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Zeit: März 2019
Internet:
https://www.mainstreamrecords.de
Junge, wie die Zeit vergeht… Auf 20 Jahre kann das kleine Liebhaberlabel Exile On Mainstream Records mit seinem musikalisch schwer zu fassenden, aber stets interessanten Programm, mittlerweile zurückblicken. Bereits über die Hälfte dieser Zeitspanne werfen wir als Webzine einen Blick darauf und da nehmen wir gerne die Gelegenheit gerne wahr, den „Chef“, Andreas Kohl, mal ein paar Fragen zur Geschichte seiner kleinen Plattenfirma, welche er zusammen mit seiner Frau Beate und der gemeinsamen Tochter Johanna südwestlich von Berlin betreibt, zu stellen. Man feiert in diesem schnelllebigen Geschäftsbereich ja nicht alle Tage solche Jubiläen.
Schauen wir mal zurück ins Jahr 1999. Los ging’s mit der Lust ein paar Vinyl-Singles zu veröffentlichen. Die Musikwelt war kurz davor dank MP3 ihre „Unschuld“ zu verlieren. Schien Dir das nicht selbst ein wagemutiges Unterfangen mehr oder weniger blauäugig ein Label zu gründen?
Als ich mit EOM angefangen habe, diskutierte tatsächlich die ganze Welt über MP3, genauso wie sie es fünfzehn Jahre vorher über Musikkassetten getan hatte und heute wieder tut – über Streaming. Sicher, die Verkaufszahlen sind drastisch eingebrochen und du kannst heute Haus und Hof verlieren mit einem Label. Wenn ich sehe, wie begeistert Fans heute Platten auf unseren Konzerten kaufen, will ich daran dann aber doch nicht so richtig glauben. Davon abgesehen, war die Idee eines Labels für mich nie nur eine betriebswirtschaftliche. Es ging mit gleicher, vielleicht sogar höherer Wertigkeit darum, ein Netzwerk oder, besser, eine Art Familie zu schaffen. Ich hänge einfach gerne mit Musikern rum. Dafür brauchte es nicht wirklich Wagemut.
Die erste Veröffentlichung war eine Single von Payola. Richtig los ging es allerdings erst deren Debütalbum For Those Who Know ein gutes Jahr später. War Dir da schon klar, dass das Ganze was Größeres werden könnte?
Nein. Da noch nicht. Ich war mit den Jungs befreundet und von den Sessions der For Those Who Know, die ja eigentlich bei Loudsprecher Records aus Hannover erschien, waren noch vier Songs übrig. Und da hatten wir die bierselige Idee, eine 7inch-Schallplatte zu machen - ein Format, was damals außerhalb von Techno und Garage Rock und Soul niemanden mehr interessierte. Ich hab mich darum gekümmert und damit das schön professionell aussieht, haben wir so getan, als stünde ein Label dahinter. Später kam dann For Those Who Know bei uns auf Vinyl raus, obwohl es immer noch eine Loudsprecher-Platte ist. Und dann ging‘s irgendwie weiter. Bis heute ist es eigentlich immer derselbe Auslöser für eine Veröffentlichung: irgendjemand muss das rausbringen. Also machen wir das eben. So einfach.
Eine durchgehende musikalische Linie gibt es bei Dir nicht, was etwas ungewöhnlich ist, sind die meisten Labels doch darauf bedacht, eine bestimmt Klientel zu bedienen. Deswegen ist jede neue Veröffentlichung bei Dir eine Überraschung. Ist es gerade Dein Konzept, kein Konzept zu haben?
Oh doch, es gibt ein Konzept und das halte ich für das beste der Welt: Wenn mir etwas gefällt und ich der Meinung bin, dass ich die Musik ordentlich präsentieren und promoten kann, dann kommt das raus. Es schwingt auch immer die Frage bei der Entscheidung mit: Wer sonst sollte das veröffentlichen, wenn nicht wir? Wir tragen keine musikalischen Scheuklappen und sind kein Sound-orientiertes Label, was es manchmal vielleicht etwas schwierig macht, weil man uns eben nicht einordnen kann. Jemand, der Place Of Skulls mag wird vielleicht nicht automatisch auf so etwas wie A Whisper In The Noise aufmerksam werden, aber das nehmen wir in Kauf. Ja, ich will sogar genau das erreichen. Genau das ist dann eben auch das Konzept: eine Art Kuratierfunktion, Öffentlichkeit schaffen für etwas, dass die Leute sonst vielleicht verpassen würden. Als Musikfan hab ich persönlich viel übrig für Labels, die sich einem bestimmten Sound verschreiben und man weiß, dass das nächste Release in die musikalische Kerbe haut, die man erwartet und persönlich mag. Als Labelchef wäre mir das zu wenig. Mein persönlicher Geschmack ist zu breit gefächert, als dass mich das befriedigen könnte.
