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Zeit: 17.06.2022
Ort: Leipzig, Museum für Musikinstrumente, Foyer
Fotograf: Siegfried Duryn
Internet:
http://www.hmt-leipzig.de
Manchmal stecken die Tücken nicht im Detail, sondern im großen Ganzen. Nach zwei Jahren Pandemiepause kann das Barockopernprojekt der Leipziger Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ wieder öffentlichkeitswirksam über die Bühne gehen, wobei die erste Aufführung diesmal nicht im Großen Saal der Hochschule, wie das in präpandemischen Zeiten üblich gewesen war, sondern im Kunstkraftwerk stattgefunden hat. Diese Aufführung im April, von der auch nebenstehendes Foto stammt, hatte der Rezensent nicht im Terminkalender unterbringen können, aber es gibt ja noch die Zweitaufführung im Rahmen des Alte-Musik-Fests, das die Hochschule traditionsgemäß zusammen mit dem Musikinstrumentenmuseum der Universität in dessen Räumen organisiert. Nur ist die Bühne im dortigen Saal viel kleiner als die im Kunstkraftwerk, und das Kreativteam um Regisseur Maik Priebe hat daher etliche Ideen entwickelt, wie die Inszenierung auch in diesem kleineren Rahmen funktionieren könnte. Der Konjunktiv erweist sich während der Proben aber als Realität – vieles geht im kleineren Rahmen doch nicht so wie erhofft, und so fällt 24 Stunden vor der Aufführung letztlich die Entscheidung, das Stück nicht szenisch, sondern konzertant aufzuführen.
Diese Hintergrundgeschichte enthüllt Stephan Rath, der musikalische Leiter des Alte-Musik-Fests, dem Publikum vor Beginn, nachdem schon am Eingang der Wechsel zur konzertanten Variante plakatiert worden war – was er aber nicht verrät, ist, warum nicht wie in präpandemischen Zeiten der Zimeliensaal, sondern das Foyer im 1. Obergeschoß für die konzertante Aufführung gewählt worden ist. Gut, der Saal heizt sich bei hohen Temperaturen – und die herrschen an diesem Tag – stark auf, wie auch der Rezensent aus der Vergangenheit leidgeprüft in Erinnerung hat, und so bildet das Foyer die temperaturtechnisch vielleicht noch angenehmere Lösung. Allerdings stehen hier ein paar massive Säulen im Weg, und so bleibt gespannt abzuwarten, wie sich das Ganze akustisch gestalten wird, zumal der Rezensent auf der linken Seite sitzt, wo sich die Bläser in unmittelbarer Nähe befinden, während die Basso-Continuo-Gruppe auf der anderen Seite sitzt und teilweise durch eine der Säulen verdeckt wird. Für die Sänger wiederum hat man hinter den Instrumentalisten eine kleine Rampe aufgebaut, links und rechts mit Treppen versehen und mit fünf Stühlen ausgestattet, was die einzige „Dekoration“ der Aufführung bleibt, sieht man von dem kuriosen Fakt ab, dass an der Wand dahinter die großen Schriftblöcke „Angewandte Kunst“, „Völkerkunde“ und „Musikinstrumente“ samt kleiner Schriftblöcke des hausinternen Wegweisers zu lesen sind. Als weiteres optisches Element kommt noch eine sparsame, aber wirkungsvolle Lichtregie dazu, während die Projektionen an der Rückwand, die es in der Erstaufführung gegeben zu haben scheint, fehlen – letztere hätten auch im Zimeliensaal nur unter gewissem Aufwand realisiert werden können, denn dort steht an der Rückwand eine Orgel „im Weg“. Ein Grund für die Nicht-Wahl des Saals?
Nicht auszuschließen bleibt allerdings grundsätzlich, dass man mit dem letztlich gewählten Setting vielleicht sogar näher an die historische Aufführungssituation kommt als mit einer voluminöseren Inszenierung. Der Text im Programmheft zitiert eine Quelle, nach der im Haus des Kardinals Ruspoli in Rom, wo Georg Friedrich Händels Oratorium „La Resurrezione“ HWV 47 anno 1708 uraufgeführt wurde, „mehrere Handwerksbetriebe mit dem Bau einer Bühne und von Dekorationen beauftragt waren“. Solche Objekte gibt es am besagten Abend in Leipzig auch (okay, Dekorationen sind’s nicht so sehr viele, aber da kann man ja auch die Lichtanlage drunter fassen), die Kostümierung der fünf Sänger ist hingegen eher spartanisch, aber trotzdem wirkungsvoll gehalten: Ursula Göller als Angelo kommt engelsgemäß komplett in Weiß, Lars Conrad als Lucifer ebenso natürlich komplett in Schwarz (auf unpassende Gags wie rote Hörner, Schwanz, Dreizack oder Pferdefuß hat man wohlweislich verzichtet), und Yumi Tatsumiya als Maria Magdalena, Anna Schuch als Maria Cleophas und Pedro Matos als Johannes sind neutral gekleidet.
