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Artikel

Wie wird man Musikredakteur? Die kurze Geschichte eines langen Weges, oder „Music Is Everywhere..."

Ein knappes Dutzend sind wir – die Redakteure und Autoren die zurzeit Monat für Monat eine MAS-Ausgabe erstellen. Wir alle haben je unseren eigenen Weg zu dieser Plattform gefunden. (Und wir sind durchaus offen für neue – auch jüngere – Musikenthusiasten, die Lust haben über Bands, Platten und Konzerte zu schreiben.) Für diese Ausgabe hat Wolfgang Giese, der vor knapp zehn Jahren zum MAS-Team dazu gestoßen ist, sich einmal hingesetzt und aufgeschrieben, wie sein Weg hin zum selbstbestimmten Musikredakteur ausgesehen hat.

Es war im Jahre 2011, da hatte es sich ergeben, dass ich, bedingt durch eine Rezension, erstmalig einen Künstler persönlich näher kennen lernte. Das war der in Illinois geborene und damals in Hollywood, Los Angeles, lebende Singer/Songwriter Allan Frank. Wir waren schriftlich in Kontakt gekommen und Allan entschloss sich, uns anlässlich seines nächsten Deutschland-Aufenthalts zu besuchen. Es wurde eine Woche daraus.
Es muss wohl im März des Jahres gewesen sein, und speziell hierzu fällt mir ein Ausflug ein, den wir nach Hooksiel unternahmen. Wir standen in der Kälte und bei dichter Bewölkung am menschenleeren Strand und lauschten der Stille, die nur von den sanft heranrauschenden Wellen der Flut unterbrochen wurde. Und so kam es letztlich zu dem Satz dieser Überschrift: „Music Is Everywhere", bemerkte Allan, und machte mich auf die unterschiedlichen rhythmischen und melodischen Geräusche des heranrauschenden Wassers aufmerksam. Wir stimmten in diese Melodie ein und schon war ein "Song" geboren. Ja, und seitdem versuche ich stets, in allen Geräuschen, von der Natur oder selbst erzeugt, Musik zu entdecken, und staune dabei oft über die Vielfalt. Vielfalt, die sich über die ganze Welt erstreckt und in jedem Winkel existiert. Dazu fällt mir unter anderem der schwedische Jazz-Schlagzeuger Sven-Åke Johansson ein, der ein Schlagzeugsolo auf Heizkörpern des Veranstaltungssaales spielte..., und wer von uns hat nicht auch schon irgendwo herumgetrommelt oder andere Geräusche auf ungewöhnliche Weise erzeugt?


Doch war das eigentlich nicht mein erster Kontakt zu Musikern und der Vielfalt der überall auf der Welt allgegenwärtigen Musik. In einem damals in der Stadt existierenden Jazz- und Jugend-Club, dem "Blue Note", war ich eine Weile zusammen mit einem Freund im Kassenbereich tätig und hatte seinerzeit bereits die Möglichkeit, mit einigen Musikern näher in Kontakt zu kommen. Meistens waren es kurze Gespräche, Small Talk eben. So waren wir einmal ganz stolz, vorn an der kleinen Bühne sitzend, dem Gitarristen Terje Rypdal seine verrutschten Effektgeräte wieder richtig zu justieren. Oder nach einem Konzert mit dem schwedischen Posaunisten Eje Thelin am 15. Mai 1976 bat uns die vierköpfige Band darum, ihnen dem Weg zu einem Club zu zeigen. So fuhren wir zu sechst in deren Citroen DS-19 los, und so ergab sich eine entsprechende Konversation. Weitere Kontakte eröffneten sich dann im gleichen Jahr, als ich für knapp zwei Jahre unter anderem als Thekenkraft im neu entstandenen Kommunikationszentrum "Pumpwerk" arbeitete. Teile des alten "Blue Note" wurden integriert, ebenso wie eine weiterhin starke Ausrichtung zum Jazz.

