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Artikel

Wer sich grün macht, den fressen die Ziegen: Green Lung, King Witch und Goat Explosion im Leipziger Bandhauskeller

Info

Künstler: Green Lung, King Witch, Goat Explosion

Zeit: 23.04.2022

Ort: Leipzig, Bandhaus

Internet:
http://www.bandcommunity-leipzig.org
http://www.greenlung.co.uk
http://www.facebook.com/kingwitch/
http://www.facebook.com/Goat-Explosion-1682817061931492/

Ein doomangehauchtes britisches Duo reist nach zweijähriger Tour-Abstinenz durch Europa und bestreitet an diesem Abend im Keller des Leipziger Bandhauses den letzten Gig dieser Gastspielreise. Als lokaler Support sind zusätzlich Goat Explosion am Start, die pünktlich beginnen und auch dem Uneingeweihten schnell klarmachen, dass sie gleichfalls der eher langsamen metallischen Entfaltung den Vorzug geben, wenngleich sie ihren traditionell gedachten Doom durchaus tempovariabel gestalten. Sie eröffnen mit einem instrumentalen Intro, in dem sie die jeweiligen Motive lange ausspielen, was sie auch in den regulären Songs oft und gern tun – nur hilft selbst das beim Erschließen der Songs eher wenig. Die Saiteninstrumente sind kaum als einzelne wahrzunehmen, schaffen es aber auch nicht, wie etwa bei Saint Vitus statt dessen eine überwältigende Klangwand zu erzeugen, und vor allem der Baßsound steht der Entwicklung der Riffs nicht selten eher im Wege, als dass er ihn unterstützt. Spielt einer der beiden Gitarristen Leads (sie teilen sich in diese Aufgabe), entsteht oft ein interessantes Bild, zumal etwa am Ende von „If Crimson Was My Tower“ ein klassisches Gitarrenheldensolofinale plaziert wurde, das dem bisher eher schleppenden Song eine interessante Note verleiht. Was Goat Explosion zudem gut täte, wäre ein richtig großer Sänger und zugleich Frontmann – der eine der beiden Gitarristen, der diese Jobs mit übernimmt, wirkt in seinem Klargesang oftmals eher angestrengt und präsentiert sich in den Ansagen mehr als nur schüchtern. Dass auch er mit seinen Gesangslinien kaum mal eine Bindung zum instrumentalen Unterbau findet, wundert anhand der bisherigen Schilderungen nicht. Die beiden finalen Songs wenden das Bild allerdings etwas zum Besseren – und interessanterweise handelt es sich um neue Songs (Titel ohne Gewähr). „The Suffering Judgement“ läßt den Drummer, der ein bißchen wie Muppets-Animal wirkt und fast den ganzen Set hindurch fleißig bangt, zunächst lange Zeit midtempolastiges Ufta-Ufta spielen, die Refraingesangsmelodie und der Unterbau gehen endlich mal eine Klangsymbiose ein, zum ersten Solo führt eine schon fast klassisch zu nennende Candlemass-Harmoniefolge hin, und als der Song schon zu Ende scheint, gibt es noch ein Break, und abermals hängt so ein großes Gitarrenheldensolo im Speedtempo an. „A Storm Of Sorrows“ wiederum bleibt lange eher unauffällig, setzt dann aber zu einem großen instrumentalen Part mit zahlreichen doppelläufigen Gitarrenparts an, wobei der Drummer die Fills immer weiter in die nächste Phrase hinein ausdehnt, mit ihnen dann auch immer früher beginnt und in einem wilden Progmetalfinale quasi nur noch Fills am Stück spielt. Wenn Goat Explosion die Qualitäten dieser beiden neuen Songs in ihrem weiteren Schaffen konservieren können, dürfte der Ziegengulasch, der sich aus dem Bandnamen zwangsläufig ergibt, in Zukunft durchaus nicht schlecht munden. Zu mehr als freundlichem Applaus reicht es an diesem Abend im gut besuchten Bandhauskeller noch nicht. Den größten Lacher gibt es in der letzten Ansage: Der Sänger/Gitarrist hat gerade in schüchterner Weise „Wir kommen leider schon zu unserem letzten Song“ angekündigt, da wirft sein Bassist launig ein: „Aber die anderen Bands sind voll gut, also freut euch!“

