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Info
Zeit: 02.11.2019
Ort: Jena, Kulturbahnhof
Fotograf: Pierre Wetzel
Internet:
http://www.kuba-jena.de
http://www.datchamandala.net
http://www.psilocibina.bandcamp.com
Die Franzosen Dätcha Mandala hatten eigentlich schon im Frühjahr 2019 hierzulande unterwegs sein wollen, aber da wurde letztlich nichts draus, und im Herbst nehmen sie nun einen neuen Anlauf. Als Support agieren diesmal nicht die Polen Red Scalp, die die Frühjahrstour dann als Headliner durchgezogen hatten (siehe Rezension auf diesen Seiten), sondern Psilocibina aus Brasilien, die zum ersten Mal Europa bereisen, hier in verschiedenen Billings antreten und an diesem Abend in Jena den vorletzten ihrer 35 Gigs bestreiten. Im Intro spielt der Gitarrist sanfte Akkorde, während der Basser helikopterartige Geräusche erzeugt und der Drummer erst einige Minuten später dazustößt. Das läßt eine eher psychedelisch angehauchte Band mit viel Entwicklungszeit vermuten – letztgenannte Theoriekomponente bestätigt sich auch, aber so psychedelisch fällt der Hauptset dann doch nicht aus, wenngleich das Trio seinen typischen Frühsiebziger-Rock durchaus gerne mal psychedelische Luft atmen läßt, während ansonsten eher Cream oder Hendrix und in manchen Passagen auch Santana um die Ecke schielen. Temposeitig agiert die Band sehr variabel, der Drummer, der zwischendurch an seinem Kit herumschraubt, darf durchaus auch ins Speedtempo vordringen, und wenn man sich einmal ins Material reingehört hat, macht das Nachvollziehen richtig Freude, zumal die Spielfreude unüberhörbar ist und der klare Sound alle Details wahrnehmbar macht. Jeder der drei Musiker bekommt Solopassagen, der Gitarrist zieht sich aber hier und da durchaus auch auf simple, aber knackige Riffs zurück, und die Spannung kann problemlos gehalten werden, obwohl anfangs gleich etliche Songs am Stück erklingen, während in der zweiten Sethälfte Pausen zwischen den einzelnen Nummern eingelegt werden. Gesang gibt es, von ein paar kurzen Vokalisen im Drumsolo (!) abgesehen, keinen, der Gitarrist hält auch die Ansagen eher kurz, und eingezählt wird stilecht in Portugiesisch. Das Drumkit wird übrigens grün angestrahlt, die Außenseiten glänzen golden, und von oben kommt zusätzlich orangefarbiges Licht – Zufall oder eine bewußte Hommage an einige der Landesfarben Brasiliens? Man mag eher letzteres glauben, denn nachdem das Trio seinen Hauptset beendet hat, vom Publikum zu einer Zugabe überredet wurde und auch diese absolviert hat, erklingt als Umbaupausenmusik Chaos A.D.-Material ihrer heftig polternden Landsleute Sepultura, also Musik, die man im Kulturbahnhof sonst üblicherweise nicht hört ...
