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Titel: Renegades. Born in the USA
Verlag: Penguin Random House
ISBN: 978-3-328-60243-9
Preis: € 42
320 Seiten
Beide sind Idole und so etwas wie Ikonen – der zwanzigfache Grammy-Gewinner Bruce Springsteen und der zweifache Präsident Barack Obama. Renegades dokumentiert in acht Kapiteln eine Reihe von Gesprächen, die die beiden im Sommer 2020 geführt haben – über die Situation Amerikas, die Bedeutung der Rock-Musik, die Frage von Männlichkeit, weiße Vorherrschaft, die Macht des Geldes und einiges mehr.
„Born in the USA“ ist der wohl bekannteste Titel von Bruce Springsteen. Born in the USA ist auch die Voraussetzung dafür, dass jemand Präsident der USA werden kann. „Born in the USA“ ist möglicherweise auch der am meisten missverstandene Titel von Bruce Springsteen, so sehr, dass selbst Donald Trump auf die Idee kam, ihn für seinen Wahlkampf zu verwenden. Und „Born in the USA“ ist nicht nur von seinem Titel, sondern von seinem ganzen Text her eine passende Überschrift für Renegades, denn die Spannung von Solidarität, Identifizierung und Kritik, die sich in dem Song äußert, zieht sich als roter Faden durch das Buch. Und gerade daran kann man auch den grundlegenden mentalen Unterschied zwischen Deutschland und den USA fest machen.
Obama und Springsteen sagen erst einmal ohne jedes Wenn und Aber „Ja“ zu den USA. Sie können positiv von den Gefühlen sprechen, die sie beim täglichen Fahnenappell in der Schule hatten. Sprimgsteen erinnert sich: „Als ich klein war, bekam man bei der Memorial-Day-Parade diese kleinen Fähnchen und schwenkte sie. (Memorial Day, amerikanischer Nationalfeiertag (seit 1868/82), der an die für das Vaterland Gefallenen erinnert. Geht bereits auf den amerikanischen Bürgerkrieg zurück; NvF) Und ich glaube, ich hatte das Gefühl, zu etwas sehr Besonderem dazuzugehören, das Gefühl, wir wären irgendwie ein gesegnetes Land.“ (S. 30) Dass die USA im Prinzip und von ihrer Verfassung her das beste und freieste Land der Welt sind, the land of the Free and the Brave, würden sie wohl ohne jeden Abstrich bejahen. Ein Bekenntnis, das den meisten Deutschen schwer fallen dürfte.
Deutschlandfahnen an den Autos während der Fußball-WM oder -EM, das geht seit 2006 wieder okay. Vorher war auch das so undenkbar, dass ich 2006 anfangs noch mächtig schlucken musste, wenn ich schwarz-rot-goldene Fahnenmeere gesehen habe. Und außerhalb dieser besonderen Situation gerät auch heute noch jeder Deutsche in einen üblen Verdacht, wenn er Schwarz-Rot-Gold über seinem Schrebergarten wehen lässt. Man kann da auf Fußballvereinsfahnen ausweichen, wahlweise gehen in meinen Breiten auch Berlin- oder Spandau-Fahnen. Aber man muss nicht zu Schwarz-Weiß-Rot greifen, um in den Verdacht der Rechtslastigkeit zu geraten.
In den USA ist das Sternenbanner allgegenwärtig. Ein Bandname wie Anti-Flag reicht einer Punk-Band schon als Provokation. Das klare Bekenntnis zu den USA bedeutet im Fall von Obama und Springsteen aber alles andere als Kritiklosigkeit. Im Gegenteil: die beiden sehen sehr deutlich, was im Staate stinkt.
Und genau das macht Renegades so spannend. Kritisch und auch selbstkritisch analysieren der Ex-Präsident und der Rock-Boss den eigenen Rassismus und den Rassismus des weißen Amerikas, die Folgen der kapitalistischen Marktmechanismen und auch die eigene Prägung als weiße, bzw. schwarze Männer. Dabei sprechen die beiden sehr offen und auch sehr persönlich.
Drei Mal sind Manuskripte von Reden Obamas mit handschriftlicher Überarbeitung abgedruckt. Insbesondere diese Reden illustrieren die oben angesprochenen Unterschiede zwischen den USA und Deutschland sehr deutlich. Eine von ihnen wurde am 7. März 2015 gehalten, dem 50sten Jahrestag des berühmten Marsches über die Brücke von Selma in Alabama, eine bewußte Provokation schwarzer (und weißer) Bürgerrechtler gegen ein von der Polizei verhängtes Gebot.
In Deutschland wäre eine solche Rede mit großer Sicherheit eine Anklage an den deutschen Staat und die deutsche Gesellschaft – je nach Redner, indem die Schuld Deutschlands demütig bekannt, oder indem das fehlerhafte Handeln der heutigen Führungssicht angeprangert würde.
Letztlich ist auch die Rede Obamas eine sehr kritische Anfrage an die USA von heute. Aber er setzt nicht bei den Fehlern des Establishments und der Menschen an, sondern bei den Idealen von Freiheit und Menschenrechten, denen die Menschen 1971 gefolgt sind und die in der Verfassung der USA festgeschrieben sind.
Im Blick auf die Inhalte der Verfassung besteht erst einmal kein Unterschied zu Deutschland. In mancher Hinsicht sind die Freiheiten, die Bürger- und die sozialen Rechte der Menschen im Grundgesetz sogar noch deutlich stärker gefasst als in der amerikanischen Verfassung. Aber wo sind die Redner, die Politiker, die „Influencer“ (nicht nur in den sozialen Medien), die diese Fahne hochhalten und so zu deutschen Verfassungs-Patrioten werden.
Mich hat da ein Kollege sehr beschämt, ein Ethik-Lehrer, mit dem ich gemeinsam unterrichtet habe, ein aus Afghanistan geflohener Moslem, der noch in der letzten Phase seiner berufsbegleitenden Ausbildung war und den Schülern im Ethik-Unterricht Grundgesetzte in die Hand gedrückt hat, die man kostenfrei bei der Bundeszentrale für Politische Bildung beziehen kann. Und er hat ihnen gesagt, wegen dem, was in diesem Buch steht, bin ich aus Afghanistan nach Deutschland geflohen.
Ein solches Bekenntnis zur US-Verfassung höre ich in den Kapiteln von Renegades immer wieder durch. Es ist der rote Faden, an dem die oft scharfe Kritik an der US-Regierung und -Gesellschaft aufgehängt ist.
Als Springsteen seine Auftrittsphilosophie mit den Worten „Ich gebe mein Bestes, um das Beste in euch hervorzubringen. …Ich will auf die Bühne treten und euer Leben verändern.“ beschreibt, kommentiert Obama das „Es ist dein Priesteramt.“ (S. 99) Schon vorher hatte er formuliert „…dann wirst du irgendwann zum Gefäß für die Hoffnungen und Träume der Menschen. Du wirst einfach zu einem Kanal.“ (S. 26)
Vielleicht ist die Stärke der USA auch in dieser Art von „Think positive“ begründet, die eine tiefe grundsätzliche Gemeinschaft aller Amerikaner begründet, ein Denken, das übrigens insbesondere von Donald Trump in Frage gestellt wurde, wenn er in seinen Reden vor allem zu Angriffen auf das Establishment bliess – und in dieser Hinsicht völlig unamerikanisch war. Es ist bezeichnend, dass sein Name in Renegades fast konsequent vermieden wird.
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