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Info
Zeit: 07.12.2019
Ort: Altenburg, Paul-Gustavus-Haus
Fotograf: Carsten Schenker
Internet:
http://www.malstrom-music.com
http://www.jazzklub-altenburg.de
Wie einen die Erinnerung doch täuschen kann: Malstrom spielten schon mal beim Jazzklub Altenburg, nämlich am 29.8.2015 im Rahmen eines Kunst-Happenings im Wasserwerk Windischleuba, und der Rezensent war dort auch anwesend und glaubte sich nun 2019 zu erinnern, dass die Soundverhältnisse dort etwas schwammig gewesen waren. Nach dem 2019er Gig nun die 2015er Rezension auf www.crossover-netzwerk.de nochmal nachgelesen habend, stellt er allerdings fest, dass er sich damals eines „sauberen Klangbildes“ erfreuen durfte. Hmmm. Dann muß das Klangbild des 2019er Gigs im Paul-Gustavus-Haus zu Altenburg allerdings doch noch irgendwie mit einer Steigerungsstufe bezeichnet werden, aber das geht anhand der 2015er Wortwahl ja problemlos, indem man einfach das Wort „sehr“ davorsetzt ...
Aber der Reihe nach: Der 2019er Malstrom-Gig bildet den Jahresabschluß beim Jazzklub Altenburg, der kurz zuvor aus den Händen von Kulturstaatsministerin Monika Grütters den Applaus-Spielstättenpreis für sein „kulturell herausragendes Livemusikprogramm im Jahr 2018“ entgegennehmen konnte. Von Malstroms Qualitäten konnte man sich wie erwähnt schon 2015 ein Bild machen, und so war eine „Wiedereinladung“ nur folgerichtig, wobei das Publikum geteilt ist: Viele wissen, was sie erwartet, und gehen dadurch aber auch mit einer erhöhten Erwartungshaltung ins Konzert, einige 2015 nicht Dabeigewesene hingegen lassen sich überraschen. Zunächst fällt eine Umbesetzung auf – Saxophonist Salim ist nicht mehr mit von der Partie, statt dessen musiziert ein Instrumentenkollege namens Florian an der Seite von Gitarrist Axel und Drummer Jo, und er tut das offenbar nicht erst seit gestern:
Das Trio präsentiert sich zumindest für den Außenstehenden als prima eingespielt, die diversen Improvisationen kommen auf den Punkt und bedürfen nur selten mal eines intensiveren Blickkontaktes zwischen den drei Musikern, und in den auskomponierten Stücken meistert die Formation auch die abartigsten Rhythmusfiguren, ohne mehr als einmal mit der Wimper zu zucken. Malstrom liefern uns Jazzrock der hochkomplexen Sorte, und gefühlt hat sich der Metalfaktor gegenüber 2015 ein wenig verringert: Axel scheint auf seiner achtsaitigen Baritongitarre die spielerische wie stilistische Vielfalt nochmals erhöht zu haben, und wir bekommen zwar immer noch gelegentlich kerniges, wenngleich natürlich auch hochkomplexes Metalriffing vorgesetzt, aber eben auch noch mannigfache andere Klänge, die man einem solchen Instrument mit Hilfe eines Effektarsenals entlocken kann, von unterwasserartigen Geräuschen bis hin zu Linien, wie man sie üblicherweise von einem Bassisten in einem Jazzrocktrio erwarten würde. Aber der Hörer hat auch in den (überwiegenden) Passagen, in denen keine Baßlinien auftreten, nicht das Gefühl, hier würde irgendwas fehlen, sofern er nicht von vornherein auf „konventionellen“ Jazz gehofft hatte, denn solchen gibt es an diesem Abend nun wirklich nicht zu hören, obwohl der neue Saxer die immense Technikvielfalt seines Vorgängers nicht 1:1 kopiert, sondern sein Instrument ganz läßt und nur mal in „Ach komm schon (aber so, wie es deutsche Synchronsprecher in amerikanischen Filmen sagen)“ spezielle sprachähnliche Laute imitiert, was in diesem Falle natürlich einen storyimmanenten Background hat (es geht um die sprachliche Monotonie in deutsch synchronisierten US-Filmen – im 2015er Set stand übrigens ein Artverwandter namens „Ach komm schon, Claudia“, damals launig als „Sommerhit“ angekündigt).
Ansonsten bekommen wir die komplette Bandbreite des „klassischen“ Saxophonspiels von der einschmeichelnden Melodie bis zum puren Geräusch, und wenn sich Saxer und Gitarrist zum Unisonogefrickel finden, dann klappt so manche Kinnlade im Publikum herunter, sofern sie sich nicht sowieso schon in diesem Zustand befindet und man staunend dasitzt und zu begreifen versucht, wie diese drei Ausnahmemusiker es irgendwie schaffen, einen gangbaren Pfad durch den dicht wuchernden Notendschungel zu schlagen. Dass Drummer (und Hauptsongwriter) Jo sein Kit auch durchaus nicht nur mit zwei Sticks bearbeitet, braucht nicht näher ausgeführt zu werden – ungewöhnlich ist nicht nur seine Reihe von Mini-Becken, sondern auch die Fingerpercussion mit Glöckchen, die Spieltechnik, die beiden großen Becken von oben auf der vom Spieler aus gesehen jenseitigen Seite anzuschlagen undundund. Da niemand singen muß, fällt es auch nicht schwer, bei den Songtiteln ungezügelte Kreativität an den Tag zu legen, und der Rezensent hat immer noch so seine Probleme, die Ärzte-Reminiszenzen in „Ich hatte mal ein Kissen, auf dem stand ‚Es gibt nur einen Gott – Belafarinrod‘“ aufzuspüren. Aber er ist zugegebenermaßen kein Experte auf diesem Feld und hatte auch nie so ein Kissen.
