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Zeit: 21.10.2018
Ort: Leipzig, Gewandhaus, Großer Saal
Internet:
http://www.glennhughes.com
Legionen von Künstlern aus der Vergangenheit leben heutzutage nur noch in bzw. von dieser – Glenn Hughes gehört freilich nicht zu dieser Spezies. Seit er vor einem Vierteljahrhundert den Kampf gegen den Substanzenmißbrauch gewonnen hat, ist der Mann in einen kreativen Jungbrunnen gefallen, hat beispielsweise in den 90ern diverse interessante Soloalben vorgelegt und im zurückliegenden Jahrzehnt mit Black Country Communion unter Beweis gestellt, wie spannend man neu komponierten Classic Rock auch heutzutage noch inszenieren kann, und das im Studio wie auf der Bühne. Aber auch ein Mann wie er lebt natürlich nicht im luftleeren Raum und völlig losgelöst von seiner musikalischen Vergangenheit, und so ist er aktuell mit einem speziellen historischen Projekt unterwegs: „Classic Deep Purple live“. Das Konzept ähnelt ein wenig demjenigen von Nick Mason’s Saucerful Of Secrets, wo der frühere Pink-Floyd-Drummer selten gespielte Frühwerke der Band auf die Bühne brachte (siehe diverse Livereviews auf diesen Seiten). Im Gegensatz hierzu betreibt Hughes nicht vordergründig Raritätenexhumierung, sondern widmet sich schlicht und einfach dem Schaffen, das in seiner Zeit bei Deep Purple entstanden ist (also Mark III und IV) und sich bei regulären Purple-Gigs selbstredend die Spielzeit mit dem Material der anderen fünf Marks teilen muß, wobei speziell aufgrund des übermächtigen Mark-II-Schaffens im Regelfall für Mark III nur der zweite oder (bei regulären Mark-VII-Albumtouren) dritte Platz übrigbleibt, während man die Gelegenheiten, bei denen auf Deep-Purple-Gigs in letzter Zeit Mark-IV-Material gespielt wurde, vermutlich an den Fingern einer Hand abzählen kann.
Der Rezensent verliest sich zunächst, als er den Veranstaltungstitel und -ort zu Gesicht bekommt, und vermutet eine orchesterunterstützte Aufführung von Deep-Purple-Material, wofür das Gewandhaus ja einen erstklassig passenden Veranstaltungsort hergäbe. Nach genauerer Lektüre der Ankündigung ist der Irrtum aber schnell aufgeklärt und das Interesse am Konzert ungebrochen, wenn auch mit gewisser Skepsis behaftet: Das Gewandhaus wartet mit exzellenten akustischen Bedingungen auf – solange die Musik unverstärkt bleibt. Sobald man einen Verstärker anschließt und zu rocken beginnt, wird’s schwierig, und man braucht einen außerordentlich guten Soundmann, um Klangbrei zu vermeiden. Um es vorwegzunehmen: Der Soundmann dieses Abends ist nicht außerordentlich gut, aber zumindest gut und schafft es, das allgemeine Grundgeräusch nicht gar zu sehr dominieren zu lassen. Mit der Zeit kann man den Keyboarder auch außerhalb seiner Solopassagen besser hören, auch der Drummer ist gut zu vernehmen, Glenns Baßspiel fügt sich gut ein, sein Frontmikrofon ist gar enorm laut und scharf eingestellt, und nur der Gitarrist bleibt die ganzen fast zwei Stunden akustisch etwas unterrepräsentiert.
