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Info
Zeit: 29.09.2017
Ort: Leipzig, Hellraiser
Internet:
http://www.napalmrecords.com
Von Grave Digger war man es bisher gewohnt, dass sie als Supportacts Bands mitnahmen, die sich gleichfalls der Pflege des traditionellen Metals im weitesten Sinne verschrieben hatten. Das ist auf dem zweiten Ast der Tour zum aktuellen 2017er Album Healed by Metal anders, denn da steigen um 20 Uhr Ela auf die Bühne des nur halbvollen Hellraiser, und die gleichnamige Chefin und ihre drei männlichen Instrumentalmitstreiter streifen die Gefilde des traditionellen Metals nur ganz am Rande, nämlich in einigen wenigen Songstrukturen und Melodien, die auch dorthin gepaßt hätten, in einigen Details der Gitarrenarbeit und partiell im Gesang. Grundsätzlich spielt die norddeutsche Formation aber Gothic Rock mit gewisser Symphonic-Schlagseite und eben jenen Elementen, die sowohl hier als auch im Traditionsmetal zum Einsatz kommen. So entsteht der Eindruck eines Mixes aus frühen Xandria und Zed Yago mit deutlich größerer Nähe zu erstgenannten, und man muß auch noch dazusagen, dass der Mix recht basisch inszeniert wirkt, was allerdings auch daran liegen kann, dass die vom Band kommenden Synthies akustisch an diesem Abend ziemlich weit im Hintergrund stehen, während der Sound sonst eigentlich recht gut ausbalanciert ist, sieht man von den kaum hörbaren Backingvocals des Gitarristen ab. Das Material hinterläßt aber auch so einen sehr kompakten Eindruck – in ihrer Dreiviertelstunde bringen Ela immerhin 12 Songs unter, und mit Ausnahme weniger leicht progressiv angehauchter Einschübe herrscht hier eine Geradlinigkeit vor, die man in anderem Kontext durchaus als langweilig empfinden könnte. Markant aus dem Grundschema bricht nur der Setcloser „Lizzie Borden’s Reign“ aus, der von einem Spieluhr-Intro und -Outro gerahmt wird und mit seinem treibenden Midtempo zur schnellsten Nummer des Sets gerät. Der Gitarrist schlägt in mehreren, in der Setmitte konzentrierten Songs eine Art galoppierendes Riffing ein, wie man es später auch bei Grave Digger nochmal zu hören bekommt, die Sängerin führt eine in den Normallagen durchaus gute, oben aber an Grenzen stoßende Stimme ins Gefecht, der Drummer spielt solide, und der Bassist paßt von der Attitüde her (wild posend, Sonnenbrille, Wollmütze) überhaupt nicht zum soliden Rest der Band. Das Gros des Materials stammt vom neuen Album Second Reality, und generell ernten die Norddeutschen hauptsächlich Höflichkeitsapplaus, nur selten ein wenig mehr. Keine richtig schlechte Band natürlich, aber unauffällig – und wie erwähnt nicht unbedingt das Beuteschema des gemeinen Grave-Digger-Jüngers.
Grave Diggers „Wohnzimmer“ in Sachsen ist eigentlich die Alte Spinnerei in Glauchau, und dort haben sie während des ersten Astes der Tour zu Healed by Metal auch schon gespielt. Der Rezensent wiederum hatte sie zum allerersten von mittlerweile etlichen Malen in Leipzig gesehen, anno 1994 auf der Tour zum The Reaper-Comebackalbum in einer längst nicht mehr existenten Location namens Kulturhaus Drema, seither allerdings nie wieder in der Messestadt, und so kann er nicht beurteilen, ob es auch bei vorherigen Gastspielen nur einen lediglich reichlich halbvollen Saal gegeben hat. Die Anwesenden freilich machen Stimmung wie immer und singen fleißig mit, auch wenn sie Chris Boltendahls pädagogische Ambitionen, ihnen in der Mitshout-Ansage zu „The Dark Of The Sun“ versetzte Einsätze beizubringen, mit Nichtachtung strafen. Die Atmosphäre ist trotzdem prima, die Band wird immer wieder stürmisch gefeiert und liefert mit einer überwiegend starken Leistung auch einen musikalischen Grund dafür.
