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Info
Zeit: 23.09.2018
Ort: Leipzig, Haus Auensee
Internet:
http://www.saxon747.com
http://www.fmofficial.com
Es ist bisweilen schon ein Kreuz mit den Anfangszeiten von Konzerten – jüngstes Beispiel: dieser regnerische Sonntagabend. Die Homepage des Hauses Auensee gibt keine Anstoßzeit bekannt, also sollte von den üblichen 20 Uhr auszugehen sein, welchselbige denn auch sowohl von der Leipziger Volkszeitung als auch vom Kreuzer-Stadtmagazin vermeldet werden. Der Rezensent kommt aus einer anderen als seiner üblichen Richtung angefahren, verbraucht im Stau nicht nur sein ganzes vorsorglich eingeplantes Zeitpolster, sondern noch eine Viertelstunde mehr – und sieht um 20.15 Uhr, als er den Saal betritt, nicht Raven und auch nicht Y&T auf der Bühne, sondern FM. Warum diese spielen und nicht Y&T, erklärt Steve Overland in einer Ansage: Dave Meniketti ist krank, und da FM schon andere Gigs der aktuellen Saxon-Tour mitgespielt haben, sind sie kurzerhand eingesprungen. Wo aber sind Raven? Die haben schon gespielt, erfährt der Rezensent in der auf den FM-Auftritt folgenden Umbaupause von seinem Nebenmann, einem pensionierten Lehrer aus Köthen, mit dem sich schnell ein musikalisches Fachgespräch entwickelt. Laut dessen Aussage haben FM pünktlich 20 Uhr angefangen – ergo haben Raven wohl ungefähr 19 Uhr auf die Bühne gemußt, und alle, die sich wie der Rezensent auf 20 Uhr verlassen haben (und zumindest hier tippt einer, der die Band sehr gerne gesehen hätte!), schauen in die Röhre. Die Sachlage wird nicht wesentlich tröstlicher, als der Köthener erzählt, der Gig der Gallagher-Gang sei nicht gut, da soundtechnisch ziemlich von Übel gewesen – und wir stehen unmittelbar hinter dem Mischpultbereich, müssen also zumindest ähnliche Verhältnisse haben wie der Soundmensch. 2017 hatten Raven in der Chemiefabrik in Dresden als Headliner einen sehr lauten, aber einigermaßen durchhörbaren Sound (siehe Review auf diesen Seiten), diesmal als Support einen miesen ...
Hinein ins real erlebte musikalische Geschehen dieses Abends: Mit FM hat sich der Rezensent bisher kaum beschäftigt – im Tonträgerarsenal stehen zwar etliche von Steve Overland eingesungene Alben, aber aus dem FM-Bandkontext bisher nur die beiden Rockville-Scheiben von 2013, von CrossOver-Kollege Georg Lögler damals sehr gelobt (siehe Reviews auf www.crossover-netzwerk.de). Sechs (von insgesamt neun) Songs bekommt der Rezensent an diesem Abend noch mit, und die bieten allesamt den traditionellen Melodic Rock, wie man ihn von Overland mehr oder weniger automatisch erwartet, egal mit welcher Band oder welchem Projekt er gerade aktiv ist. Der Sänger spielt zudem die zweite Gitarre, so dass eine gewisse Grundhärte erstmal vorhanden ist, unfreiwillig unterstützt freilich abermals durch den Soundmenschen, der den Keyboarder weitgehend ins akustische Abseits stellt und erst in den letzten Songs ab und zu mal wenigstens markantere Tastenthemen hörbar gestaltet. So läßt sich natürlich kein detaillierteres Gesamturteil fällen – aber auch die keyboardlose Variante macht, wenn man das Genre generell mag, definitiv Hörspaß, zumal sich die Instrumentalisten auch als ausgezeichnete Backingsänger präsentieren und die „Chöre“ somit nicht weit von Def-Leppard-Niveau anzusiedeln sind. Auch Overland selbst präsentiert sich trotz fortschreitenden Alters bestens bei Stimme, und der Rezensent überlegt noch den halben Saxon-Gig lang, an wen ihn manches vokale Arrangement erinnert, bis es ihm einfällt: Threshold. Der instrumentale Unterbau hat mit deren Edelprogmetal natürlich weniger zu tun, ist aber in seinem eigenen Genre nicht weniger edel, und das knackige „Wildside“ sticht stilistisch etwas heraus, indem es die härtetechnische Spitze des miterlebten Setteils bildet – kein Metal natürlich, aber durchaus kernig. Das wissen auch die Anwesenden zu schätzen und schrauben allgemein das Applausniveau durchaus ein Stück über die reine Höflichkeit und auch über die Verwirrung wegen des unangekündigten Erscheinens (zumindest der Rezensent hat nirgendwo eine Info über den Y&T-Ausfall entdeckt, selbst nicht auf Menikettis eigenem Twitter-Account). Guter Stoff – gerne wieder (dann aber nicht wieder aus einem solchen Anlaß).
