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Info
Zeit: 22.11.2019
Ort: Leipzig, Moritzbastei
Fotograf: Niels van Veen
Internet:
http://www.moritzbastei.de
http://www.foriamking.com
http://www.facebook.com/FSTSOFFICIAL
http://www.facebook.com/shot.in.a.continental
So kann Netzwerkarbeit im musikalischen Underground funktionieren: Die Niederländer For I Am King und die Schotten From Sorrow To Serenity gehen eine strategische Allianz ein, indem sie jeweils wechselseitig Touren auf die Beine stellen – die Schotten auf der Insel, die Niederländer auf dem Kontinent, und jeder spielt in „seinem“ Areal jeweils als Headliner, läßt dem jeweils anderen aber fast genauso viele Freiheiten. Das hat 2018 schon mal geklappt, und nun geschieht selbiges ein weiteres Mal: Der Gig in der Leipziger Moritzbastei bildet den Auftakt für eine reichliche Woche in Mittel- und Osteuropa, während der Gegenbesuch auf der Insel um den Jahreswechsel herum ansteht.
In Leipzig ist noch eine dritte Band mit von der Partie, und auch deren Bandname besteht kurioserweise aus vier Worten. Auch stilistisch passen Shot In A Continental durchaus gut zum Rest des Packages – wir bekommen sieben Songs klassischen Metalcores geboten, der in puncto Eigenständigkeit schwierig zu beurteilen ist: Die Veranstaltungstonne der Moritzbastei stellt einen äußerst schwierig zu beschallenden Raum dar, und so hören wir in den 30 Minuten viel Geräusch in teils barbarischer Lautstärke, aber wenig Details, obwohl der Drummer hinter einem eher minimalistischen Kit sitzt und daher gar nicht so viel zum Grundgeräusch beiträgt. Auf der Bühne herrscht viel Bewegung, und der Energietransport klappt problemlos, aber die Songstrukturen genauer zu analysieren fällt schwer, und die Melodien und Harmonien kann man überwiegend nur erahnen. Sie kommen offenbar ausschließlich aus den Gitarren – der Sänger artikuliert sich scheinbar durchgängig im Kreischmodus, und der Bassist setzt an einem noch weiter als das Frontmikro in den Hintergrund gemischten Zweitmikro noch appellierende Shouts hinzu. Durchlässiger wird die Geräuschwand, wenn der linke Gitarrist auf Halbakustik runterschaltet, was er in einigen Intros und sonstigen Zwischenspielen tut, und hier und da horcht man auch bei der einen oder anderen interessanten Rhythmusfigur auf. Neben Material von ihrer 2016er EP Darklight, übrigens als Doppelsilberling im Digipack erschienen (Scheibe 2 ist eine DVD – hier wurde also offenbar geklotzt und nicht gekleckert), spielt das Quintett auch neue Songs, die gerade aufgenommen werden, etwa „The Death Of My Heart“ oder so ähnlich: Es fällt schwer, die Ansagen zu verstehen, zum einen weil das Frontmikro klingt, als halte einer eine Decke drüber, zum anderen weil der Sänger diverse Ansagen macht, während einer der Gitarristen schon den nächsten Song anspielt, was schon unter normalen Soundverhältnissen keine gute Voraussetzung für die Verständlichkeit der Ansagen ist. Immerhin schaffen es Shot In A Continental tatsächlich, das noch eher spärlich anwesende Publikum schrittweise auf ihre Seite zu ziehen, und im epischen Setcloser, der zwischenzeitlich einige fast hüpfkompatible Rhythmen enthält, ist die Stimmung doch ziemlich gut, so dass sogar die Mitklatschaufforderung seitens des Drummers befolgt wird.
Bei From Sorrow To Serenity übernimmt der mitreisende Stammtechniker das Schneidern des Klanggewandes, und das gelingt auch tatsächlich etwas besser als bei Shot In A Continental: Es gibt etwas weniger Geräusch, man kann die Strukturen besser wahrnehmen, nur mit den Melodien hapert es immer noch. Vom Leadsänger kommen solche freilich auch hier nicht, aber dafür scheinen die Backings des rechten Gitarristen clean, hoch und melodieorientiert zu sein, wenn man der diffusen Wahrnehmung trauen kann. Auch die Schotten bestücken ihr Drumkit sparsam und sparen zudem auch mit Highspeedparts, was sicherlich zur besseren Durchhörbarkeit beiträgt, wenn da die Schlagzahl eben oft nicht so hoch ist. Relativ klassischen Metalcore bekommen wir auch hier zu hören, der Metalanteil scheint aber höher zu sein als bei Shot In A Continental, und bisweilen kratzt das Quintett auch am Doom und beweist, dass man Hey-Hey-Fäuste-Reck-Aufforderungen durchaus auch im Doomtempo realisieren kann. Der Titeltrack des neuen Albums Reclaim geriert sich gar als Halbballade, allerdings garniert mit einigen der raren Highspeedparts, und die Entwicklung der Band scheint schrittweise zu mehr Metal geführt zu haben, wenn man eine corigere Nummer wie das ältere „Elusive“ als Maßstab nimmt. Das Publikum braucht ein paar Songs, um mit den fünf Spargeltarzans – alle Mitglieder sehen aus, als ob ihre Mütter sie nur sehr sparsam mit Nahrung versorgt hätten – warm zu werden, und so erntet der Sänger auf seine ersten Ansagen und Animationen kaum Reaktionen, wobei man sich an seinen leichten schottischen Akzent allerdings auch erst gewöhnen muß. Nach vielleicht vier, fünf Songs platzt der Knoten aber dann doch, die Stimmung im Saal wird immer besser, und der Energietransport hat sowieso von Beginn an problemlos geklappt. Interessanterweise kommt hier einiges an Samples vom Band, und zwar keineswegs nur live nicht reproduzierbare Passagen, sondern auch ganze Intros im typischen Bandstil, die man sich problemlos auch live gespielt vorstellen könnte – eine im Metalcore selten gehörte Praxis, die hier aber niemanden zu stören scheint. Die Schotten ernten letztlich viel Applaus, der am Ende der 45 Minuten aber auch sofort abebbt, noch ehe alle Mitglieder in den Katakomben verschwunden sind, und eine Zugabe wünscht sich auch niemand.
