Artikel
"Vom Altern der Neuen Musik" handelt ein Vortrag Theodor W. Adornos aus dem Jahre 1954. Es ist die Abrechnung mit einer Nachkriegsavantgarde, die sich, so Adorno, in einem hohlen Materialfetischismus und technischen Spielereien erschöpft habe. Also: zwölftonmäßig schien alles korrekt, ästhetisch aber zeigten sich deutliche Verschleißerscheinungen. Offenbar hatte die junge Komponistengeneration Angst davor, jung zu sein, und zog die Sicherheit von neutralen Verfahren dem Wagnis verbindlichen Ausdrucks vor. Statt sich um gesellschaftliche und künstlerische Relevanz zu bemühen, pflegte man esoterische Glasperlenspiele im Elfenbeinturm der seriellen Musik: Sinnlosigkeit werde zum Programm erhoben und dann amateurhaft intellektualistisch als "wissenschaftliches Stadium der Musik" überhöht, so Adornos Kritik.
Die serielle Musik, das war Ende der 1940er Jahre eine ebenso radikale wie - im Rückblick - naive Weiterentwicklung der Zwölftontechnik gewesen: Nicht mehr nur die Tonhöhen, sondern auch Dauern, Dynamik, Artikulation, Klangfarben etc. wurden jetzt durch Reihen im Voraus festgelegt. Alle Elemente sollten gleichberechtigt sein und wurden dadurch im Grunde austauschbar. Das Ergebnis dieser totalen Demokratisierung des „Materials“ war ein mehr oder weniger beliebig klingendes Geschehen, das in lauter Einzelereignisse - letztlich die einzelnen, vor-definierten Töne - zerfiel. Daher auch die Bezeichnung „punktuelle Musik“. Die im Hintergrund wirksamen Ordnungsprinzipien konnten vom Hörer nicht durchhört werden. Die Ausdehnung des Reihenprinzips auf alle Elemente der Musik konfrontiert das Ohr im wahrsten Sinne mit Unerhörtem und Unhörbarem. Jeder subjektive Ausdruck war erfolgreich getilgt worden. Was blieb, waren "Tapetenmuster tönend bewegter Form" (Adorno). Der Klangeindruck unterschied sich von dem der erwürfelten Partituren eines John Cage interessanterweise überhaupt nicht: Völlige Kontrolle und reiner Zufall führten zu den gleichen Ergebnissen! Die „Neue Musik“ war zu einem Fall für die Wahrscheinlichkeitsrechnung geworden.
Interessanterweise wollte Adorno von seinem harten Urteil dann später wenigstens ein Werk doch ausgenommen wissen: Le Marteau sans maître des damals 28jährigen französischen Komponisten Pierre Boulez, komponiert für Altstimme und sechs Instrumentalisten auf die surreale Lyrik René Chars.
Boulez, einer der Gründerväter des Serialismus, ging mit dem 1953-1955 komponierten Werk zur doktrinären Enge auf Distanz. Serielle Technik ist hier ein Mittel, nicht mehr alleiniger Zweck der Musik. Die Fantasie dominiert über die sterile Reinheit der Struktur. Selbst ein regelmäßiger Beat wird hier und da (verhalten) angeschlagen. Boulez’ Kollege György Ligeti sprach gar von einer „bunt-sinnlichen Katzenwelt“, mit der Boulez aus dem totalitären Korsett seiner vorausgegangenen Structures pour deux pianos ausgebrochen sei. Die Mischung aus abstrakter Schönheit und wahrlich exotischem Klangkolorit (das Ensemble besteht aus Flöte, Gitarre, Viola, Vibraphone, Xylorimba und einem umfangreichen Schlagzeugapparat) korrespondiert ideal mit den schwebenden Sprachkunstwerken René Chars. Man kann verstehen, dass Adorno angetan war: statt beliebig-grauer Klangkonstrukte gibt es gestaltete, schillernde Farbigkeit, mitunter geradezu malerische Wirkungen; statt philiströser Notenzählerei findet sich Verbindlichkeit im Ausdruck. Le Marteau sans maître klingt stellenweise wirklich wie Musik von einem anderen Planeten, wobei die extremen Intervallsprünge, die der Singstimme immer wieder abverlangt werden, schon gewöhnungsbedürftig sind. In der vor kurzen bei der DG veröffentlichten Neuproduktion unter Leitung des Komponisten sind die Texte Chars dem herben, androgynen Alt von Hillary Summers anvertraut.