Saxon hatten im Jahr 2017 diverse Konzerte, u.a. das in Wacken, mit einer Spezialsetlist bestritten und intensive archäologische Arbeit in ihrem Backkatalog betrieben, indem sie so manche selten bis nie gespielte Nummer exhumierten und auch Phasen bedachten, aus denen sie sonst wenig bis nichts zu spielen pflegen. Das ist 2018 nun wieder anders: Ein neues Album ist erschienen, Thunderbolt heißt es und will natürlich betourt werden, was mit einem ersten Tourteil im Frühjahr 2018 geschah, damals u.a. mit Diamond Head im Gepäck, und nun im Herbst seine Fortsetzung findet. Im Gegensatz zu vielen anderen Traditionsmetalbands machen Saxon um die neuen Bundesländer dabei keinen Bogen – sie spielen sogar gleich zweimal in Sachsen (Humoristen mögen einwerfen, das gehöre sich aufgrund des Bandnamens auch so): Hatte im Frühjahr Dresden auf dem Plan gestanden, ist nun Leipzig an der Reihe, und ebendort hatte der Rezensent die Truppe im Dezember 2016 auch letztmalig erlebt und war hochgradig angetan von dem, was die gesetzten Herren aktuell immer noch zu leisten imstande sind.
Um es vorwegzunehmen: 2018 fällt das Urteil nur unwesentlich anders aus. Einziger kleiner Problemfall: Biffs Stimme hat in den seither vergangenen Zeiten doch ein klein wenig abgebaut – selbst im Studiomaterial von Thunderbolt klingt er ein bißchen „älter“ als auf Battering Ram, und das spiegelt sich natürlich auch live wieder. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Was der Mann mit 67 noch zu leisten imstande ist, verdient allerhöchsten Respekt, und seine Performance steht turmhoch über Peinlichkeiten wie etwa der völlig in die Hose gegangenen Neueinspielung von Kings Of Metal durch die alternden Manowar. Aber 2016 war er eben noch besser, jedenfalls stimmlich – in einem anderen Aspekt aber zeigt sich eine überraschende Veränderung: Auf der Bühne ist viel mehr Bewegung als vor zwei Jahren. Nibbs Carter verwandelt sich wie gewohnt in einen dauerbangenden Wuschelkopf, aber selbst Paul Quinn durchmißt mehrere Male die komplette Bühne von einem zum anderen Rand, was bei ihm schon fast als Aktionismus durchgeht, und Biff, ja, der Alte hüpft fröhlich über die Bretter, als sei er neuerdings im Nebenjob bei irgendeiner reunierten Hüpfmetalcombo der Neunziger eingestiegen. Offensichtlich muß er also zumindest physisch in einen Jungbrunnen gefallen sein, und es bleibt zu hoffen, dass ihm die Energie auch in der Stimme zugute kommt. Noch einmal: Was er gesanglich abliefert, ist keineswegs schlecht, und vielleicht fehlt diesmal als weiterer Faktor auch nur der Überraschungseffekt beim Rezensenten, als er Saxon 2016 erstmals in diesem Jahrtausend live erlebte und von der positiven Energie förmlich umgepustet wurde.
