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Titel: Wie ein Regenbogen. Das außergewöhnliche Leben von Anita Pallenberg
Verlag: Hannibal
ISBN: 978-3-85445-697-1
Preis: € 26
416 Seiten
Wer nur oberflächlich von Anita Pallenberg gehört hat, dem dürften folgende Stichworte durch den Kopf gehen – Super-Groupie, Sex-Symbol, Model, Stones-Wanderpokal. Simon Wells tritt mit dem Anspruch an, dieses Bild zu korrigieren. Er beschreibt Anita Pallenberg in der Einleitung als eine außergewöhnliche Frau, eine selbstbewusste Vorkämpferin des Feminismus, ein kreatives Design-Genie, das den (optischen) Auftritt der Rolling Stones so entscheidend geprägt habe, dass er sie später sogar als sechstes Band-Mitglied bezeichnen kann.
Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen – genau wie das, was uns Wells dann auf gut 400 Seiten erzählt.
Für Wells ist Anita Pallenberg eine der schönsten Frauen ihrer Zeit. May be! Die Fotos, die in zwei mehrseitigen Strecken, in dem Buch zu finden sind, belegen das keineswegs – und das liegt wohl nicht nur daran, dass sie in schwarz-weiß und technisch relativ schwacher Form präsentiert werden. Wenn das, was Wells erzählt, auch nur ansatzweise zutrifft, muss Pallenberg jedenfalls über ein ungeheures Charisma verfügt haben. Sie lebt ein mondänes Leben, war Mittelpunkt jeder Gesellschaft, in der sie auftrat, und hatte permanenten Zugang zu der High Society in Film, Musik und Mode, ohne dass man eindeutig sagen kann, was sie denn nun eigentlich war.
Sie hat als Model gearbeitet. Sie hat mehrere Filme gedreht. Sie hat Mode designt. Aber sie erscheint in dieser Biographie zu keiner Zeit wirklich als Model, Schauspielerin oder Modeschöpferin. Sie macht das einfach, weil sie dazu gehört und es ihr Spaß macht einmal diese Rollen einzunehmen. Man hat auch nie den Eindruck, dass sie großen Wert darauf legt, in dem jeweiligen Bereich große Karriere zu machen, oder bereit sei sich den Gesetzen des Bereiches zu beugen. Es wirkt eher so, als sei die große Anita vorübergehend bereit, den Film oder den Catwalk mit ihrer göttlichen Anwesenheit zu beehren.
Aber diese „beruflichen“ Tätigkeiten sind eigentlich auch eher Begleiterscheinungen ihres privaten Lebens. Und das ist nun tatsächlich intensiv mit den Stones verbunden. Wells befasst sich intensiv mit ihrer Beziehung zu Brian Jones und dem Wechsel zu Keith Richards. Ob irgendwann auch irgendwas (und was) mit Mick Jagger gelaufen ist, hält Wells konsequent in der Schwebe. Die Beziehung zu Richards zerbricht jedenfalls nicht wegen eines anderen Mannes, sondern an sich selbst. Eine neue feste Beziehung findet Pallenberg nach der Trennung von Keith Richards nicht mehr. Richards liebt sie nach eigener Aussage weiter, sieht aber keine Möglichkeit mehr, die Beziehung mit ihr weiter zu leben. Auch nachdem er anderweitig verheiratet ist unterstützt er sie weiterhin großzügig finanziell.
Dass man der Charakterisierung, die Wells in der Einleitung gegeben hat, im Laufe der Lektüre immer mehr misstraut, basiert auf einem Aspekt ihres Lebens, der bislang noch nicht erwähnt wurde. Anita Pallenberg hat ihr Leben im permanenten Drogenrausch verbracht. Diverse Entziehungskuren hatten nur kurzfristige Erfolge oder bestenfalls die Wirkung, dass auf eine andere Droge gewechselt wurde. Wells versucht, das sagt er ausdrücklich, den Eindruck einer selbstbewussten Frau, zu erwecken, die der Welt ihren Stempel aufdrückt. Aber letztlich erscheint Anita Pallenberg als eine Frau, die ihr Leben ähnlich intelligent führt, wenn auch besser gekleidet als Mötley Crüe, und ähnlich souverän wie Christiane F., wenn auch in gehobeneren gesellschaftlichen Kreisen. Ähnlich wie bei den Crües und vor allem Christiane F. muss man betroffen schlucken, wenn Wells den auch körperlichen Verfall Pallenbergs beschreibt, ohne davon abzugehen, sie als starke selbstewußte Frau zu bezeichnen.
Wells` Versuch Anita Pallenberg zu rehabilitieren wird durch das Titelbild endgültig zur Farce gemacht. Das Bild des willfährigen Groupies, das er durch seine Darstellung tatsächlich widerlegt hat, wird durch das Bild, das Pallenberg direkt zwischen die gespreizten Beinen blickt, eher bestätigt. Die Scham nur durch einen Zipfel ihres Hemdes bedeckt, werden damit vor allem die voyeuristische (Kauf-)Interessen einer vorwiegend männlichen Klientel bedient. Vermarktungstechnisch mag das sinnvoll sein. Wells hat das ebenso wenig verdient, wie Anita Pallenberg.
Eine spannend geschriebene und von Eclipsed-Autor Alan Tepper flüssig übersetzte Biographie, die Wir Kinder von Bahnhof Zoo und Mötley Crües The Dirt um eine Version im internationalen Jet Set ergänzt.
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