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Info
Zeit: 23.11.2018
Ort: Jena, Kulturbahnhof
Internet:
http://www.cosmic-dawn.de
http://www.rotorotor.de
Nanu, haben es die ungarischen Power Metaller Rotor im Spätsommer ihrer Karriere und mehr als eine Dekade nach ihrem letzten Studioalbum nach Deutschland geschafft? Aber die passen ja eigentlich gar nicht so richtig ins Beuteschema des Cosmic-Dawn-Teams – und so verwundert es nicht, dass es sich nicht um jene Combo handelt, sondern um eine Formation aus Berlin (aus Berlin!), welchselbige dem Kulturbahnhofs-Publikum ganz offensichtlich bereits vom letzten Besuch vor drei Jahren noch in positivster Erinnerung geblieben ist, wie der starke Zustrom beweist.
Als Support agieren an diesem Abend MotorFunk Inc., die den unbedarften Hörer mit ihrem Bandnamen gehörig in die Irre führen. Funkige Elemente bleiben in ihrer Musik nämlich weitgehend abwesend, und der Motor stottert leider: Die acht Songs bedienen sich eines verschleppten Einheitsgrooves, der an eine festgefrorene Handbremse erinnert und dem prinzipiell durchaus nicht uninteressanten Seventies-Rock große Teile seiner dynamischen Möglichkeiten nimmt. Für ein, zwei Songs hat das als Stilmittel ja Charme, und nach dem so gestalteten Opener „Unity Desert“ glaubt man in „Spitfire“, dass MotorFunk Inc. das auch kapiert haben, denn der Drummer agiert im langen Instrumentalintro erfreulich flott und leichtfüßig, und der Gitarrist und der Keyboarder solieren munter drauflos. Aber das bleibt ein Strohfeuer – im Hauptteil schleppt sich dieser Song genauso dahin wie seine Brüder. Vielleicht gehört das auch zum Konzept des Albums Escape, aber Hörspaß macht diese Herangehensweise nur bedingt. Viel zu selten lassen die Freiberger aufblitzen, dass sie eigentlich mehr Vielfalt inszenieren können, und in „Rich Man“ geht das leider auch noch in die Hose, wirkt der verschrobene Mittelteil doch leider nur pseudoprogressiv. Song 6, „Unknown Space“, ist eine Halbballade und zeigt, dass MotorFunk Inc. in diesem Sektor durchaus was können – nur fallen die harten Teile der Nummer leider wieder ins Schema F zurück. So will keine richtige Spannung aufkommen, nachdem schon der Übergang aus dem Intro in „Unity Desert“ dramaturgisch nicht funktioniert hatte, und zudem enden die Songs meist irgendwo einfach, ohne dass man eine Motivation erkennen könnte, dass sie das genau jetzt und genau in dieser Form tun müßten. Erst gegen Setende zeigt der Daumen wieder etwas nach oben: In „Summit“ entwickelt der Gitarrist einige gute Soloideen, und der Setcloser „Return Of The Rich Man“ gerät zur zwar nicht gerade vor Ideen sprühenden, aber wirkungsvollen Epikwalze, nach der das Publikum ebenso freundlich applaudiert wie sonst, aber auch die zwei Enthusiasten links neben dem Rezensenten fordern nicht konsequent genug eine Zugabe ein, so dass folgerichtig auch keine gespielt wird. Irgendwie machen MotorFunk Inc. noch viel zu wenig aus ihren zweifellos vorhandenen Möglichkeiten, zu denen nicht zuletzt Nadjas starke Stimme gehört, während die Frontlady in der Publikumskommunikation auch noch einen eher bemühten Eindruck hinterläßt, was irgendwie prima ins Gesamtbild des Sets paßt. Immerhin ist der Sound transparent und nicht überlaut. Schräges Detail am Rande: Der Keyboarder spielt ein stationäres Manual und ein Keytar, wobei er die Hammondsounds fast ausschließlich aus letzterem Exemplar holt, die etwas stärker in Achtziger- und/oder Space-Richtung gehenden aber aus dem stationären.
