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Zeit: 21.04.2018
Ort: Nürnberg - Frankenhalle
Internet:
https://www.bobdylan.com/
Bob Dylan war im vergangenen Jahr eher wegen der Probleme bei der Überreichung des Nobel-Preises in der Presse, als aufgrund seiner Musik. Dies wird der Sache eigentlich nicht gerecht, wenn man bedenkt, dass mit dem 2017 veröffentlichten Triplicate das sage und schreibe 38. Studioalbum des Musikers veröffentlicht wurde. Auch live lässt es der Sänger mit seiner „Never Ending Tour“ keinesfalls ruhig angehen und ist regelmäßig mit seiner Band auf Achse. Ich wollte mir den Musiker schon immer wieder mal anschauen, aber es hat terminmäßig leider bis jetzt nie gepasst – oder die Tickets waren mir zu teuer. Die Karten in Nürnberg sind mit ca. 70 Euro im humanen Bereich, auch wenn unsere Sitzplätze doch weit von der Bühne entfernt sind.
Über Dylans Verhalten kann man auf Foren oder bei diversen Zeitungen einiges lesen. Man darf bei Konzerten nicht fotografieren, er spricht nicht zum Publikum, er ist teilweise sehr mürrisch – von daher bin ich auf alles gefasst, als wir in der Nürnberger Frankenhalle einlaufen.
Das Publikum an dem Abend ist die erste Überraschung. Keinesfalls das von mir befürchtete „Prosecco-Publikum“, sondern teilweise richtige Hippies mit bunten Klamotten, aber auch sehr junge Fans, die ich so nicht erwartet habe. Kurz nachdem wir unsere Sitzplätze endlich gefunden haben – das System in der Arena ist nicht besonders übersichtlich – weist uns eine sympathische Stimme darauf hin, dass fotografieren mit Foto oder Smartphone streng verboten ist und mit dem Rauswurf aus der Halle geahndet wird. Klare Ansage, die Wirkung zeigt. Das kann man finden, wie man will. Mich nervt es eh schon lange, dass heute auf Konzerten mehr fotografiert und gefilmt wird, als letztlich den Künstler live anzuschauen. Leute, der Musiker oder die Band steht JETZT GERADE auf der Bühne!
Das Bühnenbild ist sehr stimmig und erinnert an eine Hotelbar, in der gemütlich zum Abendessen eine gutaufgelegte Bar-Band zum Tanztee einlädt. Die auf alt getrimmten großen Lampen die von der Decke hängen machen noch zusätzlich ein nostalgisches Flair. Punkt 20 Uhr geht das Licht aus und Dylans Begleitband kommt auf die Bühne. Viel Applaus brandet auf, als der Großmeister persönlich die Bühne entert und mit „Things Have Changed“ aus dem 2006er Album Modern Times den Abend beginnt.
Der Sound ist perfekt ausgesteuert und zeigt trotzdem klar, wer der Chef im Ring ist: Bob Dylans Stimme steht stark im Mittelpunkt des Abends, was mich keinesfalls überrascht. Wovon ich regelrecht hinweggefegt werde, ist die Stimme des Altmeisters. Ein ausgesprochen filigraner Sänger war er ja früher schon nicht, aber gerade bei den ersten paar Songs schnoddert, brabbelt und rotzt er den Gesang doch sehr schludrig dahin. Bei „Highway 61 Revisited“ erkenne ich lediglich den Titel, die restlichen Wörter kann man nur erahnen. Die meisten Songs werden von Dylan am Klavier begleitet, bei manchen Stücken steht er jedoch auf und beschränkt sich dann nur aufs Singen. Dabei schnappt er sich einen Retro-Mikrofonständer, den er zu sich herzieht und dann in bester Frank-Sinatra-Manier auf der Bühne steht.
Etliche Leute um uns herum schauen sich ziemlich verwirrt und enttäuscht an, ich muss dagegen sagen: Mit sowas habe ich schon gerechnet. Ich bin eher fasziniert von dem gewaltigen Stimmvolumen, das der mittlerweile 76-Jährige hier an den Tag legt. Der hat noch ordentlich Dampf in der Lunge, alle Achtung! Auffällig ist, dass er alle Stücke im Stehen wesentlich besser singt, als wenn er sich hinter seinem Klavier verbarrikadiert.
Seine Band ist der Hammer! Perfekt aufeinander eingespielt ist hier wohl der richtige Ausdruck. Klar, es wird hier nicht gejammt, improvisiert oder sonst etwas. Aber man hat das Gefühl, dass man die Truppe auch um 5 Uhr nachts mit drei Promille wachrütteln könnte und sie ziehen stur ihr Programm durch. Für den Perfektionisten Dylan dürfte das die Erfüllung seiner musikalischen Träume sein. Soundmäßig ist alles auf die jeweiligen Songs abgestimmt. Die entsprechenden Vintage-Instrumente – vor allem der Rickenbacker-Bass – sorgen für den jeweiligen Sound.
Insgesamt bringt Dylan drei Coverversionen, die er jedoch kurzerhand zu seinen eigenen Stücken macht. Überhaupt muss man sich vor diesem Konzert freimachen von allem, was man gemeinhin von Bob Dylan aus dem Radio oder Fernsehen kennt. Dylan hat sich längst vom Rock oder Folk verabschiedet und macht nur noch das, worauf er Lust hat. Musikalisch bietet das dann ziemlich viel Abwechslung, Voraussetzung ist jedoch, dass man sich darauf einlässt. Ich finde, dass gerade auch die alten Stücke durch die flotte bis modere Präsentation ein ganz neues Flair bekommen. Dies fällt mir vor allem bei den Zugaben auf. „Blowin‘ In The Wind“ habe ich erst nach einiger Eingewöhnungszeit am Text erkannt, an der Melodie mit Sicherheit nicht. Auch „Ballad Of A Thin Man“ wird musikalisch durch den Fleischwolf gedreht und ein einer etwas anderen Version präsentiert.
Dylan bekommt vom begeisterten Publikum stehende Ovationen, die er entgegen seinem Nobel-Preis für Literatur sogar persönlich und sofort entgegen nimmt. Eine Unterhaltung mit Dylan stelle ich mir wiederum sehr einseitig vor. Dass Mr. Dylan jetzt kein Plaudertäschchen ist, war mir klar. Aber 100 Minuten lang kein Wort, kein "guten Abend" oder "Danke" an das geduldige Publikum zu richten, fand ich schon sehr schwach bis ziemlich arrogant. Denn sprechen bzw. singen kann er ja, der gute Bob...
Fazit: Bei Interesse selber hingehen und sich kein / ein Bild machen! Allzu lange wird es diese Gelegenheit sicher nicht mehr geben.
Setlist:
1. Things Have Changed
2. Don't Think Twice, It's All Right
3. Highway 61 Revisited
4. Simple Twist of Fate
5. Duquesne Whistle
6. Melancholy Mood
7. Honest With Me
8. Tryin' to Get to Heaven
9. Come Rain or Come Shine
10. Pay in Blood
11. Tangled Up in Blue
12. Early Roman Kings
13. Desolation Row
14. Love Sick
15. Autumn Leaves (Yves Montand cover)
16. Thunder on the Mountain
17. Soon After Midnight
18. Long and Wasted Years
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19. Blowin' in the Wind
20. Ballad of a Thin Man
Stefan Graßl
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