gerade mal ein einziger vom Debütalbum stammt und dann noch eine der beiden Zugaben – mit dem „Rest“ wird das Publikum also definitiv zum ersten Mal konfrontiert, und das Gros dieses „Restes“ wird erst ab Frühjahr 2023 auf dem zweiten Album in konservierter Form zu haben sein. Der Direktvergleich ergibt dabei nicht ganz uninteressante Offenbarungen – aber dazu später mehr.
Ins Geschehen führt „I Love“, einer der fürs zweite Album konservierten Songs, der allerdings eher Introcharakter besitzt, indes in seinem bedächtigen Aufbau eine schrittweise Entwicklung deutlich macht und damit seine „Hineinziehungsfunktion“ ins Material erfüllt, auch wenn er ein wenig zu höhenlastig tönt – das soll ein Grundproblem des Sets bleiben: Gesang, Gitarre(n) und Keyboards werden elektronisch abgenommen, das Schlagzeug und der Kontrabaß aber nicht, und letztgenannter steht zumindest am Platz des Rezensenten, der direkt vor dem Mischpult sitzt, daher nicht selten ein wenig zu stark im klanglichen Hintergrund, so dass auch die theoretisch groovigen Passagen etwas zu wenig vom offensichtlich intendierten Groovefaktor abbekommen. Drummer Philip Dornbusch macht sich vor allem mit viel Beckengeschepper im weiteren Verlaufe des Sets trotzdem strukturell Platz, Kontrabassist Phil Donkin aber verfügt naturgemäß nicht über solche Möglichkeiten, und es dauert auch fast den ganzen ersten Set, bis sich das Ohr darauf eingestellt hat, in welcher Richtung es genauer lauschen muß, um den Baß sozusagen am hirneigenen Mischpult virtuell lauter zu stellen.
Da allerdings sowieso niemand weiß, wie das Material eigentlich klingen soll (der Vorteil des Unveröffentlicht-Charakters), stellt der geschilderte Umstand kein existentielles Problem dar, und an Spielfreude mangelt es dem Quintett offensichtlich sowieso nicht. „Patience“, der erste „richtige“ Song des Sets, ist eine Coverversion eines Isländers namens Ólöf Arnalds, anfangs eher ruhig, aber leicht zerklüftet, in der Folge indes an Fluß gewinnend, entscheidend dann im Hauptsolo von Gitarrist Peter Meyer über perlenden Keyboards, wonach der Song in einen ziemlich expressiv-wuchtigen Schlußteil mündet, wo seltsamerweise die Vocals akustisch weit in den Hintergrund treten. Prinzipiell eine nachvollziehbare Strategie – aber mit einem kleinen Problem behaftet: Sie wird vor allem im ersten Set in nahezu allen Songs in identischer Weise angewendet, so dass bei allen Unterschieden im Detail und bei aller individueller Klasse das Material doch ein wenig zu ausrechenbar wirkt, was den Spannungsfaktor senkt. Vielleicht ist die Anordnung auf der Platte dann so, dass die ähnlich strukturierten Nummern zumindest nicht als Block hintereinanderstehen wie hier „Patience“, „Only Child“, „On My Own“ und „May“.
In ihren musikalischen Mitteln unterscheiden sich die Songs natürlich und gewinnen so Individualität. „Only Child“ arbeitet lange mit Vokalisen, bevor dann doch noch Text kommt, und sticht durch ein besonders wüstes Solo heraus, während „On My Own“ als zusätzliches Element eine Ukulele einsetzt, von der Chefin selbst gespielt, und dem Kontrabaß eine Rolle im Hauptsolo zuweist. „May“ wird auf dem zweiten Album die Serie der Monatslieder fortsetzen – auf Confrontation stehen „June“ und „July“ und auch „Never Believed“, das den ersten Set abschließt und in dem Mirna, da dort ein weibliches Gesangstrio aktiv war, die beiden anderen Stimmen aus einem Synthie holt. Diese Nummer unterscheidet sich in Aufbau wie Ausrichtung markant von den anderen – eher geradliniges Midtempo und im positiven Sinne fast als Pop zu bezeichnen.
