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Artikel

Radio-Moderatorin Anja Caspary schreibt ein modernes Buch Hiob

Info

Autor: Anja Caspary

Titel: In meinem Herzen steckt ein Speer. Das Jahr, das alles veränderte

Verlag: Ullstein

ISBN: 978-3-86493-108-6

Preis: € 16,99

286 Seiten

Ein mutiges Buch! Ein offenes Buch! Ein manchmal brutal schonungsloses Buch! Aber auch ein oft sehr zärtliches, liebevolles Buch! Anja Caspary erzählt auf knapp 300 Seiten von ihrer Begegnung mit dem Krebs, der sie binnen eines Jahres gleich zwei Mal mit äußerster Härte heimsuchte und ihr den Mann und beide Brüste nahm. Norbert hat sich dieses Buches angenommen. Als Pastor ist er für ein solches Thema natürlich prädestiniert. Aber er hatte auch persönliche Gründe zu Anjas Buch zu greifen.

Anja Caspary ist bereits einmal in unserem Magazin aufgetaucht - in meiner monatlichen Kolumne 25 Years after im Mai 2018. Dort berichtete ich über einen Sonntagnachmittag im Studio des Berliner Jungendsenders Fritz. Anja moderierte damals die Fritz Roadshow und ich durfte am 16. Mai 1993 als Hörer-DJ dabei sein. An so etwas erinnert man sich – genau wie an die vielen Sonntagnachmittage, die ich ihrer Stimme gelauscht habe. Sie haben eine (zumindest einseitige) dauerhafte Beziehung hergestellt.

Gut 20 Jahre später erreichte die berufliche Karriere der mittlerweile 50-jährigen einen neuen Höhepunkt. Sie wurde Musik-Chefin von radioeins, dem jugendlichen Sender – „nur für Erwachsene“, so sein Slogan - beim rbb. Ein Jahr der Freude sollte dieses „Jahr, das alles veränderte“ allerdings nicht werden. Am Morgen des Tages, an dem das letzte Bewerbungsgespräch stattfinden sollte, hatte Caspary einen Routinetermin beim Arzt vereinbart. Mit der Mammographie verband die sportliche, bewusst gesund lebende Powerfrau wenig Erwartungen. Es gab keinerlei familiäre Vorbelastung. Sie rauchte nicht, lebte vegetarisch, … Die Diagnose „Krebs in beiden Brüsten“ traf sie daher völlig unvorbereitet und mit aller Härte.

Caspary beschreibt minutiös die Stunden und Tage von der ersten Diagnose über die endgültige Bestätigung bis zu ihrer Entscheidung zur Totaloperation auf beiden Seiten. Fesselnd und beeindruckend ist dabei ihre Fähigkeit die Situation sowohl absolut sachlich zu beschreiben als auch im nächsten Moment die emotionale Achterbahnfahrt erlebbar zu machen, durch die sie hindurchgehen musste. Biographische Rückblicke machen ihren Umgang mit der Situation verstehbar, weil man den Menschen Anja Caspary und sein Verhältnis zum Leben kennen und verstehen lernt.

Die Offenheit, mit der sie vorgeht, wird den einen oder anderen schockieren. Sie spricht mit schon fast voyeuristischer Lust über ihr Verhältnis zu ihrem Körper, ihren Brüsten und über ihre Vorlieben beim Sex. Letztlich ist das bei einem Buch, das über den Verlust der Brüste berichtet, aber mehr als sachgerecht. Denn das damit tiefgehende Veränderung gerade auch bei der Sexualität einhergehen, ist ja nun wirklich nicht von der Hand zu weisen.

Beeindruckend ist die Konsequenz, mit der sie ihr neues Leben annimmt und aktiv unter neuen Vorzeichen zu gestalten beginnt. Immer an der Seite dabei ihr Mann Hagen Liebing, Bassist bei der Berliner Punk Band Die Ärzte.

Als Anja aus dem Gröbsten raus ist, holt das Schicksal zum zweiten Mal aus – und trifft dort, wo es oft noch schmerzvoller ist als am eigenen Leib, bei einem geliebten Menschen. Bei Hagen wird ein Gehirntumor diagnostiziert, der schon so weit gestreut hat, dass er nicht nur inoperabel, sondern letztlich nicht mehr sinnvoll zu behandeln ist.