Dort kam es zwangsläufig zu vielen Kontakten zu verschiedenen Musikern, und einige Ereignisse, die das mit sich brachte, würden vielleicht ein kleines Büchlein füllen, sei es der Jazzmusiker Archie Shepp, der erst nach Mitternacht aus Amsterdam eintraf, seine Band war jedoch pünktlich und hatte bereits ohne ihn gespielt, oder, bei einem anderen Auftritt von Shepp, gelüstete den Musikern nach dem Konzert nach etwas Essbaren. Es war leider nichts mehr aufzutreiben. Auch die Restaurants hatten bereits geschlossen. So plünderte man kurzerhand die Eistruhe, indem man sich eine Plastiktüte vollstopfte. Ach, und dann war da noch die nicht unbedingt grazile Blues-Sängerin Margie Evans. Ich sortierte gerade knieenderweise einige zu kühlende Getränke hinter dem Tresen nach, als sie nach Ende des ersten Sets hinter den Tresen stürmte, auf dem Weg zur dahinterliegenden Künstlergarderobe, und mir mit beiden Händen auf die Schultern schlug, voller Enthusiasmus, und dabei laut ausrief: "BOOGIE!" Ja, es hat oft viel Spaß gemacht. So waren erst einmal einige Grundsteine gelegt für einen späteren Zugang zu Musikern, viele waren halt ganz andere Menschen, privat, anders, als man sie sich oft vorstellt aufgrund dessen, was auf der Bühne geschieht.
Wolfgang mit Emily Graham-Handley und Nico Rivers


Doch schließlich gehört es auch dazu, sich mit verschiedenen Spielarten der Musik auseinanderzusetzen, um überhaupt ein gewisses Hintergrundwissen und auch Verständnis zu haben. Nach dem wahrscheinlich für die meisten unter uns übliche Einstieg in das, was in jungen Jahren im Radio zu hören war, mussten sich auch weitere Türen öffnen. Ab 1968 war das bei mir eine verstärkte Zuwendung zu weißem Blues, Psychedelic usw., mit Platten von Buddy Miles, Vanilla Fudge, Johnny & Edgar Winter, Cream, Hendrix und vielen anderen... Durch eine Tätigkeit in einem hiesigen Schallplattenladen ergab sich etwa 1973 nach und nach eine Hinwendung zum Jazz-Rock, und die "neuen Helden" hießen Chick Corea, John McLaughlin, Lenny White, Larry Coryell, Alphonse Mouzon etc... Parallel dazu erfolgte die Entdeckung des Münchener ECM-Labels mit der dort so speziell ausgerichteten Klangwelt. Ein Schottlandbesuch im Jahre 1975 war schließlich Initialzündung für den Celtic Folk. Und Ende der Siebziger, nach Ende der heißen Jazz-Rock-Phase , begann die stete und intensive Suche nach den Quellen. Ich betrieb Forschung im Bereich Blues und Jazz mit Entdeckung des ursprünglichen Blues, und Jazz vornehmlich der 50er/60er Jahre, und eben durch das "Blue Note" entwickelte sich auch die Leidenschaft für Free Jazz. Später, in den Achtzigern, erweiterte sich das Spektrum durch die "Entdeckung“ klassischer Musik, mit Vorlieben für Bach, Vivaldi, Sibelius, Grieg, Vaughn Williams, Ligeti, Pärt. Gleichzeitig ergaben sich weitere Aspekte durch die Beschäftigung mit Countrymusik oder den Singer/Songwritern und so wurde schließlich in einigen Bereichen kräftig "nachgerüstet", in den Bereichen Country, Bluegrass, Hard Rock, Southern Rock, Pop etc... Hier ist besonders die damalige Firma Taxim Records (Plattenlabel, Versandhandel) in Bremen hervorzuheben, die mich durch das spezielle Programm zum Country Rock, und dadurch zu weiteren Stilen des Genres Country, führte. Mit diesem Hintergrund waren natürlich Direktkontakte mit Musikern eine fruchtbare Hilfestellung.