Damit ist auch gleich die Besetzung angeführt, jedenfalls fast die komplette (dazu am Schluß noch ein Wort). Mit Gitarrist Sören Andersen und Keyboarder Jesper Bo Hansen, beide offenbar Dänen, arbeitet Glenn schon geraume Zeit zusammen – der Schlagzeughocker gleicht während des „Classic Deep Purple Live“-Projektes allerdings einem Schleudersitz. Ash Sheehan ist schon der vierte Mann während relativ kurzer Zeit, und er soll seinen Set innerhalb gerade mal zwei Tagen einstudiert haben, ohne vorher anderes Deep-Purple-Material außer „Smoke On The Water“ zu kennen. Das ist Theoriewissen – anhand seiner Leistung auf der Bühne wäre man nie darauf gekommen: Er fügt sich problemlos in die Besetzung ein, wirkt integriert, zeigt im Solo, was er technisch draufhat (auch showtechnisch – der Stickwechsel über den Mund ist zirkuskompatibel), spielt aber sonst sehr songdienlich und läßt doch immer wieder durchblicken, was er kann und dass er verstanden hat, worum es im Classic Rock geht. Dass der Keyboarder hauptsächlich mit historischen Sounds arbeitet, versteht sich von selbst, obwohl er auch einige eher Achtziger-kompatible Effekte einstreut, und die Leistung des Gitarristen ist angesichts der geschilderten klanglichen Undeutlichkeit seines Parts schwer zu beurteilen, wobei die teils sehr hohen Backing Vocals allerdings definitiv zu überzeugen wissen. Bleibt Glenn selbst – und der spaltet die Gemüter. Der Mann geht auf die 70 zu und hat immer noch bzw. wieder ein Stimmvolumen, um das ihn 99,99% aller Alters- und Genregenossen beneiden dürften – dazu tritt die Fähigkeit, in diesem Alter auch noch extrem hoch zu singen, wie bereits der Schlußton von „Might Just Take Your Life“ als erste unter etlichen Gelegenheiten eindrucksvoll unter Beweis stellt, und es würde den Hörer nicht wundern, wenn er „Child In Time“ nahe am Original bringen würde. Das Problem ist ein doppeltes: Erstens ist Glenn hörbar stolz auf diese stimmlichen Fähigkeiten, stellt sie daher weit in den Vordergrund und gestaltet viele Vokalpassagen mit einer sehr großen Portion Expressivität. Zweitens ist sein Mikrofon wie erwähnt enorm laut eingestellt – und die Verquickung dieser beiden Umstände führt dazu, dass sein Gesang im Gesamtmix stark vorschmeckt, was weniger wohlmeinende Zeitgenossen durchaus mit Worten wie „fürchterliches Gebrüll“ belegen, wie dem Rezensenten nach dem Konzert zu Ohren kommt. In der Tat wäre an einigen Stellen weniger durchaus mehr gewesen.
Damit wären wir schon mitten in der Analyse der Songs selbst. Dabei fällt zum einen auf, dass das Tempo beispielsweise von „Might Just Take Your Life“ deutlich unter der vom Live... In The Heart Of The City-Mitschnitt bekannten Whitesnake-Version liegt, aber dennoch einen vorwärtsdrängenden Charakter entfaltet, dass man es keineswegs als verschleppt empfindet, woran möglicherweise das flüssige Spiel des Drummers seinen Anteil besitzt. „Gettin‘ Tighter“ widmet Glenn Tommy Bolin, der im Gegensatz zu ihm den Absprung vom Drogenzug nicht rechtzeitig schaffte, und hier brechen sich dann auch die ersten langen instrumentalen Improvisationen Bahn. Den ersten und dankenswerterweise einzigen größeren stimmungstechnischen Problemfall fährt dann „You Keep On Moving“ auf: Es erklingt eine völlig übermotivierte krachende Rockversion mit lauten Schreien, die den Charakter des Originals in eine zumindest dem Rezensenten weniger genehme Richtung umleitet, womit er allerdings an diesem Abend im reichlich halbvollen Rund