Was bei ihr selbst eine Achterbahnfahrt der Gefühle war, wird nun zur Geisterbahn. Offen wie zuvor, beschreibt Caspary den langsamen Abbau Hagens, der letztlich zum Dahinsiechen wird – icl. den harten und endgültigen Entscheidungen, die Chemo-Therapie abzubrechen und aus der gemeinsamen Wohnung ins Hospiz zu gehen.

Ich wiederhole mich, wenn ich sage, dass Anja Caspary sehr offen und detailliert sagt, was sie getan hat. Wovon man wenig hört ist das, was ihr Kraft gegeben hat. „Not lehrt beten.“ lautet ein altes Sprichwort, dass sich mit der Tatsache beschäftigt, dass viele Menschen, wenn sie an die Grenzen ihrer Kräfte kommen, die kraftspendende Wirkung der Religion entdecken. Religion taucht bei Caspary nicht einmal im Nebensatz auf – auch wenn man sich beim Miterleben ihrer Geschichte immer wieder einmal an das Buch Hiob erinnert fühlt – insbesondere bei der Reflektion darüber, dass ein „gut“ lebender Mensch (was in ihrem Fall gesund, sportlich, drogenfrei heißt) massiv ins Unglück stürzt, während der „Böse“ reiche Ernte einfährt.

Caspary scheint alle Kräfte aus sich selbst zu ziehen, aus ihrer Bereitschaft auch (über)belastenden Tatsachen ins Gesicht zu sehen und sachlich (als medizinisch Ausgebildete) darauf zu reagieren. Lediglich ihr Vertrauen auf (hochpreisige) alternativmedizinische Behandlungen und Präparate nimmt gelegentlich pseudoreligiöse Züge an.

Auch Freunde, Familie oder ähnliche Unterstützung kommt nur am Rande in Gestalt einer befreundeten Ärztin und der Tochter in den Blick. Hier beginnt man, nachdem man das Buch zur Seite gelegt hat, zu fragen, was Caspary alles nicht erzählt.

Solange man die letzte Seite noch nicht erreicht hat, liest sich In meinem Herzen steckt ein Speer aber über weite Strecken spannend wie ein Krimi, obwohl man doch schon vom Klappentext her weiß, dass sie ihre Brüste verlieren, aber überleben und Hagen am Ende sterben wird.

Ich habe die Rezension mit meiner „persönlichen Beziehung“ zu Anja Caspary begonnen, habe während der Lektüre ihres Buches allerdings festgestellt, dass es noch mehr Verbindungen zwischen ihr und mir gibt, die es auch damals alle schon gab. Wir sind in gewissem Sinne sehr parallel durchs Leben gelaufen - mit fast durchgehend einem Jahr unterschied.

Sie muss – Das ist aus den Angaben im Buch zu schließen. - 1964 oder 65 geboren sein. Ich 1963! Sie kam 1987 nach Berlin. Ich 1986. Sie hat ihren Mann 1990 kennen gelernt. Ich meine Frau 1989. „Damals“ in der Nalepastraße waren wir also beide schon mit unseren Partnern zusammen. Maria und Anja haben in der Vorbereitung meines Besuches sogar einmal miteinander telefoniert. Dass ich Theologe bin, hat sie in diesem Gespräch erfahren, und sie war recht überrascht, dass sich ein solcher Theologe für Popmusik interessiert.

Und Anja und ich begannen irgendwann mit den Besuchen bei der Krebsvorsorge – aber da trennen sich unsere Wege. Während ihre Besuche – bis zu dem schicksalsschweren Tag am 31. August 2015 – immer sehr sorglos waren, warte ich seit meinem 50. Geburtstag immer mit einer gewissen Spannung auf die Ergebnisse. Mein Vater hatte mit Mitte 50 die Krebsdiagnose, die er dank moderner Therapie 15 Jahre überlebte. Und ein großer Teil meiner männlichen Vorfahren auf der väterlichen Seite ist mit Mitte 50 gestorben, ob an Krebs oder nicht, lässt sich heute nicht mehr sagen. Zu ihren Zeiten war das natürlich nicht zu diagnostizieren.

Rein zufällig ergibt sich noch eine zeitliche Koinzidenz. Denn diese Rezension erscheint genau 25 Jahre nach dem Monat, in dem mein einziger Beitrag, den ich je für Anjas-Ex-Arbeitgeber Radio Fritz produziert habe, gesendet wurde, was sich natürlich in meiner monatlichen 25 Years after-Kolumne niederschlägt.

Norbert von Fransecky


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