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Info
Zeit: 25.01.2020
Ort: Gera, 1880
Fotograf: Jan Hüsing
Internet:
http://www.reisagainstthespuelmachine.de
„Vitamine zum bösen Spiel“ hieß das erste Programm des Musikkabarettistenduos Reis Against The Spülmachine, und die Beschäftigung mit Ernährungsfragen hat Philipp Kasberg und Onkel Hanke offensichtlich tatsächlich etwas gebracht, denn das zweite Programm hört auf den Titel „Die fitteste Band der Welt“, und passenderweise fordern die beiden das Publikum auch noch auf, sich mit ihnen am Morgen nach der Show zu treffen und in der jeweiligen Stadt eine Runde joggen zu gehen. In welchem Maße das befolgt wird, darüber hat der Rezensent keine Kenntnis, und um 8 Uhr am Morgen nach dem Auftritt des Duos in Gera befindet er sich 50 Kilometer von der Stadt entfernt und zudem in Morpheus’ Armen, so dass die ausgerufene morgendliche Trainingseinheit also ohne ihn stattfindet.
Knappe 12 Stunden früher sind die beiden Protagonisten stilecht in den ausverkauften Saal des 1880 – hinter dieser Bezeichnung verbirgt sich eine alte Brauerei, welchselbige in ebenjenem Jahr errichtet wurde und seit einigen Jahren als Kulturzentrum genutzt wird – eingezogen, und zwar zu Konservenklängen von Vangelis’ „Conquest Of Paradise“, freilich nicht in der Originalversion, sondern mit gegurgeltem Hauptthema. Die Livemusik hebt mit dem Titeltrack des neuen Programms an, einem HipHop-lastigen Stück, bei dem der Rezensent nicht verifizieren kann, ob es sich um eine Coverversion oder eine Eigenkomposition handelt. Der restliche Gig entbehrt jedenfalls der letztgenannten Kategorie – das Grundkonzept von Reis Against The Spülmachine besteht darin, mit zwei Stimmen, zwei Akustikgitarren, gelegentlichen perkussiven Elementen und hier und da einem Zusatzinstrument, etwa einer Nasenflöte, kreuz und quer durch den musikalischen Gemüsegarten zu wildern und alles, was nicht bei drei verschwunden ist, für ihre Besetzung zu arrangieren und humoristisch umzudichten. Dabei fällt auf, dass sich das Ernährungsthema aus dem ersten Programm auch im zweiten recht häufig wiederfindet, teilweise per Direktübernahme einzelner Songs (aus Leonard Cohens „Hallelujah“ wird dann eben „Maracuja“), teilweise aber auch als Weiterentwicklung, etwa in einem großen Tee-Medley mit Nummern etwa von Queen oder von Achim Reichel. Und ja: „Aloha Heya He“ unter leichter Verschiebung des Metrums in „Ayurveda-Tee“ umzudichten mutet eigentlich ganz einfach an – aber darauf kommen muß man eben erstmal. Und das neue Programm sprüht nur so vor Einfällen, so dass man hier und da gar auf den Gedanken kommt, manche nur als kurze Anspielungen verbratenen Einfälle seien in dieser Form ein wenig unter Wert geschlagen. Andererseits stellt es natürlich ein Luxusproblem dar, wenn man sich das leisten kann und trotzdem ein hochgradig unterhaltsames Programm hinbekommt. Und das schaffen die beiden Nordlichter zweifellos, zudem mit einem interessanten Spagat: Der Bandname rekurriert offensichtlich sowohl auf Rise Against als auch auf Rage Against The Machine, und das sind bekanntlich zwei Bands mit explizit politischer Aussage. Reis Against The Spülmachine hingegen spannen das Spektrum von simpler Sauflyrik bis hin zu, ja, auch zumindest Anflügen politischen respektive gesellschaftlichen Engagements, wenn sie etwa die Arbeitsbedingungen bei Discountern oder die Aktivitätskette von der Bestellung bei Amazon bis hin zur Lieferung des Bestellten (samt Rücksendung von 90% der bestellten Ware) aufarbeiten und einem das Lachen hier und da ein ganz klein wenig im Halse steckenbleibt, was auch durchaus beabsichtigt ist – schließlich hat Onkel Hanke als hauptberuflicher Pädagoge einen Bildungsauftrag, wie er gerne betont. Aber auch ohne diesen geht’s natürlich bunt zur Sache: Abba-Songs werden auf Jackie Chan umgedichtet, Simon & Garfunkel müssen gleich mehrfach herhalten, und aus Rammsteins „Du hast“ wird „Du Haft(pflicht)“, Onkel Hanke die Möglichkeit für ein grrrrimmig rrrrrollendes rrrrrr bietend, wie es auch im Orrrrrrrtsnamen Gerrrrrrrra vorrrrrrrrrkommt – wie auch immer er das am Vorabend in Leipzig gelöst hat ... Und da sich im Rahmen der bunten Interaktion der beiden Protagonisten auf der Bühne spontan der Slogan „Euphorie bei Durchfall“ ergeben hat und sie den Wunsch äußern, das solle auch in der Presse zu lesen sein, erfüllt der Rezensent diesen Wunsch natürlich, ergänzt um den Hinweis, dass sich das vom Metrum her auf die Melodie von „Himbeereis zum Frühstück“ umsetzen läßt ...