Um zunächst wieder auf das Hauptthema zurückzukommen, muss ich mich nun in das Jahr 2004 begeben, als ich in einem heute nicht mehr existierenden Musikforum erstmalig eine Rezension einstellte. Es ging um eine Platte der Texicans. Die Rezension war vom 12. November 2004. Das war der eigentliche Start für alle weiteren Aktivitäten in diesem Bereich. Ein wichtiger Schritt war jedoch der Kontakt zu einem gewissen "Jogi" von, und so hieß es seinerzeit, "Jogi’s Prog Rock Forum”. Dort hatte ich mich damals auch registriert und die eine oder andere Rezension eingestellt. Eines Tages sprach Jogi mich an, ob ich nicht für das Online-Magazin “RockTimes“ auch Rezensionen erstellen möchte. Ich war mir nicht ganz sicher, ob ich dazu in der Lage wäre und traute mich nicht so recht. Doch meine Ehefrau ermutigte mich entschieden und nachdrücklich dazu. Dafür danke ich ihr ausdrücklich! Nun, dort bin ich noch heute ein wenig tätig, schwerpunktmäßig hat mich der Weg jedoch, seit nun gut neun Jahren, zu Musik An Sich geführt.

Und, um wieder am zweiten obigen Absatz anzuknüpfen, führten viele dieser Rezensionen zu weiteren persönlichen Kontakten zu vielen Musikern. Dieses wiederum zog nach sich, dass viele von ihnen bei uns wohnten und Teil der Familie waren, sowie dass sich nach hartnäckigem Nachhaken in der Wilhelmshavener Kneipenszene, zumindest bis zum Jahr 2014 einige Türen für Veranstaltungen öffneten. Als das Interesse, aus bis heute für mich nicht nachvollziehbaren Gründen, in der Szene erlosch, - Viele wirklich fadenscheinige Ausreden stießen auf mein Unverständnis. - öffnete sich vor den Toren Wilhelmshavens eine weitere Tür. Eine einst alteingesessene Kneipe musste schließen, und wurde neu eröffnet, einschließlich eines Biergartens. Es handelt sich um die Gastwirtschaft "Zur Scharfen Ecke" in Sande, und der dort für die Organisation Verantwortliche erklärte sich sofort und spontan dazu bereit, dort für den Oktober 2014 das erste Konzert stattfinden zu lassen. Das war Tom Shed aus Florida. Zwei Monate später was es dann der Bluegrass-Musiker Tom Corbett, der die Konzertreihe fortsetzte, andauernd bis Ende 2019, denn die aktuelle Corona-Krise führte zunächst einmal zu einer Pause.

Wolfgang mit Ted Russell Kamp


Aber, "Music Is Everywhere", und das öffnete auch Türen, Türen zum Verständnis, das führte dazu, das man neue Eindrücke gewinnen und auch neue Menschen kennen lernen konnte. Und war es 2011 Allan Frank, so folgten weiteren Künstler, die sich nach und nach hier am Orte einfanden, denen wir oft Unterkunft und Speis und Trank anboten. So folgten Ted Russell Kamp ("Feels like home") und Tom Corbett aus Los Angeles, Tom Shed aus Florida, C. Daniel Boling aus Albuquerque, New Mexico, Kaurna Cronin aus Australien, Nico Rivers aus Boston, Massachusetts, Scott Krokoff aus New York, Troy Petty aus Chicago und Rob McHale aus North Carolina. Einen alten Bekannten aus den Siebzigern, (Hermann Lammers Meyer>) lernte ich ebenfalls näher kennen, seitdem er einst mit seinen E.L.Hillbillies seine typische Art von Country vorstellte und noch heute ein Verfechter dieser Spielart ist.

Daraus haben sich bis heute Freundschaften ergeben, Freundschaften aus Musik heraus, Musik, die Wege ebnete für ein näheres Kennenlernen und das Verständnis für solche Musik, die nicht zum Alltäglichen und zum Mainstream zählt.
Doch auch wenn man sie nicht persönlich treffen konnte, kam es zu weiteren regelmäßigen Kontakten zu Künstlern aus Schweden (Klas Qvist), Buford Pope, Mikael Persson, Norwegen (Epidot) und den USA, wie Fur Dixon & Steve Werner, Michael Tomlinson, und ganz besonders herzlich zum Blueser Jody Williams.
Ein ganz besonders großartiges Ereignis stellte für mich/uns das Wiedersehen mit dem in New York lebenden russischen Trompeter Valery Ponomarev dar. Selbst hatte ich Valery erstmals als Trompeter in der Band von Art Blakey's Jazz Messengers im November 1979 kurz kennengelernt. Aber erst Anfang des neuen Jahrhunderts kamen wir näher ins Gespräch, als er hier am Ort ein Konzert mit eigener Band gab. Seitdem sind wir ständig in telefonischem und E-mail-Kontakt und durch eindringliche Bemühungen kam es dann auch zu einem Wiedersehen bei dem für uns denkwürdigen Konzert in Jever. Und, Valery ist ein sehr herzenswarmer freundlicher und positiv ausgerichteter Mensch, der viel Freude bereitet, wenn man ihn trifft.