weitgehend allein dasteht bzw. dasitzt. Kollektive Begeisterung kommt hingegen bei „You Fool No One“ auf, in California Jam-Manier auf eine halbe Stunde ausgedehnt und einerseits mit diversen Soli, andererseits mit Exzerpten aus „Blues“ (das Ritchie Blackmore später auch bei Rainbow verwendete, wie man auf On Stage nachhören kann), „High Ball Shooter“ und der von Ritchie gleichfalls zu Rainbow mitgenommenen Grundidee von „Still I’m Sad“ angereichert. Da sprüht die Spielfreude aus jeder Note, da schmeckt auch Glenns Gesang nicht so vor, weil es vergleichsweise wenig von ihm gibt, und da gönnt sich der Keyboarder im Intro ein vom Publikum mit Schmunzeln aufgenommenes „Hava Nagila“-Zitat. Die Stimmung ist hier also bestens, nach „Mistreated“ bekommen die Beteiligten Standing Ovations (erwähnte ich bereits, dass das Gewandhaus bestuhlt ist?), und zum mit „Georgia On My Mind“ angereicherten Hauptsetcloser „Smoke On The Water“ bleiben alle gleich stehen. Das ist logischerweise ein Mark-II-Song, aber Glenns Begründung lautet, dass er ihn in seinen drei Bandjahren natürlich auch live gespielt habe, und es dürfte ihm im Saal wohl niemand ob der Entscheidung, die Nummer zu spielen (ohne die dritte Strophe übrigens, statt dessen mit Wiederholung der ersten), gram gewesen sein.
Der Zugabenblock wird erwartungsgemäß mit „Burn“ eröffnet, von dem Glenn ja beispielsweise auf der Burning Japan Live-Scheibe eine exzellente Version konserviert hat, dort freilich in der interessanten Besetzung mit zwei Gitarren. Die Version dieses Abends liegt da natürlich etwas näher am Original, und auch hier bemerkt man das Phänomen, dass trotz relativ niedrigen Tempos nicht das Gefühl der Schwerfälligkeit entsteht. Dafür funktionieren die Dialogpassagen von Gitarre und Gesang wegen der oben angesprochenen unausgewogenen Abmischung nur bedingt. Als letzte Zugabe packt das Quartett noch einen weiteren Mark-II-Song aus, nämlich „Highway Star“, und erweitert sich zum Quintett, indem Glenn seinen Baß an seinen Roadie Jimi weitergibt, der solide vor sich hinrockt – und der Soundmensch bringt es tatsächlich fertig, die auch hier vorkommenden Vokal-Gitarre-Dialoge etwas besser auszubalancieren. Ob es nun unbedingt dieser Song sein mußte, darüber darf natürlich diskutiert werden – er macht natürlich abschließend noch einmal prima Laune, aber die Option, beispielsweise mit „Soldier Of Fortune“ die Leute mit einer ganz anderen Stimmung zu entlassen (was auch prima zu Glenns ausladenden Ansagen über die Wichtigkeit von Liebe, Verständnis und Zusammenhalt gepaßt hätte), hätte gleichfalls ihren Reiz gehabt. Glenn, den ganzen Set über mit Sonnenbrille auf der Nase, setzt diese zur Schlußansprache dann ab und überzeugt damit auch diejenigen, die das zuvor als Zeichen der Distanz zu werten geneigt waren. Musikalisch ein weitgehend erstklassiger Abend, der einmal mehr unter Beweis stellt, wie lebendig man diese Art von Musik heute noch spielen kann. Danke an Janine Worotnik vom Concertbüro Zahlmann für die Akkreditierung!
Setlist:
01. Intro (Tape from „California Jam“)
02. Stormbringer
03. Might Just Take Your Life
04. Sail Away
05. Gettin‘ Tighter (incl. Dance To The Rock ‘n‘ Roll)
06. You Keep On Moving
07. You Fool No One (incl. Soli, Blues & High Ball Shooter)
08. Mistreated
09. Smoke On The Water (incl. Georgia On My Mind)
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10. Burn
11. Highway Star
Roland Ludwig
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