Wie ist denn das Selbstverständnis von EOM? Ein Label, welches Demos zugeschickt bekommt und dann Schecks verteilt, seid ihr ja nicht.
Wir verfolgen mit EOM einen sehr familiären Gedanken. Alle unsere Bands stehen in Beziehung zueinander, auch wenn sie musikalisch total unterschiedlich sind. Ganz einfach, Bands auf Exile sind entweder Freunde oder sie werden es durch die Zusammenarbeit. Ganz wichtig ist bei der Entscheidung für uns, dass wir selbst die Bands entdecken. Es macht wenig Sinn, uns Demos zu schicken, weil das nicht unserer Idee von diesem Label entspricht. Wir veröffentlichen nicht, weil wir müssen, sondern weil wir wollen. Da unterscheiden wir uns von anderen. Der familiäre Gedanke dieses Labels ist uns einfach extrem wichtig. Alle Bands auf Exile kennen sich untereinander und helfen sich gegenseitig. Was zählt, sind Freundschaft, gegenseitiger Respekt und Support. Da sind wir tief beeinflusst von solchen Labels wie z.B. Dischord, Constellation, SST, Sub Pop und natürlich von Southern.
Aufgrund der Historie und Deinem Broterwerb bei einem der größten Vinylpressen Europas, wird schnell klar, dass die schwarzen Scheiben seit jeher das Medium Deiner Wahl sind. War die CD stets ein mehr oder weniger notwendiges „Stiefkind“ und wie siehst Du die Zukunft von physischen Tonträgern?
Vinyl war und ist für mich der „Real Deal“. Ich würde nicht soweit gehen, die CD als „Stiefkind“ zu bezeichnen, sie ist aber immer ein Convenience-Produkt gewesen, eine Konzession an Komfort und Bequemlichkeit, quasi die Fertigpizza der Datenträger. Keine Frage, CDs machen Sinn, ebenso wie MP3s, Tapes, Streams, etc., wenn man Musik als eine Art Gebrauchsprodukt begreift. Genau da landen Diskussionen ja auch immer wieder: ich kann die Musik überall hin mitnehmen, ich kann meine ganze Sammlung auf einer Festplatte haben, ich kann sie im Auto hören. Das ist nichts Verwerfliches und für mich völlig okay. Genau deshalb haben wir immer auch CDs veröffentlicht, deshalb sind unsere Tracks bei iTunes und wir legen Download-Codes in die Platten. Für mich ganz persönlich findet das aber außerhalb meines Musikverständnisses statt. Ökonomisch machen Schallplatten für mich Sinn, weil sie vertriebstechnisch einfacher zu kalkulieren sind. Psychologisch machen sie Sinn, weil sie eine Auseinandersetzung mit der Musik erfordern, weil sie Musik als Kunst präsentieren, für die man sich Zeit nehmen muss und einen bestimmten Ort aufsuchen muss, an dem man im besten Fall auch das Equipment stehen hat, um sie maximal zu genießen. Das muss nicht High-End sein, aber ein Plattenhörer wird sich sicher immer Gedanken darüber machen, welchen Plattenspieler, Verstärker und welche Boxen er verwendet. Und soziologisch sind Schallplatten eng mit Musikgeschichte, Pop- und Gegenkultur verbunden. Jede musikalische Strömung, jede musikalisch definierte Subkultur – von Rock’n’Roll bis Techno – hat eine Verbindung zur Schallplatte, sie ist der Träger des Soundtracks. Es gibt keine Subkultur, die sich über CDs, MP3s, Streams oder dergleichen definiert.