Set 2 eröffnet mit „Dancing In The Dark“, wieder mit Ukulele, leicht folkig angehaucht und einen geschickten Mix aus Vorwärtsdrang und einigen Verharrungen inszenierend. „Crazy Chords“ enthält nicht nur tatsächlich einige verrückte Akkorde, sondern auch wieder umfangreiche Vokalisenpassagen, während derer die Instrumentalisten langsam Struktur ins Geschehen bringen und dann letztlich die Soloaufgaben von der Rhythmusgruppe übernommen werden, wobei Donkin besonders wild agiert und Dornbusch mit dem langen Nachhall des Beckengescheppers kontert. „Wish I Didn’t Miss You“ ist nochmal eine Coverversion, diesmal von Angie Stone, und gebärdet sich eher poplastig, wobei der Kontrabaß eine zentrale Rolle in der Harmonik spielt und man ihn mittlerweile auch dort wahrzunehmen gelernt hat, wo er hingehört. „Manipulative Mind“ folgt nochmal dem aus dem ersten Set bekannten Aufbauprinzip, und „Finding Closure“ schließt den regulären Teil ab, eingängige Vokalisen und markante Keyboardakkorde auffahrend und eine logische Wahl für die erste Single aus dem neuen Album.
Natürlich gibt sich das Publikum damit nicht zufrieden und bekommt zunächst „Moving On“ vorgesetzt, wieder mit Ukulele und stimmlich die expressivste Nummer des Abends – Mirna kratzt hier an der Obergrenze ihrer Tessitur und schafft es, das Ganze in Expressivität statt in Anstrengung zu verwandeln. Die Stimme hat schon während des Hauptsets immer mal wieder zu beeindrucken gewußt (die Farbe erinnert bisweilen an einen virtuellen Mix der beiden Schuen-Schwestern von Ganes), aber hier ist der definitive Höhepunkt erreicht. Der Song macht aber auch ansonsten Laune, sei es mit dem glockenartigen Keyboardsound, der bisweilen an eine Nachbildung von Pink Floyds „High Hopes“ erinnert, oder die Entwicklung hin zur großen Klimax am Schluß. Da einige Enthusiasten immer noch keine Ruhe geben, setzt das Quintett aus Berlin (aus Berlin!) noch „Rain“ hinzu, die erwähnte zweite Nummer vom Debütalbum, ein Cover aus der Originalfeder von Jaco Pistorius und Brian Alexander Morgan – und siehe da, auch hier geht es wieder eher geradlinig und fast an der Grenze zum Pop zur Sache. Auf Album Nr. 2 könnte uns also ein gewisser Stilwechsel erwarten, aber das ist noch Zukunftsmusik – im Hier und Jetzt wird der Sängerin viel Sympathie entgegengebracht, auch wenn sie aufpassen muß, sich zwischen den Songs nicht zu verplaudern. Immerhin stimmt das Humorlevel, etwa wenn sie Confrontation augenzwinkernd als „Weihnachtsgeschenk für die ganze Familie“ anpreist und anmerkt, dass das Publikum die CD kaufen müsse, denn der Designer sei sehr teuer gewesen. Was Nenad Cizl konkret als Honorar bekommen hat, wissen wir natürlich nicht – dafür wissen wir jetzt aber, dass die Berliner Hipster alle mit Hausschuhen draußen rumlaufen und Mirna zwar auch hip sein will, aber die Hausschuhe tragen muß, weil sie sich erst unlängst den Fuß gebrochen hat. Außerdem outet sie sich als faul, weil sie nach zehn Jahren in Berlin immer noch nicht richtig Deutsch gelernt hat. Egal – solange der musikalische Fleiß stimmt, soll dem Hörer das recht sein.
Einen markanten Unterschied zu den früheren Jahresabschlußgigs des Jazzklubs im Paul-Gustavus-Haus gibt es allerdings: Es steht kein Weihnachtsbaum auf der Bühne. Das dürfte im wesentlichen räumliche Gründe haben, braucht das Quintett doch etwas mehr Platz als beispielsweise Cowboys From Hell mit ihrer Triobesetzung anno 2018. Und manchmal hatten sich die Bands dann auch den Spaß gemacht, irgendeine Nummer als Weihnachtslied zu deklarieren oder sogar ein solches mit einzujammen. Das passiert an diesem Abend nicht – aber das ist ja auch kein Muß, und der Gig macht auch in der letztlich zustandegekommenen Form einiges an Hörspaß.


Setlist:
I Love
Patience
Only Child
On My Own
May
Never Believed
--
Dancing In The Dark
Crazy Chords
Wish I Didn’t Miss You
Manipulative Mind
Finding Closure
--
Moving On
Rain

Roland Ludwig


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