Seitdem Boulez als Dirigent mit der Deutschen Grammophon 1989 einen Exklusivertrag abgeschlossen hat, hat er auch immer wieder eigene Kompositionen mit „seinem“ auf zeitgenössische Musik spezialisierten Ensemble InterContemporain eingespielt. Zum 80. Geburtstag sind überdies seine Drei Klaviersonaten durch den jungen finnischen Pianisten Paavali Jumppanen mustergültig interpretiert worden. Damit liegt auf inzwischen 6 CDs ein integraler Bestand seiner Kompositionen vor.
LABYRINTHE
Obwohl in Form und Besetzung immer sehr unterschiedlichen, ist die Boulez-typische Ästhetik der Stücke doch immer unverkennbar. Seine Musik entwickelt sich zwischen Freiheit und Strenge, zwischen unbändigen, im wahrsten Sinne fantastischen Klang-Imagination und kühler formaler Kontrolle.
Deutliche Spuren haben die maßgeblichen Strömungen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in seinem Personalstil hinterlassen: die rhythmischen Neuerungen Igor Stravinskys und Olivier Messiaens, die Reihentechnik von Arnold Schönberg und Anton Webern, die sinnliche Klangarchitektur Claude Debussys, die Timbres und Texturen der elektronischen Musik. Unüberhörbar sind auch die Einflüsse außereuropäischer Kulturen, z. B. was die oft exotisch anmutenden Instrumentalfarben und die rhythmischen Finessen angeht.
Das klingende Ausgangsmaterial wird in all seinen Möglichkeiten erkundet, da spürt man den Tüftler der seriellen Schule. Aber der Komponist ist dabei nicht stehen geblieben. Vor allem in den Werken ab 1960 demonstriert er eine Logik der Klangsinnlichkeit. Lapidare Elemente wie ein Triller, ein gebrochener Akkord oder die Resonanzen eines Instruments werden zum Gegenstand schier unerschöpflicher (und manchmal auch ausufernder) klanglicher, motivischer und struktureller Transformationen, die bis zu einer schier überbordenden Komplexität getrieben werden können. Boulez spricht in diesem Zusammenhang von einem Labyrinth, das sich immer weiter entfaltet und verästelt. Der Komponist ist hier zugleich Erforscher und Führer in einem unendlichen Klang-Kosmos, dessen mitunter bizarre Planeten sich auf kontrolliert-chaotischen Bahnen bewegen. Das Experimentieren, Suchen, Verwerfen und Erfinden spiegelt sich auch in den Entstehungsprozessen der Kompositionen: Zahlreiche Werke wurden in den vergangenen Jahren immer wieder überarbeitet und erweitert. Material aus älteren Stücken fungierte als Keimzelle für neue Kompositionen. So wuchs der Zyklus Pli selon Pli für Sopran und diverse Instrumentalgruppen von 1957 bis 1989 auf die heute fünfteilige Fassung an, wobei auch die Aufführung von einzelnen Abschnitten möglich ist.
