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Info
Zeit: 10.03.2019
Ort: Leipzig, Gewandhaus, Großer Saal
Fotograf: Andreas H. Bitesnich
Internet:
http://www.mdr-konzerte.de
https://dennisrusselldavies.com
Anton Bruckners 8. Sinfonie c-Moll WAB 108 diente im aktuellen Jahrtausend gleich dreimal als Abschiedswerk von Chefdirigenten sächsischer Orchester. Anno 2005 dirigierte Herbert Blomstedt in seinen letzten Konzerten als Gewandhauskapellmeister ebenso die von Robert Haas erstellte Mischfassung aus Elementen der Brucknerschen Erst- und Zweitfassung wie anno 2010 Georg Christoph Sandmann in seinem vorletzten Konzert als Chef des Philharmonischen Orchesters Plauen-Zwickau – Niksa Bareza hingegen setzte in seinem letzten Konzert als Chefdirigent der Robert-Schumann-Philharmonie Chemnitz anno 2007 die Zweitfassung Bruckners aus dem Jahr 1890 an. Dass auch die Aufführung an diesem Abend, an dem Sturm Eberhard Mitteldeutschland durcheinanderwirbelt, zum Dirigentenabschied gerät, steht indes nicht zu hoffen und trifft in einem Aspekt definitiv nicht zu: Dennis Russell Davies (Foto) ist nicht Chefdirigent des MDR-Sinfonieorchesters, sondern „nur“ Gastdirigent, also kann er Bruckners Achte nicht als Chefdirigentenabschied in Leipzig angesetzt haben (als Chef steht er momentan der Philharmonie in Brünn vor), und es wäre schade, wenn es sein letztes Gastspiel in Leipzig bliebe. Davies hat 15 Jahre lang das Bruckner-Orchester Linz geleitet, und da das Werk des großen Österreichers logischerweise Kernrepertoire dieses Klangkörpers darstellt, sollte man davon ausgehen, dass der langjährige Chef sozusagen ein intimer Kenner dieses Komplexes sein dürfte. Das stimmt auch tatsächlich: Mit besagtem Orchester hat Davies zahllose verschiedene Versionen der Bruckner-Sinfonien aufgeführt, häufig gespielte wie rarere. Die genannte Theorie bewahrheitet sich zudem auch in der Programmwahl für Leipzig: Bereits am 11.4.2010, beim Vorgängergastspiel des Dirigenten beim MDR-Sinfonieorchester, hatte er Bruckners Vierte in der eher raren Erstfassung, also noch ohne das populäre neue Jagd-Scherzo, aufs Programm gesetzt (siehe Rezension auf www.crossover-netzwerk.de), und nun, fast neun Jahre später, gibt es auch von der Achten die Erstfassung zu hören, der man immer noch recht selten begegnet. Von Hermann Levi, der die Siebente bereits sehr früh aufgeführt und ihr zum Durchbruch verholfen hatte, als unspielbar deklariert, machte sich der empfindlich getroffene Komponist an eine Umarbeitung, und irgendwie hallt Levis Urteil scheinbar auch noch heute, da sich Bruckners Gesamtwerk längst allgemein durchgesetzt hat, nach. Mit etwa 80 Minuten ist die Achte auch in der Erstfassung die längste unter Bruckners Sinfonien (ob die Neunte in ihrer finalen Form sie übertroffen hätte, werden wir wohl nie erfahren).
Also hinein ins Geschehen! „Allegro moderato“, wie der erste Satz überschrieben ist, sieht zunächst leichte Wackler in den Bläsern, die aber schnell Sicherheit gewinnen und zur Hineinführung ins leicht entrückt wirkende Hin und Her der Einleitung ihr Scherflein beitragen können, wobei sich das Ohr des Hörers angesichts der rechts hinten sitzenden Hörner erstmal an den dadurch etwas anders bei ihm ankommenden Blechsound gewöhnen muß. Davies regiert das Geschehen mit einer enorm ruhigen Hand und sehr fließenden Bewegungen, auch Dynamikentfaltungen kitzelt er ohne wilde Sprünge auf dem Podest aus den Musikern des MDR-Sinfonieorchesters heraus. Bisweilen sieht man minutenlang keinerlei Fußbewegungen, selbst im zweiten Tutti agiert der Dirigent noch in einer Weise, die man als unaufgeregt kennzeichnen könnte und die doch keinen negativen Einfluß auf die zu evozierenden Klangwirkungen des zugrundeliegenden Riesenkampfes ausübt. Die Hinführung zum solotrompetenden Geschmetter etwa gelingt ähnlich sicher wie dessen planmäßiges Versanden im Nichts. Selbst das Satzfinale schüttelt Davies praktisch aus dem Ärmel und bekommt doch, was er möchte: ziemlich markante Strukturen und einige Energie, die planmäßig aber weit vom Dynamikgipfel entfernt bleibt und den äußerlich markantesten Unterschied zwischen den beiden Fassungen deutlich macht – Energie hier, deren Verlöschen dort.