King Witch eröffnen ihren Set mit „Shoulders Of Giants“, dem Titeltrack ihrer ersten EP, aber auf den Schultern von Riesen zu stehen braucht vor allem die Sängerin gar nicht – sie ist auch auf Erdbodenniveau eine stimmliche Riesin. Die Blondine schreit, singt und appelliert mit Intensität, technischem Können und einer Neigung zum Hinaufgleiten in ganz große Höhen, wo die Stimme bisweilen ein wenig brüchig wird, was aber den Gesamteindruck hier und da eher noch befördern hilft, zumal andere extreme Höhenpassagen wiederum sehr expressiv herüberkommen und dankenswerterweise auch soundlich deutlich wahrnehmbar sind. Marta Gabriel kommt einem manchmal in den Sinn, aber noch stärker eine andere Sängerin, und vielleicht fällt dem Rezensenten auch irgendwann noch ein, welche. Musikalisch serviert das Quartett einen bunten Mix aus NWoBHM, Doom und gelegentlich etwas Folk, wobei der Titeltrack des aktuellen zweiten Albums, „Body Of Light“, gegen Ende hin fast in frühe Skyclad-Gefilde abdriftet, was die Rhythmik betrifft, während „Order From Chaos“ den Doom bisweilen leicht spacig anhaucht und von den sieben Songs dieses Abends „Diggin’ In The Dirt“ und der Titeltrack des Debütalbums, „Under The Mountain“, am weitesten im klassischen NWoBHM-Areal lagern. Gerade letzterer hätte mit seinem Speedtempo, von den zwei Doombreaks rings um den Soloteil abgesehen, auch von alten Kultcombos wie Jaguar stammen können. „Lucid“ hingegen kehrt die Verhältnisse um: Das extrem verzerrte Baßintro läßt Saint-Vitus-Erinnerungen aufkommen, dann wird der Sound klarer und lagert im Classic Doom, lediglich um ein Speedfinale ergänzt. Das vielschichtige Epos „Of Rock And Stone“ schließt den publikumsseitig lautstark bejubelten Gig der Schotten ab, und einige Enthusiasten fordern auch eine Zugabe ein, die es nach einigen technischen Irrungen und Wirrungen aber letztlich doch nicht gibt.

Setlist King Witch:
Shoulders Of Giants
Body Of Light
Order From Chaos
Diggin’ In The Dirt
Lucid
Under The Mountain
Of Rock And Stone

Sich als Londoner Band Green Lung zu taufen verrät einen etwas eigenartigen Humor, zumal zumindest an diesem Abend auch kein Ton zu hören ist, den man etwa im Stoner Rock zu verorten geneigt sein könnte. Andere Arten von Eigentümlichkeiten sind die Ziegen(schädel), die die Bühne als Backdrop oder auch physische Objekte dekorieren, und die Basecaps, die der Sänger den ganzen Gig lang trägt, der Bassist (der die Tour nur aushilfsweise spielt, was dem nicht mit diesem Fakt vertrauten Hörer aber rein musikalisch kaum aufgefallen wäre) nur während der ersten Songs. Das Quintett fährt auf dem Zug des Okkultrock mit, verpaßt diesem aber eine durchaus eigentümliche Note, so dass etwa der dem mit Dudelsäcken ausstaffierten Intro „Harrowing“ folgende Opener „Old Gods“ wie eine angedüsterte Version von Magnum klingt – ein Vergleich, der einen in der Folge allerdings seltener anspringt, wo man häufiger an eine siebzigerlastigere und doomigere Version von Ghost denkt, hier und da auch an eine verbesserte Version von Jex Thoth, wozu auch der bisweilen fast androgyne, mitunter leicht nölige, aber oft auch classic-doomig ausgeprägte Gesang paßt, der beispielsweise im Finale von „Doomsayer“ oder in „Reaper’s Scythe“ sehr expressive Gestaltungsoptionen zieht. Temposeitig agiert das Quintett durchaus variabel, vom doomlastigen und schon bei der Ansage laut bejubelten „Templar Dawn“ bis zum fröhlich galoppierenden „Reaper’s Scythe“, auch innerhalb der Songs durchaus variierend, wie „Ritual Tree“, das sich von verschrobenem und irgendwie bemüht wirkendem Doom nach einem großartigen Solo locker freigroovt, wobei sich generell die Solofraktion sowohl an den sechs Saiten als auch am bevorzugt historische Sounds erzeugenden Keyboard durch Spielfreude hervortut. In „Leaders Of The Blind“ holt die Formation Metal Joe, den Merchandiser, als Zweitsänger auf die Bühne und schließt den Hauptset mit dem Epos „Graveyard Sun“ ab, das besonders mit seinem ergreifenden balladesken Intro zu punkten weiß. Zugaben sind hier natürlich eingeplant und werden auch eingefordert – ein langes Instrumentalintro geht über in „Woodland Rites“ mit einer operettenartigen, ein wenig an Annihilators „Alison Hell“ erinnernden Passage im Mittelteil. Dass die Ziegen nicht nur reine Deko darstellen, sondern die Band auch beim Hören der Debütalben von Black Sabbath oder Venom irgendwas falsch verstanden haben muß, zeigt der finale Hit „Let The Devil In“, vor dem der Sänger das Publikum zu „Hail Satan“-Mantras animiert – der ideelle Gegenspieler von Satan rächt sich prompt, indem er den Baßsound wieder so übel dröhnig wie in „Old Gods“ ausfallen läßt, während in der Zwischenzeit diesbezüglich alles im Lot war und nur die Orgelteppiche bisweilen etwas im klanglichen Abseits gelandet sind. Wer sich grün macht, den fressen eben die Ziegen, wußte schon der alte Goethe. So bekommt die eigentlich ordentliche Leistung einen gewissen Beigeschmack, und King Witch landen auf dem imaginären Treppchen dieses Abends letztlich ganz oben.

Setlist Green Lung:
Harrowing
Old Gods
You Bear The Mark
Templar Dawn
Black Harvest
Upon The Altar
Ritual Tree
Doomsayer
Reaper’s Scythe
Leaders Of The Blind
Graveyard Sun
--
Initiation
Woodland Rites
Let The Devil In

Roland Ludwig


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