Das Etikett des kopflastigen Analytikers und technizistischen Klangingenieurs hängt sowohl dem Dirigenten wie auch dem Komponisten Boulez an. Zu Unrecht, wie ich meine. Vielleicht sollte man musikalische Energie nicht sofort mit emotionaler Energie gleichsetzten. Da höre man sich nur die traumverlorene Sopranpartie aus Pli selon Pli an, die mit federleichter Eleganz über die schillernden instrumentalen Fragmente des Orchesters hinweggleitet. Oder den rasanten, schlagzeuggepanzerten Tornado, den Boulez in Notation II (1945/1978) in der Fassung für großes Orchester entfesselt. Das ist kraftvolle Ohrenmusik - aber eben nichts für den gemütlichen Ohrensessel. Auch die anderen fünf orchestralen Notations (neben der Nr. II sind die Nr. I, III, IV und VII vollendet) eigenen sich hervorragend zum Einstieg in das Werk des Komponisten (Nr. I-IV zusammen mit Werken von Nono, Rihm & Ligeti auf der CD Wien modern, ein vorzüglicher Konzertmitschnitt der Wiener Philharmoniker und Claudio Abbado, ebenfalls DG). Vielleicht liegt es daran, das der Komponist hier auf Werke zurückgegriffen hat, die er 1945 geschrieben hat: 12 ultrakurze 12-Ton-Notate fürs Klavier, Werke mit sehr klarem Profil (die übrigens Pierre Laurent Aimard auf der CD ...explosante-fixe... zusammen mit dem 2. Teil der Structures pour deux pianos vorstellt, s. u.). Er schreibe auf verschiedenen Ebenen mit unterschiedlichem Anspruch an die Hörer, so Boulez in einem Interview. Die eine Ebene sei einfach, sie klinge sozusagen vertraut, die andere hingegen sei komplex und neuartig und lade den Hörer zum Erkunden ein.
„EXPLOSANTE-FIXE ... & CO
In dem zwischen 1981-1984 über mehrere Versionen ausgereiften Repons kann man all das eindrucksvoll nachhören. Das Stück beantwortet die Frage „Was ist ein gebrochener Akkord, also ein Arpeggio - und was das Arpeggio eines Arpeggios - und das Arpeggios eines Arpeggios eines Arpeggios?“ mit einem seinerzeit großen elektro-akustischen Aufwand (der PC hat da inzwischen zur Miniaturisierung beigetragen). Sieben solistische Instrumente - zwei Flügel, eine Harfe, ein Vibraphon, Xylophon und Glockenspiel sowie ein Zimbal - werden um das Auditorium herum im Raum verteilt. In der Mitte befindet sich das Orchester mit dem Dirigenten. Sechs Lautsprecher und ein komplexes elektronisches Equipment erlauben, den Klang der Solo-Instrumente während der Aufführung zu manipulieren und zusammen mit vorproduzierten Klängen flexibel zuzuspielen. Die Verteilung der Schallquellen ermöglicht neuartige Raumklangeffekte und Klangbewegungen. Die gebrochenen Akkorde der solistischen Kurztoninstrumente werden in unendlichen Spiegelungen und Permutationen aufgefächert, gemischt, rückprojiziert und mit dem Klang des Orchesters konfrontiert, beantwortet oder verschmolzen: Repons leitet sich von „Responsorium“ her und bedeutet so viel wie Antwortgesang.
Die Grenzen zwischen realem und virtuellem Raum, zwischen akustischem und elektronischem Instrumentarium verwischen. Stellenweise sind die Texturen der ineinander übergehenden Abschnitte sehr dicht, dennoch gerät das Geschehen akustisch niemals außer Kontrolle. Alles scheint bis in die letzte Stimme ausgehört und entfaltet sich virtuos, schillernd, geradezu luxuriös in seiner üppigen, ja verführerischen Klanglichkeit. Der Höhepunkt ist in der 6. Sektion erreicht: Alles fließt hier, der Abschnitt ist eine einzige Wildwasserfahrt mit abgründigen Blechregistern, hellen Reflexen der Solisten, Steicherströmungen- und strudeln. Immer Neues taucht aus der Tiefe des Klangraums auf, gewinnt für einen Moment Kontur und sinkt wieder zurück. Frisch und zu keinem Augenblick „materialermüdet“ klingt Repons auch noch nach 20 Jahren.
Angesichts der aufnahmetechnischen Probleme hat sich Boulez lange Zeit geweigert, das Werk überhaupt einzuspielen. 1996 hat er es dann trotzdem getan: mit dem Ensemble InterContemporain im Pariser IRCAM, dem von Boulez gegründeten Pariser Institut für zeitgenössische Musik, wo auch die Software für die Liveelektronik entwickelt wurde. Und obwohl mit der SACD heute ganz andere Möglichkeiten zur Klangabbildung zur Verfügung stehen, ist die Stereo-Aufnahme doch vorzüglich gelungen. Zwar sitzt man nicht im Klang, sondern davor, doch teilt sich die Räumlichkeit der Musik trotzdem in jeder Sekunde mit.