For I Am King waren 2017 schon mal in der Moritzbastei, aber der Rezensent hat sie damals nicht erlebt und auch noch nicht bei anderweitigen Gelegenheiten – der Gig dieses Abends stellt also seine erste Livebegegnung mit den Niederländern dar. Die bilden klar die metallastigste der drei Bands dieses Abends – Coreelemente gibt es zwar auch, aber in übersichtlicher Dosierung, und so bekommen wir fast reinrassigen melodischen Death Metal zu hören. Das Drumkit ist diesmal allerdings recht voluminös bestückt und schmeckt im Gesamtmix klar vor, was sich erst im Verlaufe des Gigs etwas ändert, ohne freilich richtig ausgewogen zu werden, zumal zwei, drei Songs lang auch der Baß etwas zu dröhnig agiert. Zumindest sind For I Am King die Band des Abends mit dem geringsten Anteil an Grundgeräusch im Sound und somit mit dem höchsten hörbaren Melodiefaktor – das ist auch gut so, denn mit den beiden Gitarristen sind hier absolute Könner ihres Faches am Werk, die das traditionsmetallische Handwerk dankbar aufgesogen haben und die man trotz aller Bemühungen des Soundmenschen gerne noch viel deutlicher durchgehört hätte. Gleiches gilt freilich auch noch für eine weitere Komponente, die zu weit in den Hintergrund gemischt ist, allerdings zumindest optisch hervorsticht: For I Am King haben eine Sängerin in ihren Reihen, ein bildhübsches zartes dunkelhaariges Persönchen, dem man rein vom Optischen her keinesfalls zutraut, dass da eine krasse Death-Metal-Stimme wohnt, ergänzt durch gelegentliches Gekreisch in einer Tonlage, die an die legendäre Xanthippe erinnert und so jenseitig klingt, wie Dani Filth es nie hinbekommen wird. Letztgenannter Tonfall verwundert nicht, wenn man bemerkt, dass die Vokalistin auch in ihrer normalen Sprechstimme gelegentlich einen scharfen hohen metallischen Ton hat, ohne dass dieser allerdings bedrohlich oder nervend klingt, wie überhaupt dieser Person sofort die Herzen aller männlichen Singles im Publikum zufliegen. Sympathiepunkte sammelt die Sängerin, übrigens eine gebürtige Iranerin, mit ihrer natürlichen ehrlichen Art, wenn sie etwa dem Publikum erklärt, sie lerne gerade Deutsch, könne es aber noch nicht so gut – da erklärt sich dann auch, warum sie die Anwesenden siezt. Diese fressen ihr buchstäblich aus der Hand: Circle Pit? Wall of Death? Aber klar doch! Zudem verläßt sie immer mal die Bühne und streift durchs locker stehende Publikum bis hinter zum Soundmann – so sieht gelungene Kommunikation aus. Mit „Devotion“ steht auch ein erklärter Lovesong im Set, der tatsächlich ein wenig zurückhaltender beginnt und sich in klassischen Metal zu wandeln scheint, dann aber doch ins typische schnelle Fahrwasser gerät, wie überhaupt For I Am King in der Durchschnittsgeschwindigkeit viel höhere Werte erreichen als From Sorrow To Serenity. Spielfreude pur sorgt hier trotz wie beschrieben immer noch suboptimaler Klangverhältnisse für prima Stimmung, und so wird nach einer knappen Stunde selbstredend eine Zugabe eingefordert, wobei sich das Publikum auf die Formulierung „One more song!“ einigt, was die Sängerin launig kommentiert: „Does this mean ‚Zugabe‘? Ich will doch Deutsch lernen!“ Der Bandoldie „This Is A Warning“ bietet dann nochmal alle Tugenden, die man an dem hochkarätigen niederländischen Quintett schätzen kann, und zumindest der Rezensent wünscht sich, diese Formation mal mit richtig klarem Soundgewand zu erleben.
Setlist For I Am King:
Prey
Home
Havoc
Breathe The Fire
The Crone
Invidia
In Memory
In Flames
Devotion
Tantalus
Interlude
Hades
The Reaper
Forever Blind
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This Is A Warning
Roland Ludwig
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