Zwei Sets spielen die beiden Norddeutschen, im ersten hier und da durch wild knisternde Mikrofone ausgebremst, was in der Pause aber offensichtlich repariert werden kann, während die Tatsache, dass Onkel Hankes Mikrofon geringfügig lauter eingestellt ist als das von Philipp Kasberg, offenbar Absicht ist, da ersterer auch den größeren Anteil von Leadvocals hat. Ansonsten ist der Sound schön klar und die Stimmung im ausverkauften (voll bestuhlten) Saal überwiegend prächtig – obwohl das Duo zum ersten Mal in Gera gastiert, finden sich im Publikum einige Die-Hard-Anhänger mit entsprechenden Shirts. So fällt es nach der den Hauptset abschließenden Bandhymne „Basmati-Reis“ (original „Fight For Your Right (To Party)“ der Beastie Boys) nicht schwer, Zugaben einzufordern, wobei die erste für ein interessantes Novum sorgt, indem die beiden sie a cappella vor den hintersten Reihen vortragen. Noch ein Novum gibt’s in der letzten Zugabe, denn da erklingt nochmal ein Original, zumindest textlich: „Schrei nach Liebe“ aus dem Schaffen Der Ärzte macht auch dem letzten Zweifler klar, dass Reis Against The Spülmachine wie ihre beiden Bandnamenspaten von Rechtsideologien nichts halten, sorgt aber dennoch im Saal für einen seltsamen Mix aus Begeisterung und Ernüchterung – einige Anwesende scheinen nicht so ganz von der finalen Wende ins politische Kabarett dieser Sorte überzeugt zu sein, was in einer Stadt mit beträchtlicher AfD-Anhängerschaft auch nicht verwundert, wenngleich man die auf einer solchen Veranstaltung nun eher nicht erwarten würde. Entgegen Onkel Hankes Ansage, man habe hier am Text nichts verändert, gibt es übrigens doch zwei kleine Abweichungen: Statt „Zwischen Störkraft und den Onkelz steht ’ne Kuschelrock-LP“ entscheidet sich das Duo für „Zwischen Störkraft und den andern steht ’ne Kuschelrock-LP“, also die von Den Ärzten zwischenzeitlich mal selber gesungene Alternativversion, und das in den Refrains hier und da auftauchende Wortspiel „Du hast nie gelernt, dich artizukulieren“ lassen die beiden auch weg. Das macht freilich nichts: Gute und hier und da zum Nachdenken anregende Unterhaltung bieten Reis Against The Spülmachine allemal, und beim Blick auf die Uhr stellt man überrascht fest, dass die Zeit förmlich verflogen ist und es das Duo netto auf fast zwei Stunden Spielzeit gebracht hat, obwohl einem das, vielleicht bedingt durch die erwähnte gelegentliche Kleinräumigkeit mancher Ideen, deutlich kürzer vorgekommen ist – also ein kurzweiliger Abend im allerbesten Sinne des Wortes.
Roland Ludwig
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