Zwei weitere Werke, explosante-fixe… und Sur Incises inszenieren ähnlich virtuose Labyrinthe mit anderen, aber nicht weniger packenden Mitteln. Sie eigenen sich zudem besser für die klassische Stereoaufnahme; auch hier haben die IRCAM-Techniker exzellente Arbeit geleistet. explosante-fixe… (1991/93) ist gewissermaßen ein Tripelkonzert für Orchester und drei Flöten, von denen eine wiederum per Midi mit dem Computer verbunden ist. Die Klänge der Midi-Flöte werden von den beiden anderen Flöten kommentiert, reflektiert, alle drei Instrumente schließlich mit dem Orchesterklang verschmolzen. Das Ergebnis dieser Klang-Legierungen ist berückend: ein irisierendes Farbenspiel sondergleichen, aus dem fremdartige und vertraute Gestalten - kurze Melodien, Floskeln und Gesten - immer wieder hervorstechen, bevor sie sich in etwas Neues verwandeln. Wie bei Repons überzeugt die vollkommen natürliche Einbeziehung der Elektronik. Selbst wenn sie in den „Zwischenspielen“ solistisch zum Einsatz kommt, ist sie niemals aufgesetzter technischer Effekt, sondern organischer Bestandteil des musikalischen Geschehens.
Vor diesem Hintergrund ist es eigentlich nicht verwunderlich, dass auch Werke mit einer rein akustischen Besetzung elektronische Klangwelten evozieren. Sur Incises (1996/98) sieht drei Klaviere, drei Harfen und drei Schlagzeuge vor. Das Klangbild erinnert mitunter an elektronische Musik (der Einsatz der Steel Drums zu Beginn!). Diesmal ist es das von Saiten- und Perkussionsinstrumenten gerahmte „zwittrige“ Klavier, das zum Ausgangspunkt eines mehrdimensionalen Labyrinths wird. Die extreme, vibrierende Virtuosität der rapiden Kadenzen erweckt den Eindruck, als ob George Gershwin hier ein Klavierkonzert auf LSD geschrieben hat.
AVANTGARDE ABSOLUT
Wenn man in diese brillante Musik eintaucht, möchte man beinahe vergessen, dass Boulez einst als fundamentalistischer Avantgardist begonnen hat. Als „Junger Wilder“ hat sich mit anderen prominenten Genossen seiner Generation - Karlheinz Stockhausen, Bruno Maderna, Luigi Nono, Luciano Berio - daran gemacht, die Sprache der westeuropäischen Musik von Grund auf zu verändern. Schönberg, Berg und vor allem Webern wiesen mit ihrer Zwölftonmusik einen Weg aus der während der Nazibarbarei diskreditierten Tradition.
Die Nachkriegskomponisten beschritten diesen Pfad mit einer Radikalität, die durchaus ihre totalitären Seiten hatte. Wer nicht in dem neuen, dem seriellen Idiom komponiere, der sei nutzlos, ließ sich Boulez vernehmen. In einem berühmten Spiegelinterview wollte er dann auch gleich noch die Opernhäuser als Hort der Reaktion in die Luft sprengen. (Dass er dann in den 60er und 70er Jahren selbst Wagner gerade in Bayreuth dirigierte, könnte man als eigenwillige Umsetzung dieser Forderung begreifen: Boulez unbestechliches Dirigat selbst war zusammen mit der bilderstürmerischen Ring-Regie von Patrice Chéreau die „Bombe“, die mit dem stereotypen Raunen und Sausen im Bayreuther Operntempel aufräumte.)
PIANOKÜNSTE
Vor allem in der nach dem Maitre entstandenen dritten Klaviersonate (1955/57) gibt es wieder deutlich serielle Passagen („Points“). Boulez hat das bis heute nur in Teilen realisierte Werk zudem in modularer Form konzipiert, dessen Abschnitte vom Interpreten individuell montiert werden können - eine Reaktion auf die prinzipielle Austauschbarkeit der Elemente, wenngleich alle Entscheidungen vom Komponisten vorausgesehen wurden: gezähmter Zufall à la Cage, assimiliert ins westeuropäische Komponier-System!