Setlist MotorFunk Inc.:
Unity Desert
Spitfire
Rich Man
Running
Serenity
Unknown Space
Summit
Return Of The Rich Man
RoToR entwickeln schon im Opener „Friedland“ mehr Variabilität als der Support im ganzen Set, ohne freilich irgendwie zerfasert oder pseudoprogressiv zu wirken – hier sitzt jeder Wechsel, aber die Ideenvielfalt sprüht trotzdem, und wenn das Quartett geradlinige Viererbeats über einen gewissen Zeitraum einsetzt wie in „zappa“, dann ist das als Stilmittel so gemeint und nicht etwa Ausdruck von Einfallslosigkeit. Die Berliner, in der Vergangenheit auch mal als Trio unterwegs gewesen, agieren aktuell als Quartett mit zwei Gitarren, Baß und Drums – Gesang gibt es keinen, es steht nicht mal ein Mikrofon für Ansagen auf der Bühne, da auch solche komplett abwesend bleiben, was freilich nicht als Ausdruck einer gewollten Distanz zwischen Band und Publikum zu verstehen ist. Andernfalls würde der Band vermutlich nicht so eine herzenswarme Reaktion entgegengebracht, wie es an diesem Abend der Fall ist – RoToR sind ganz offensichtlich dem Publikum sehr positiv bekannt, und der Rezensent, der die Band zum ersten Mal erlebt, reiht sich in die Positiv-Beurteiler gern ein: Für die Harmoniestrukturen in „Costa Verde“ fallen einem nur Begriffe wie „überirdisch“ ein, und „Döner“ etwa beweist, dass man auch als reine Instrumentalband so etwas wie Hits schreiben kann, so dass die Nummer gleich beim Anspielen lauthals bejubelt wird. Die Pausen zwischen den Songs überbrücken die Berliner mit Samples von Naturgeräuschen – da summen Insekten, quaken Frösche und singen Vögel, freilich nicht den ganzen Set hindurch: Gegen Ende tauchen einige längere Pausen auf, in denen akustisch nichts passiert und somit auch die Gesamtdramaturgie ein wenig leidet. Bandkenner können anhand der untenstehenden Setlist eruieren, welche Zusammensetzung der Set hat – RoToR sind aktuell bei Album Nummer 6 angekommen und pflegen ihre Longplayer einfach durchzunumerieren, geben den einzelnen Songs aber schon Titel, das Konzept nicht wie manch andere Band, die dann Songs wie „6.3“ oder „8.2“ hat, auf die Spitze treibend. Das würde auch nicht zur bodenständig wirkenden Art der Berliner passen – hier wird auf der Bühne hart und intensiv gearbeitet, und trotzdem ist das Ergebnis mehr als simples „Kunsthandwerk“. Vom Stoner Rock der Frühzeit sind die Männer mittlerweile etwas abgewichen, ohne aber ihre Wurzeln zu verleugnen – das haben sie nach 20 Jahren Bandgeschichte und als eine der deutschen Pionierbands dieses Genres auch gar nicht nötig. Aber die neue Vielfalt überzeugt und macht über weite Strecken des Sets jede Menge Hörspaß. Einen kleinen Durchhänger gibt es lediglich im Vorschlußteil: Hatte der kurze, latent motörheadlastige Speedausbruch „Auf’s Maul?“ noch hoch zu punkten gewußt, so sinkt die Spannungskurve danach etwas ab, und zudem beginnt der Baß bisweilen etwas dröhnig zu werden, was den einzigen kleinen Makel eines ansonsten tadellosen Soundgewands darstellt. Erst der etwas epischere Setcloser „funk“ holt die Kastanien wieder aus dem Feuer, und die urlange Zugabe „Druckverband“ faßt mehr oder weniger noch einmal alles zusammen, wofür RoToR anno 2018 stehen. Glückwunsch zum 20-jährigen – möge das kreative Füllhorn noch lange Zeit sprudeln!
Setlist RoToR (ist die aus Wiesbaden wenige Tage zuvor, müßte aber weitestgehend mit der Jenaer identisch sein):
Friedland
Gnade dir Gott
zappa
Costa Verde
Volllast
Döner
Kiosk
Auf’s Maul?
Rabensol
Ritter
Karacho
funk
--
Druckverband
Roland Ludwig
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