Auffällig ist, dass Malstrom die ultrakomplexesten Stücke diesmal in den ersten Set gepackt haben – im zweiten Set gönnen sie sich doch tatsächlich auch mal ein paar Passagen in klassischem Vierviertelbeat, eingebettet natürlich immer noch in ein hochgradig dicht gewebtes Umfeld, und „Eine grüne Wiese mit bunten Blumen drauf“ wird zwischendurch mittels drückender doomiger oder midtempolastiger Metalpassagen umgeackert, als hätte man einen K-700 vor den Pflug gespannt. Der Sound ist hier einen Tick lauter als im ersten Set, aber das Klanggewand bleibt sehr sauber, und man ist in der Lage, alle drei Musiker angemessen wahrzunehmen. Als Setcloser spielen die Nordwestdeutschen noch das Christina-Aguilera-Cover „Can’t Hold Us Down“, das sie 2015 in den Zugabenteil gepackt hatten. Ohne Ansage hätte man sich, so man das Original strukturell nicht in- und auswendig kennt, natürlich schwergetan mit der Identifizierung – wir erinnern uns: Niemand singt –, aber es ist eben keine x-beliebige Aufarbeitung und Verwüstung, sondern eine freie Adaption bestimmter Merkmale des Originals, und dieser Aufgabe entledigen sich Malstrom in einem breiten Spektrum von Geradlinigkeit (für ihre Verhältnisse natürlich) über freakige Fragmentierung bis hin zu Blastbeatpassagen. Das Publikum läßt das Trio danach natürlich nicht so einfach ziehen und bekommt als Zugabe zunächst „was Kurzes“, wie Jo (der die Ansagen per Mikrofon übernimmt, während Florian gelegentlich etwas Unverstärktes hinzubrüllt) ankündigt – und im vorliegenden Fall ist das keine Flunkerei: Dauern die Stücke inclusive der an- respektive eingefügten Improvisationen sonst alle so um die zehn Minuten oder länger, kommt „Agententhema“ (in dem sich tatsächlich ein solches versteckt) in nur wenig mehr als einer Minute zum Ziel, wüstes Gepolter auch hier inclusive.
Natürlich kann das nicht das letzte Wort gewesen sein, zumal das letzte Konzert eines Jazzklubjahres immer als „Weihnachtskonzert“ deklariert wird und ein geschmückter Tannenbaum auf der Bühne steht, ergo als Running Gag auch „Weihnachtslieder“ gefordert werden, wie das beispielsweise auch schon bei Cowboys From Hell vor Jahresfrist an gleicher Stelle der Fall war. So taufen Malstrom „Ein Monchichi geht niemals zum Friseur Part II“ kurzerhand in „Glühweineck Part II“ um, liefern ein weiteres Mal traumhafte Arpeggien und schaffen es, eine typische dreimalige Repetition eines Tones nicht zum „Jingle Bells“-Thema überleiten zu lassen. So ergeben sich netto rund zwei Stunden Spielzeit hochkarätigster, allerdings auch fordernder und anstrengender Musik, übrigens nicht nur für das Publikum, sondern auch für die Band fordernd: Zwar glaubt man, sie schüttelten das alles nur so aus dem Ärmel (und mit welcher selbstverständlich wirkenden Leichtigkeit gerade der Drummer auch schrägste Figuren spielt, das frappiert schon), aber der Kopf des Gitarristen wechselt gelegentlich seine Farbe zu einem Tiefrot im Stile eines gekochten Krebses, das ahnen läßt, was man da spieltechnisch für eine Energie aufbringen muß, so dass der Respekt für diese Leistung noch ein Stück größer ausfällt. Keine Musik, die man 24/7 hören kann (zumindest der Rezensent und andere Normalsterbliche nicht), aber über die an diesem Abend gebotene Dosis mehr als beeindruckend.
Setlist Malstrom:
Intro
Ich hatte mal ein Kissen, auf dem stand „Es gibt nur einen Gott – Belafarinrod“
Der Schwadronierer
Malstrom
Ach komm schon (aber so, wie es deutsche Synchronsprecher in amerikanischen Filmen sagen)
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Medley: Der Wiedergänger/Go Headless/Hallo Katze
Eine grüne Wiese mit bunten Blumen drauf
Can’t Hold Us Down
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Agententhema
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Glühweineck Part II
Roland Ludwig
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