Das Scherzo trägt interessanterweise ebenfalls die Tempobezeichnung „Allegro moderato“, ist aber völlig anders geartet als der Kopfsatz – und das wird auch am Dirigenten deutlich: Davies agiert jetzt viel beweglicher, die flott huschenden Streicher entwickeln viel Zug zum Tor, und wie die Beteiligten zwischen Bläser„flächen“ und Streicherirrlichtern changieren, das ist schon große Kunst. Ins Trio legen die Musiker einiges an Lieblichkeit, belassen diese aber bei einer überschaubaren Dosis, zumal einige größere düstere Flächen dazwischengeschaltet sind und der ganze Teil eher wie eine Aneinanderreihung von Gedanken wirkt, bei der nicht zwingend ein Flow vorgesehen ist. Solchen gibt es erst wieder in der Reprise, in der Davies immer dynamischer arbeitet, die Extreme bereits ein gutes Stück nach außen verschiebt und ein schon recht knackiges Satzfinale hinlegt.
Die Tempobezeichnung „Feierlich langsam, doch nicht schleppend“ für das Adagio nimmt der Dirigent wörtlich: Nachdem die dunkel glühende Streicherfläche vor dem Harfeneinsatz die Gänsehautsteigerung zu Beginn des Adagios der Neunten schon einmal erprobt, hier allerdings mit Rückführung versehen, entwickelt Davies eine große trübe, aber nicht niederschmetternde Klangfläche. Der Blechchoral besitzt gleichfalls einige Größe, und bei der abermaligen Steigerung der Flächenschichtung wird der Dirigent immer bewegungsaktiver. Der Aufgabe des Lavierens durch die großen Flächen entledigt er sich meisterhaft, und für die bedrohliche Husterquote gerade in den ruhigen bzw. entrückteren Passagen kann er ja nichts. Wie er quasi unterschwellig das Ganze wieder in Fluß bekommt, verrät abgeklärte Meisterschaft, in der dynamischen Entwicklung der Coda hin zum letzten Ausbruch erzeugt er enorm viel Spannung, und dass er im Satzfinale abermals gegen die Huster unterliegt, ist tragisch.
Das „Feierlich, nicht schnell“ überschriebene Finale besitzt eine bisweilen stark zerklüftete und mit Generalpausen gespickte Struktur, wie man sie bei Bruckner eher aus früheren Werken kannte – die Kampfesstruktur übertrifft die des Kopfsatzes in der Heftigkeit noch, und tief sind die Narben, die der Kampf schlägt. Davies läßt die Einleitung denn auch betont akzentuiert spielen, auch der mit mehr Fluß ausgestattete B-Teil wird pausengebremst, was freilich die Evozierung von Spannung nicht behindert, etwa in den Fagottsoli. Auch der Paukenschlageffekt funktioniert, der wandernde und enorm lange erhalten bleibende Paukenrhythmus bleibt als strukturierendes Element wichtig, und Davies setzt planmäßig die Dynamikpunkte in den einzelnen Ausbrüchen immer höher, was effektseitig auch aufgrund der dazwischenliegenden tiefen Täler prima funktioniert: Neuaufbauten beginnen im Regelfall sehr weit unten. Die Steigerungsmöglichkeit des letzten Gipfels ist im Vergleich zu seinem Vorgänger nur noch gering, aber sie ist da, und Dirigent und Orchester schaffen es zudem, diesen letzten Gipfel mit einem enormen Spannungspotential aufzuladen. Das halten einige im zu vielleicht drei Vierteln gefüllten Gewandhaus nicht aus, springen gleich nach dem Schlußton auf und skandieren Bravi, obwohl Davies die Arme noch lange oben hält, so dass der einsetzende Applaus wieder abebbt, aber dann gleich wieder losbricht, als der Dirigent die Arme endlich sinken läßt. Beim Blick auf die Uhr stellt man fest, dass Davies länger als die angegebenen 80 Minuten gebraucht, man aber durchaus keine Langeweile empfunden hat – im Gegenteil: Links neben dem Rezensenten fällt die Bemerkung „ganz feine alte Schule“, und die kann man bedenkenlos unterschreiben.
Roland Ludwig
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