Doch auch "schwarze Schafe" will ich, kurz am Rande, nicht unbeachtet lassen. Zum Singer/Songwriter Bob Cheevers aus Memphis hatte ich auch einst Kontakt aufbauen können, und weil er unter anderem zu einem Konzert in London weilte, hatte ich unseren dort lebenden Sohn gebeten, ein Interview mit ihm zu führen. Das Ganze stellte sich als relativ chaotisch dar, und Bob nebst weiblicher Begleitung ließ sich dann anschließend auch noch zum Essen einladen, für ihn offensichtlich eine Selbstverständlichkeit...


Viele dieser Kontakte wurden über Peter Holmstedt aus Schweden geknüpft. Auch er hat viele Türen weit geöffnet. In diesem Zusammenhang fällt mir dann noch eine Anekdote ein. Seinerzeit stand ich mit Fur Dixon erst kurz im E-Mail-Kontakt, unter anderem sandten wir uns gegenseitig Fotos zu. Sie war sehr angetan von einem meiner Fotos, das war eine Seifenblase und sie schlug Peter Holmstedt vor, dieses Foto doch für sein CD-Projekt I Like It Better Here - Music From Home zu verwenden. Dieser bat mich um Zustimmung, keine Frage, seitdem prangt die von meiner Frau erzeugte Seifenblase auf diesem und dem Nachfolge-Sampler I Like It Better Here – More Music From Home, danke, Fur, danke, Peter!


Ja, und jeder dieser Menschen strahlt individuelle Vielfalt aus, die Musiker eben durch ihre jeweilige Musik. Ja, vielfältig ist Musik, schaut man nur einmal rückbetrachtend zurück in der Geschichte, wird man diese Reichhaltigkeit in all' ihren Facetten entdecken. Und doch, schaue ich mich um, sei es bei Freunden, Bekannten oder bei Veranstaltungen, bemerke ich mehr als oft genug, wie Menschen sich musikalisch eingrenzen und einengen können. Klar, Jede/r mag ihre/seine Lieblingsmusik haben, einen persönlichen Geschmack. Doch wie oft kann es sich lohnen, mehr als nur einen kleinen Augenblick über den Tellerrand zu werfen! Denn gerade dadurch wird man entdecken, dass nicht alles das, was tagtäglich an oft mittelklassiger Radioberieselung geboten wird, das Maß aller Dinge ist. Doch leider fehlt in der Regel der Antrieb bei vielen Menschen, diese Vielfalt zu entdecken, zu leben und zu erleben. Vielleicht können wir bei Musik An Sich ein wenig dazu beitragen. Und so gesehen, war dieser lange und manchmal holprige Weg, sich als Musikredakteur einzubringen, ein sehr befriedigender und hoffentlich für viele Künstler ein auch ergiebiger, gerade für Jene, die im Schatten des Mainstreams stehen und oft bessere Musik vorlegen als gehypte, über alle Massen geförderte und teilweise belanglos anmutende Kollegen/innen der Branche.

"Music Is Everywhere", natürlich wird dieses auch bei Musik An Sich immer deutlich zum Ausdruck gebracht, durch die weitgefächerte Vielfalt der vorgestellten Platten und Musik.
Nun, um den Kreis zu schließen: Um das Wesentliche besser zu genießen, wäre es von Vorteil, nicht nur die Oberfläche vieler Dinge des Lebens anzukratzen, und dann schnell weiter zu springen, sondern sich bewusst dem, was sich nicht unbedingt im Mainstream bewegt, zu widmen, und das nicht nur in der Musik, sondern auch im großen Meer des Alltäglichen, und sei es am Strand der Melodie der Wellen!

Wolfgang Giese


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