Es ist in diesem Fall Paavali Jumppanen, der sich dieser spröden Musik so engagiert annimmt, dass weder die immensen pianistischen Ansprüche noch der Konstruktivismus der Musik im Vordergrund stehen. Nachdem die oft polemischen Auseinandersetzungen und der ideologische Wahrheitsanspruch der Avantgarde verklungen sind, kann man diese Musik heute offenbar einfach als eine weitere Station in der europäischen Musikgeschichte spielen und hören. Extrem bleibt sie trotzdem. Grenzgängerisch, ein Endpunkt. Für ihn selbst, so Boulez, seien seine frühen Klavierstücke wichtige Stufen in seiner Entwicklung gewesen, für Jumppanen dagegen seien es Objekte, die er auf seinem Weg gefunden hat und aus denen er etwas machen müsse.
Befreit von der Vorgabe, hier nichts als die purifzierte Struktur hören zu dürfen, lässt man als Hörer seinen Assoziationen ebenso entspannt freien Lauf: Bei Jumppanen offenbaren die grau-schwarzen Geröllfelder der 3. Sonate einen großen Reichtum an Schattierungen. Eiskristalle, Schlackelandschaften, chromblitzende Pfeile, gemahlenes Glas, Diamantstaub ... Noch stärker ist dieser Eindruck unmittelbarer Sinnlichkeit bei den vorausliegenden Werken. Die - gemessen an Nr. 3 - geradezu „traditionelle“ 1. Sonate (1946) und ihre schon radikalere Nachfolgerin Nr. 2 (1947/48) gewinnen unter Jumppanens Händen beethovensche Wucht. Boulez, damals Anfang 20, inszenierte die Zertrümmerung der Konvention als hochreaktives Gemisch aus Zartheit und Gewalt. Der rhythmische Furor - die toccataartigen Läufe im 2. Satz der Sonate Nr. 1! - zwingt die Zwölftonpartikel immer wieder in erkennbare Bahnen und Bewegungen hinein. Heftige Gesten und Ausbrüche, lyrische Abstraktion, sich überschlagende Kaskaden und Reste thematischer Arbeit ergeben in der 1. und 2. Sonate ein expressives Gemisch.
KLEINFORMATIGES
Boulez hat auch für Kammer- und Solobesetzungen komponiert, häufig genau abgestimmt auf die Fähigkeiten der Solisten von InterContemporain. Mit ihrem konzentrierten, überschaubaren Vokabular sind sie sicherlich seine am leichtesten zugänglichen Werke. Das Labyrinth entfaltet sich hier eher als Folge von Räumen und man bleibt sozusagen auf einer Etage. Messagesquisses (1976/77) konfrontiert ein Solocello in einem erregenden Vexierspiel mit sechs weiteren Celli. Anthems 2 (1997) für Solovioline und Elektronik weckt dagegen Assoziationen an das Sounddesign von Science-Fiction-Filme aus den 50er Jahren; das „ultimative“ Trillerstück Dialogue de l’ombre double (1985) für Soloklarinette und Elektronik erzeugt dagegen ein feinmaschiges, elegantes Netz aus Ornamenten und Verzierungen. Dagegen atmen die Ensemblestücke Dérive I & II (1984/1988-2002) doch wieder stärker den Geist serieller Teilchenbeschleunigung.
Boulez ist unbeirrbar seinen Weg gegangen und seinem Stil, bei allen Modifikationen, im Grunde treu geblieben. Er bewundere Komponisten, die immer tiefer in eine Sache hineingingen und deren Möglichkeiten zu ergründen suchten, sagte er einmal. Sein relativ schmales Werk enthält hochkondesierte abstrakte Meisterwerke, die nach wie vor die Hörkonventionen provozieren (die in punkto serieller Musik mit ihrem Widerstand so falsch nicht liegen ...). Vor allen Dingen aber verzaubert Boulez in den besten Momenten den Hörer, weil die Sinnlichkeit des Klangs und die Phantasie des Komponisten schließlich doch über die technischen Verfahren dominieren.
Georg Henkel
Zurück zur Artikelübersicht |