Mit den fünf handelnden Charakteren kann dann auch das Tableau schnell umrissen werden, das „La Resurrezione“ in Tateinheit mit der Musik irgendwo im Grenzbereich zwischen Oper und Oratorium verortet, offiziell aber näher an letzterem liegt. Librettist Carlo Sigismondo Capece hat die Geschichte von der Höllenfahrt Christi in der Zeit zwischen Kreuzestod und Auferstehung mit einem Teil der Auferstehungsgeschichte selbst verquickt, wobei Christus gar nicht selbst auftaucht und auch sein Kampf mit den Legionen der Hölle nicht, sondern Angelo und Lucifer gewissermaßen stellvertretend vom Geschehen berichten. Der Ausgang des Kampfes ist natürlich klar – da kommen schon im ersten der beiden Akte keine Zweifel auf, und Lucifer taucht zwar auch im zweiten Akt nochmal auf, unterliegt im Kampf aber erneut und wird schließlich mit einer Arie Maria Magdalenas auf den Namen Jesu ungeplant, aber wirkungsvoll und endgültig zu Boden gestreckt (ein Motiv, das später von Monty Python köstlich parodiert wurde). Der Rest des zweiten Aktes gehört dann der zuvor schon eingeführten Auferstehungsgeschichte – die beiden trauernden Marien werden im ersten Akt von Johannes mit der Auferstehungshoffnung getröstet, die sich dann im zweiten Akt als Realität erweist, wobei die Handlungszusammenfassung im Programmheft hier etwas arg kursorisch vorgeht und dem Nicht-Italienischkundigen unklar bleibt, wieso in Szene 8 Maria Magdalena nach der Begegnung mit Johannes völlig aufgelöst wegrennt, Maria Cleophas aber dableibt, obwohl beiden Marien das Auferstehungsgeschehen durch Angelo schon vorher erklärt worden ist.
Musikalisch setzt Händel das Ganze mit einem großen Füllhorn an Ideen um, beginnend schon mit der munteren Sinfonia-Einleitung, in welcher wie auch an mancherlei anderen Stellen die beiden Oboen markante Führungsrollen übernehmen. Wenn Lucifer zum Kampf ruft, müssen die Streicher naturgemäß messerscharf agieren, das Cembalo liefert markante aufsteigende Läufe zur Sonnenaufgangs-Arie von Johannes, und wo Händel die Melodie des Schlußchorals aus dem ersten Akt später nochmal verwendet hat, ist dem Rezensenten noch nicht eingefallen. An naturalistischer Darstellung gebricht es lediglich dem Beginn von Szene 5, also dem Auftakt des 2. Aktes, in dem die Erde beben soll, was aber musikalisch allenfalls Stärke 2 auf der Richter-Skala gewesen sein kann. Die Instrumentalisten wissen über weite Strecken zu überzeugen, das Zusammenspiel etwa der beiden Oboistinnen läßt keine Wünsche übrig, auch die beiden Trompeter sind gekonnt ins Gesamtbild eingebunden, ohne irgendwie unpassend hervorzustechen, und die beiden Blockflöten finden nach einigen Anlaufschwierigkeiten auch zu einer guten Lösung – dafür, dass sie sich in der vorletzten Arie von Magdalena klanglich mit den Oboen gegenseitig im Wege stehen, können sie ja nichts. Die Continuogruppe sitzt wie erwähnt weit entfernt vom Rezensenten und zudem hinter einer Säule – aber erstaunlicherweise ergibt sich gerade dadurch eine nahezu ideale Balance innerhalb des Orchesters, was die Beurteilung vom Sitzplatz des Rezensenten aus angeht. Ob die rechte Publikumsseite dadurch zuviel Continuoklang hatte, muß offenbleiben.
Dem hohen Niveau passen sich auch die Sänger problemlos an. Ursula Göller als Angelo hat eine erstaunlich kleine, aber angenehm unschrille und in den richtigen Momenten trotzdem energisch-durchsetzungsfähige Stimme, während Lars Conrad als Lucifer viel Volumen ins Gefecht führt, was ihm im Duell mit Angelo freilich trotzdem nicht hilft, obwohl er seine letzte Wutarie durchaus nochmal sehr kernig gestaltet. Yumi Tatsumiya als Maria Magdalena beginnt recht zurückhaltend, entwickelt sich innerhalb des Stücks stimmlich aber am stärksten, nämlich zu einer absolut dominanten Figur im finalen Geschehen, während Anna Schuch als Maria Cleophas zurückhaltend bleibt, sich aber stimmlich auch in den tiefen Passagen ihrer Altpartie (die ja sonst gern akustisch zugedeckt wird) angemessen Gehör verschaffen kann. Pedro Matos als Johannes singt einen völlig unprätentiösen, aber gerade dadurch ehrlich und menschlich wirkenden Tenor, nur andeutend, dass er mehr könnte, wenn das gefordert würde. Seine finale, marianische Arie besticht durch unaufdringliche Eleganz und eine äußerst wirkungsvoll ausgestaltete zentrale Verharrung, während die Andeutungen weltlicher Parallelen zuvor (wir erinnern uns: Maria Magdalena war nicht da) in der letzten Arie von Maria Cleophas ebensolche bleiben. Interessantes Detail am Rande: Den Schlußchor auch des zweiten Aktes singen wieder alle fünf gemeinsam – Lucifer ist also auch wieder da. Einen seltsamen Einfall des Regisseurs sollte man dahinter trotzdem nicht vermuten, sondern eher Effektivität, für diese beiden eher kurzen Chornummern nicht extra noch einen Chor hinstellen zu müssen. Zwei Stunden dauert die Aufführung (es gibt keine Pause, wie ein ganz leicht verzweifelter Stephan Rath dem nach dem 1. Akt partiell aufspringenden Publikum klarzumachen versucht, aber das Stimmen dauert dann doch so lange, dass man sich zumindest ein wenig die Beine vertreten kann) und wird mit sehr viel verdientem Applaus belohnt.
Roland Ludwig
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