Wenn Du auf die 90 Veröffentlichungen unter dem EOM-Banner zurückblickst, welche waren für das Label besonders wichtig und erfolgreich, welche liegen Dir persönlich besonders am Herzen?
Eine Rangliste aufzustellen, ist hier nicht möglich. Es ist einfach so: an jeder Platte hängt mein Herz, meine Begeisterung und Leidenschaft. Ich hab, was das angeht, niemals Kompromisse gemacht. Das kann ich rechtschaffen sagen. Und das fühlt sich natürlich auch gut an, das zu sagen – bin ich stolz drauf. Natürlich gibt es Platten, die kommerziell erfolgreicher waren als andere, dann gibt es welche, die ein ganz besonders großartiges Artwork haben oder die sich besonders gut zum Autofahren, zum Rasen mähen oder zum Nachbarn ärgern eignen. Andere sind inhaltlich so dicht oder so direkt politisch, dass es einem Tränen der Begeisterung in die Augen treibt. Wieder andere waren so schwere Geburten, dass allein schon ihre Existenz ein Highlight ist. Ich könnte letztlich für jede einzelne Platte auf Exile On Mainstream eine Kategorie aufmachen, in der genau diese Platte den Sieg davon tragen würde.
Was empfandst Du als Höhepunkte in 20 Jahren EOM, gab es auch richtige Tiefpunkte, welche Dich fast dazu gebracht hätten, die Sachen an den Nagel zu hängen?
Es gab einige Tiefpunkte, bei denen man sich fragt, ob das alles noch Sinn macht, wie wenn mal wieder nur 20 Leute zu einem Konzert kommen, an dem man wochenlang geackert hat oder ein Festival, das einen Monate Arbeit gekostet hat und dann doch nicht kostendeckend arbeitet. Das nagt an einem. Komischerweise habe ich in solchen Momenten aber seltener ans Aufgeben gedacht, sondern eher daran, was man denn nun wieder alles falsch gemacht hat und was man beim nächsten Mal besser machen kann. Hinzu kommt, dass ich immer versuche, kommerzielle Erwägungen nicht die Oberhand gewinnen zu lassen. Natürlich muss man bei so einem Label die Kosten im Auge behalten, da bin ich auch ein absoluter Kalkulations- und Planungsnerd. Ich kann aber auch gleichzeitig sagen, dass ich kein Problem damit habe, mal etwas zu tun, was keinen Gewinn abwirft, oder sogar richtig Geld kostet – nur versuche ich das vorher zu planen. Das ist der Moment, in dem Beruf, Berufung und Hobby verschmelzen. Wie viele Leute da draußen kaufen sich ein tolles Auto, ein Rennrad oder einen Fernseher für einen Haufen Geld, obwohl etwas Preiswerteres den gleichen Nutzen hat? Oder sie gehen einem Hobby nach, das natürlich nicht dazu gedacht ist, Gewinn zu machen, sondern diese Geldscheine, die man in einem Dayjob einsammelt in etwas umzutauschen, was einen persönlichen Nutzen oder Wert hat. Die Antwort ist also: man gibt Geld aus, weil man es möchte und weil man es kann. Man hat dafür gearbeitet. Und genauso veröffentliche ich Platten: ich denke mittlerweile, ich kann ganz gut einschätzen, wie gut oder schlecht eine Platte läuft. Zumindest bin ich wirklich selten überrascht worden, was das angeht. Und manchmal habe ich mir eine Veröffentlichung eben auch „geleistet“, so wie andere vielleicht einen Urlaub, wohlwissend, dass es betriebswirtschaftlich eigentlich keinen Sinn macht. Höhepunkte gibt’s dafür massenhaft – in der Geschichte des Labels sind das die, wo dieser familiäre Gedanke so richtig Gestalt annimmt: die Blisstrain-Touren, die South Of Mainstream-Festivals, gemeinsame Jamsessions auf Rügen.
Und was hat Dich letztlich ständig angetrieben immer weiterzumachen?
