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Zeit: 03.04.2019
Ort: Heimathafen, Berlin
Fotograf: Norbert von Fransecky
Konzertbeginn sollte um 21 Uhr sein. Fünf Minuten vorher bitten Mitarbeiter des Neuköllner Heimathafens die sich noch im Freibereich befindlichen Konzertbesucher in den Saal. Die Türen werden geschlossen. Offenbar eine Rücksichtnahme auf die benachbarten Anwohner in dem dicht besuchten Kiez. Norbert war’s recht. Das Konzert mit dem relativ späten Beginn mitten in der Woche in dem weit von seiner Heimat im nördlichen Spandau entfernten Neukölln hatte die Entscheidung für oder gegen das Konzert zur echten Gewissensfrage werden lassen – zumal es Neal Morse selten unter zwei Stunden Spielzeit gut sein lässt. So erschien ein Konzertende gegen 23 Uhr (d.h. Bedtime around 0.30) im Bereich des Möglichen.
Da stand ich nun um 9 Uhr mit schussbereiter Kamera direkt vor der Bühne – mitten im Publikum – einen Fotograben gab es leider nicht und es passierte - … - Nichts! Oder doch: Am linken Rand der abgedunkelten Bühne, hinter der ein Tour-Logo leuchtete, leuchtete es ebenfalls. Zwei Techniker leuchteten mit Taschenlampen in einen Roll-Case, in dem eine verwirrenden Menge von Kabeln in viele verschiedene Anschlüsse gesteckt waren. 15 Minuten später leuchteten sie immer noch. Nur hatte sich nun die Anzahl der Techniker verdoppelt. Um 21.30 waren es noch mehr geworden – und sie sahen nicht unbedingt so aus, als täten sie etwas, sondern eher als wären sie massiv mit der Frage beschäftigt, was denn nur zu tun sei.
„Wenn jetzt einer von denen an ein Mikro tritt, dann wird das eine beschissene Ansage,“ ahnte jemand vor der Bühne. „Oder wenn Neal selber ans Mikro tritt,“ so ein Anderer. Zehn Minuten später war es so weit. Eine bewusst fröhliche Blondine richtete das Wort an die Menge. „Wir haben hier ein technisches Problem,“ erklärte sie. Wir hatten so etwas geahnt!! „Ihr könnt noch mal nach draußen gehen. Trinkt doch einfach noch ein Bier, bis wir das Problem im Griff haben.“ (Für Nicht-Berliner: Neukölln liegt geographisch Richtung BER.) Die „Freibier“-Rufe aus dem Publikum überhörte sie souverän.
Mike Portnoy und Neal Morse |
Um 22 Uhr tat sich endlich etwas. Der Chef kam auf die Bühne, aber nicht mit der „beschissenen Ansage“ (s.o.), sondern mit einer Doppelhals-Gitarre und begann ein kleines Akustik-Set. Es war offenbar gelungen, zumindest den Gesang und die Gitarre hörbar zu machen. Und dann ging die Post ab! Mit einem eigenen Song und etwas von Neil Young und vor allem toller Kommunikation mit dem Publikum versetzte der Mann die ganze Halle wie ein begnadeter Straßenmusiker in totale Begeisterung.
Dann tauchte auch Mike Portnoy auf, erst nur als Co-Sänger, dann auch mit Schellenkranz. Und es gab - … - ein grinsendes Beatles-Cover „It’s gonna get better – gonna get better all the Time“. Portnoy kommentiert schelmisch. „Ich habe mir den John-Teil gegriffen und Neal gezwungen den Paul zu machen.“ Das Publikum johlt!
Bill Hubauer |
Und es wird tatsächlich besser. Irgendwann kann auch Randy George mit seinem Bass ins Geschehen eingreifen – und auch Bill Hubauer erscheint hinter seinen Keyboards. Und es wird immer später. Gitarrist Eric Gilette ist überhaupt noch nicht aufgetaucht. Mike Portnoys Schlagzeug schweigt. Und um das Keyboard Neal Morses, von dem möglicherweise auch die Effekte abgerufen werden, hat sich noch niemand gekümmert. Dennoch: Die Stimmung im Saal ist prima.
So die Situation um 22.45 – ein paar Minuten vor dem von mir erhofften Konzertende. Da verkündete uns der Bandchef, man werde jetzt versuchen zu starten und dann mit den, was funktioniert, so lange spielen, wie möglich. Zuvor gäbe es aber noch eine Pause von 5 Minuten. Eine Perspektive im Konjunktiv mit vielen Fragezeichen.
Ich will Euch nicht mit Erzählungen von der Rückfahrt langweilen: keine durchgehende U-Bahn, Pendelverkehr, etc. Ich hatte mich jedenfalls nach der Pausenankündigung für den Abbruch entschieden – mit Bedauern und Blick auf Dienstbeginn um 8 Uhr am nächsten Morgen. Denn die Stimmung im Saal war so gut, dass ein überragendes Konzert zu erwarten war, wenn die Technik nach der Pause nun wirklich mitspielen würde. Am Wochenende wäre ich definitiv da geblieben – und auch so gehört das, was ich bis dahin gehört habe, zu einem der packendsten Konzerte, die ich je erlebt habe. Vielleicht weil das, was ich gehört habe, im besten Sinne live war. Vor allem aber: Der Mann ist ein Phänomen – aber er ist ja auch im Namen des Herrn unterwegs!
Ein Freund, der zwar auch nicht bis zum Ende, aber noch eine halbe Stunde länger geblieben ist (wohnt "um die Ecke"), kommentiert: „War gut abgemischt und kam mit klarem Sound rüber. Hat ordentlich Druck gemacht.“ Damit dürfte sich einiges von dem wiederholt haben, was ich vor zwei Jahren im Lido erleben konnte. Warten wir auf die DVD, die es bestimmt auch von dieser Tour, aber sicher nicht von diesem Konzert geben wird. (Obwohl das eine ganz besondere DVD sein würde; Red.)
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