Dätcha Mandala spielen an diesem quasi sommerlich temperierten Abend zum dritten Mal im Kulturbahnhof – der Rezensent hat aber nur einen der beiden Vorgängergigs gesehen, nämlich den im Februar 2016 (siehe Rezension auf www.crossover-netzwerk.de). Damals waren Led Zeppelin als ein großes Vorbild der drei Franzosen zu diagnostizieren gewesen, und selbstredend hat sich der Stil nicht so grundlegend verändert, dass dieser Vergleich nun völlig ins Leere führen würde. Schon damals aber bildeten Page, Plant & Co. nur einen der Eckpfeiler des Schaffens des Trios, und gefühlt haben sie in den seither vergangenen dreieinhalb Jahren die Grenzen noch einen Deut nach außen verlegt, ohne freilich den Boden eines klassischen Frühsiebziger-Powertrios zu verlassen. So mutet der Psychedelikfaktor einen Deut erhöht an, wenngleich er klar unter dem von Psilocibina bleibt. Mundharmonika-Einlagen dagegen gab es auch 2016 schon und blitzsaubere bis zu dreistimmige Satzgesänge auch. Unglücklicherweise muß man sich ziemlich anstrengen, um letztgenannte wahrnehmen zu können: Kulturbahnhof-Stammtechniker Thomas hat an diesem Abend mit seiner Band Crayfish selber einen Gig zu spielen, und sein Vertreter, der Psilocibina noch ein sehr klares und lautstärketechnisch angenehmes Soundgewand geschneidert hatte, tappt bei Dätcha Mandala in die Falle des zu hohen Gesamtpegels, was für ein zu intensives „Grundgeräusch“ sorgt und zugleich dazu führt, dass bestimmte Komponenten zu weit im akustischen Hintergrund landen, und das betrifft zuallererst den Leadgesang des Bassisten, aber auch die Mikros des Gitarristen und des Drummers, so dass sich die perfekte Harmonie, die der Infotext treffend mit Crosby Stills Nash & Young vergleicht und die man anno 2016 besonders in der Blumenkindballade „Carry On“, aber auch in diversen anderen Songs zu schätzen wußte, anno 2019 nicht einstellen will. Außerdem ist der schlecht wahrnehmbare Leadgesang vielleicht auch dafür verantwortlich, dass man einen noch stärker erhöhten Psychedelikfaktor nur eingeschränkt wahrnimmt, weil die anno 2016 schon recht stark ausgeprägte Vokalgestaltung anhand unterschiedlicher Abstände vor dem Mikrofon anno 2019 weniger ins Ohr vordringt. Das ist schade, nimmt es der Musik der Bordeauxer doch ein wenig an Reiz – aber es bleibt immer noch genügend Beglückungspotential übrig, und da das Trio oft auf knackige, sozusagen heiße oder zumindest hochtemperierte Rhythmen setzt und es an der von der Bühne herabfließenden Energie nicht mangelt, freut sich das Publikum, dass es fleißig das Tanzbein schwingen darf. Außerdem kommt der Humor nicht zu kurz – der Bassist hat sich einen großen Zettel mit deutschen Ansagen angefertigt, die er dann zwischen den Songs mit charmantem Akzent verliest: „Ich würde gerne Deutsch mit Euch sprechen, aber ich bin Franzose.“ Und so weiter – das Publikum kringelt sich vor Lachen, lacht aber nicht über den, sondern mit dem Sänger, und so ist die Stimmung während des ganzen Gigs wunderbar gelöst. Was es anno 2019 nicht gibt, ist die abschließende Besetzungserweiterung um zwei Roadies zum Quintett wie anno 2016 – vielleicht sind die beiden schlicht und einfach nicht mit auf Tour. Als Coverversion suchen sich die drei Franzosen diesmal übrigens „Kashmir“ aus, und obwohl sie die Massivität des Originals nicht ganz erreichen, machen sie doch eine sehr gute Figur und heben den Stimmungspegel im anständig ge-, aber nicht überfüllten Rund nochmal um etliche Prozentpunkte an. Das Publikum fordert selbstredend Zugaben ein und bekommt diesen Wunsch auch erfüllt, und so geht ein überwiegend starker Gig – wenngleich beim Rezensenten diesmal natürlich der Überraschungsfaktor von 2016 weg war und er quasi schon mit der Erwartungshaltung einer abermaligen hochkarätigen Leistung angerückt ist – gegen Mitternacht zu Ende. Draußen sind übrigens immer noch knappe 15 Grad plus, und das in Mitteleuropa in der Nacht vom 2. zum 3. November ...
Setlist Dätcha Mandala:
Stick It Out
Uncommon Travel
Mojoy
Mother God
Who You Are
Misery
Anahata
Eht Bup
Human Free
Moha
Kashmir
Have You Seen The Light
Pavot
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NN
Roland Ludwig
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