Was mich antreibt? Ich mag es, immer neue Sachen auszuprobieren, in verschiedenen Szenen aktiv zu sein und zu organisieren. Ich mag den Nervenkitzel in der Veröffentlichungswoche, wenn man nicht weiß, ob die Platte angenommen wird. Ich mag den Moment, wenn eine Vinyl-Testpressung oder ein CD-Master kommt und ich es dann anhöre und mich voll und ganz darauf konzentriere. Mich fasziniert zu sehen, wenn eine Band auf der Bühne alles gibt und der Funke auf das Publikum überspringt – und ich weiß, dass ich dazu beigetragen habe. Und ich mag es, wenn sich Freundschaften entwickeln, zwischen Menschen, die sich ohne dieses Label niemals kennengelernt hätten.
Mit dem genannten South Of Mainstream und dem Blisstrain hattest Du bis vor einigen Jahren eigene Festivals und Labeltouren veranstaltet, bei dem auch auf Interaktion und Kollaboration der Künstler untereinander Wert gelegt wurde. Auf einem der Blisstrains war ich auch (siehe Livebericht aus Nürnberg). Leider nicht so gut besucht. War das auch das Problem, gibt es die Veranstaltungen deswegen nicht mehr? Der Kosten- und Zeitaufwand ist letztendlich doch größer als der Idealismus?
Der Idealismus ist ungebrochen. Wir hatten auf den Blisstrain-Touren ja auch gut besuchte Shows, wie z.B. in Leipzig, Hamburg und Berlin. Die Touren haben zwar nicht viel Gewinn abgeworfen, aber sie waren auch kein Verlustgeschäft. Damit nicht weiterzumachen, war vielmehr eine strukturelle Entscheidung. Wir haben Southern Germany 2013 geschlossen, mit Ansage, die bereits zehn Jahre alt war. Ich habe immer gesagt, wenn ich 40 bin, höre ich auf, Promotion und Pressearbeit zu machen. Hinzu kam die Tatsache, dass sich das Konzept von Southern Records, nämlich vorwiegend Künstler aus dem amerikanischen Raum in Europa zu repräsentieren, überlebt hatte. Die ganze Idee des Imports von Ware, ihrer gesammelten Lagerung in London und das Verteilen von dort war sinnvoll, solange Kommunikation und Organisation aus den USA nur eingeschränkt möglich war. Mit dem Internet, dass nun Web-basierte Bestellsysteme, E-Mail-Kommunikation und Promotion mehr und mehr über das Internet selbst als über lokale Radios und Presse möglich macht, brauchte es Southern in der ursprünglichen Form nicht mehr. Wie man immer so schön sagt, die Welt rückt zusammen. Deshalb habe ich den Laden 2013 zugemacht und einen neuen Job angefangen, in dem ich sehr glücklich bin. Exile On Mainstream blieb als Label bestehen und wird es wohl auch bleiben, aber eben mehr als Feierabend-Vergnügen. Da sind solche Organisationen wie der Blisstrain oder ein Open-Air-Festival im Sommer nicht mehr machbar. Es ist also weniger der Aufwand als die Möglichkeit, die einfach fehlt.
Damit möchte ich nun zum Ende kommen. Aber eine Frage sei mir noch gestattet: Wie schaut die Zukunft von EOM aus – weitere 20 Jahre, weiter Vinyl, weiter Musik voller Leidenschaft abseits der Hauptwege?
Ach, die Zukunft. Das ist das, was übermorgen schon gestern ist, stimmt's? Wie eben schon erwähnt, erzähle ich ja nun schon seit geraumer Zeit überall rum – mein Spiegelbild kann‘s schon nicht mehr hören – etwas kürzer treten zu wollen und nicht mehr so viel zu machen. Und dann kann ich doch wieder nicht nein sagen. Das sieht man ja auch am laufenden Jahr. Eigentlich wollten wir uns ganz auf die Vorbereitung des Geburtstagsfestivals konzentrieren und uns nicht mit so vielen Neuveröffentlichungen stressen. Und dann dreht man sich rum und schwupps sind vier neue Platten in der Mache bzw. bereits erschienen. Es besteht also durchaus eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass es immer so weiter geht. Vielleicht aber auch nicht. Sowohl aus kreativer Perspektive wie auch mit Blick auf unser Bankkonto macht es keinen Sinn weiter als bis zur nächsten Veröffentlichung zu planen. Zumindest das habe ich in den 20 Jahren gelernt.
Mario Karl
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