Das mit der positiven Energie klappt allerdings auch diesmal: Saxon können noch so kriegerische Themen anpacken – sie bleiben musikalisch doch immer ein Sinnbild für die Lebensbejahung im Metal. Das ist auf Thunderbolt nicht anders als früher, selbst wenn sie mal nostalgisch und mit einer Träne im Knopfloch zurückblicken: Der zugehörige Song heißt „They Played Rock And Roll“, behandelt die erste gemeinsame Tour von Motörhead und Saxon anno 1979 (vom damaligen Motörhead-Line-up lebt bekanntlich mittlerweile niemand mehr), klingt folgerichtig wie ein Bastard aus beiden markanten Bandsounds und wird logischerweise auch live gespielt, zusammen mit etlichen anderen Beiträgen des neuen Albums. Ja, und ihm ist zuzutrauen, dass er sich länger als nur für ein, zwei Touren im Set festkrallt, sondern zu einem Standard wird – im Gegensatz zum sonstigen jüngeren Schaffen der Band, das zwar ein gewisses Qualitätsniveau nie unterschreitet, aber spätestens auf der überübernächsten Tour dann doch wieder in den Äonen der Musikgeschichte verschwunden ist. Das zeigt sich auch in der Setlist dieses Abends, die außer dem Material des neuen Albums (das „Olympus Rising“-Intro mitgezählt, kommen sieben seiner Songs zum Zuge, seltsamerweise die ersten sieben in der Albumtracklist – das war 2016 kurioserweise auch schon so, damals mit den ersten drei Tracks von Battering Ram) noch zwei Titeltracks der direkten Vorgänger, Battering Ram und Sacrifice, enthält, dann jedoch einen großen Sprung bis zurück in die Neunziger macht, sich aber auch dort nicht lange aufhält und sich fernerhin aus der ersten Hälfte der Achtziger speist. Dass die Alt-Neu-Kombination allerdings prima funktioniert, zeigt sich neben der Gesamtanmutung auch noch in einem überraschenden Detail: Der ungewöhnlichste Track des neuen Albums, nämlich „Sons Of Odin“, in dem Amon Amarths Johan Hegg als Biffs Gesangspartner gastiert (natürlich nur im Studio – im Konzert kommt die Stimme vom Band), wird mit „Crusader“ in einem Medley zusammengefaßt, und die beiden Songs passen so gut zueinander, als seien sie nur für diesen Zweck geschrieben worden.
Was sonst noch in den reichlich 100 Minuten gespielt wird, kann der Interessent unten in der Setlist nachlesen. Diesmal erklingen alle Titeltracks von 1980 bis 1984 (also auch „Power And The Glory“ und „Denim And Leather“, die 2016 fehlten), es ergibt sich ein gut abgehangenes Gemisch aus Speed und Midtempo mit einigen Ausflügen ins Epische, und das größte Epos leitet den zweiten Zugabenblock ein: „The Eagle Has Landed“, immer ein wenig im Schatten der großen Hits stehend, gerät zum absoluten Höhepunkt des Sets, der übrigens diesmal ohne Wahlmöglichkeiten des Publikums auskommen muß. Biff pflegt sonst immer mal die Anwesenden zu fragen, welchen von zwei offerierten Songs sie hören wollen, aber an diesem Abend tut er das nicht. Das stört freilich niemanden, denn abgesehen von dem Fakt, dass eine Band mit einem Backkatalog wie Saxon sowieso immer irgendwelche Songs, die mancher gerne gehört hätte, weglassen muß (vielleicht gibt’s ja trotzdem irgendwann mal wieder „Northern Lady“), gerät der Set zum dauernden metallischen Freudenfeuer, zumal man zumindest die Instrumente endlich auch klar durchhören kann, jedenfalls über weite Strecken des Sets, während Biffs Stimme in der ersten Sethälfte ziemlich und auch in der zweiten Sethälfte immer noch zu weit in den Hintergrund gemischt ist, so dass man vor allem von seinen Ansagen nur die Hälfte versteht. Egal: Nach einem starken Gig verläßt der Rezensent, obwohl nach einem anstrengenden Tagesprogramm ziemlich geplättet, doch mit einem breiten Grinsen den Saal und hofft auf noch viele Wiederholungen in den Folgejahren.
Setlist Saxon:
Olympus Rising (Intro)
Thunderbolt
Sacrifice
Nosferatu (The Vampire‘s Waltz)
Strong Arm Of The Law
Predator
Motorcycle Man
Battering Ram
Power And The Glory
Solid Ball Of Rock
The Secret Of Flight
Dallas 1 PM
They Played Rock And Roll
And The Bands Played On
747 (Strangers In The Night)
Sons Of Odin/Crusader
Princess Of The Night
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Heavy Metal Thunder
Wheels Of Steel
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The Eagle Has Landed
Denim And Leather
Roland Ludwig
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