Boltendahl hat angekündigt, dass die Setlist gegenüber dem ersten Tourast etwas verändert wurde. Drei Songs von Healed By Metal sind dringeblieben, von denen zwei gleich zum Auftakt erklingen: der zähe, aber sich doch unaufhaltsam vorarbeitende Titeltrack und das schnelle „Lawbreaker“ – das antiklerikale „Hallelujah“ (eine Eigenkomposition und natürlich kein Cohen-Cover) folgt später noch in der Setmitte. An dritter Stelle geht es statt dessen mit „Witchhunter“ weiter, dem Titeltrack des zweiten Grave-Digger-Albums, der 2015 beim bandarchäologischen Projekt exhumiert worden war, und dann folgt die übliche Reise quer durch das Bandschaffen mit Fokus auf der Geschichts-Trilogie der zweiten Neunziger-Hälfte, von der wie erwartet Excalibur und Tunes Of War die Löwenanteile abgreifen. Letzteres steuert u.a. indirekt „The Ballad Of Mary“ bei – indirekt dahingehend, dass nicht die originale Albumfassung gespielt wird, sondern die immer noch hörbare, aber eben doch nicht an die 1996er Urfassung heranreichende 2011er Singlefassung. Selbiger Song bildet freilich einen stimmlichen Prüfstein für Boltendahl – und siehe bzw. höre da, er meistert die Herausforderung in achtbarer Weise, ist allerdings in der Gesamtbetrachtung trotzdem nicht ganz in Hochform, denn er baut gegen Setende ziemlich ab, so dass beispielsweise vom „Excalibur“-Refrain nicht mehr so sehr viel an Originalmelodie übrigbleibt, was freilich zumindest an diesem Abend keinen existentiellen Problemfall darstellt, denn den Gesang übernimmt an dieser Stelle sowieso das Auditorium, das dafür an anderen Stellen ein exorbitant schlechtes Rhythmusgefühl beim Mitklatschen offenbart, selbst wenn Drummer Stefan Arnold vorn den „Vortänzer“ spielt. Aber das sind eher kuriose Randerscheinungen innerhalb eines insgesamt sehr gelungenen Traditionsmetalgigs, zu dessen Stärken neben erwarteten (man singt „Rebellion (The Clans Are Marching)“ auch dann noch gern mit, wenn die hübsche Blondine links neben einem die Flucht ergreift, selbst wenn das vielleicht nicht am Gesang gelegen hat, sondern sie einfach nur einen Sitzplatz aufsucht) auch überraschende (das düstere „Season Of The Witch“ stellt unerwarteterweise einen der stärksten Songs des Sets dar, was angesichts der unten in der Setlist vermerkten Konkurrenz ein starkes Qualitätsmerkmal darstellt) zählen. Dass der Zugang eines Gitarrenasses wie Axel Ritt Grave Digger sehr gut getan hat, steht außer Frage, und auch der mittlerweile nicht mehr ganz so neue Keyboarder Marcus Kniep darf gelegentlich sein Können an markanter Stelle beweisen: Ein Orgelsolo hat zumindest der Rezensent noch nie auf einem Grave-Digger-Gig gehört, auch wenn selbiges an diesem Abend etwas seltsam plaziert ist, nämlich zwischen „Morgane LeFay“ und „Rebellion (The Clans Are Marching)“, also den beiden letzten Songs des Hauptsets. Immerhin kann man es dort auch deutlich vernehmen, was in der ersten Sethälfte vielleicht nicht der Fall gewesen wäre – bis die Keyboards im Soundgewand hörbar gestaltet werden, vergehen etliche Songs, wonach dann allerdings ein gutes und nur geringfügig überlautes Gesamtklangbild erreicht ist, das auch Jens Beckers Baß besser integriert, als man das in der Vergangenheit bisweilen hören mußte. Dass die Stimmung trotz halbleerer Halle immer noch prima ist, kam bereits zur Sprache, und die beiden Zugaben „The Round Table (Forever)“ und „Heavy Metal Breakdown“ halten selbige erwartungsgemäß auf hohem Niveau, so dass das von Boltendahl eingangs ausgerufene Ziel, gemeinsam einen guten Heavy-Metal-Abend zu haben, definitiv als erreicht angesehen werden kann.
Setlist Grave Digger:
Healed By Metal
Lawbreaker
Witchhunter
Killing Time
Ballad Of A Hangman
The Dark Of The Sun
Knights Of The Cross
Hallelujah
The Ballad Of Mary
Tattooed Rider
Hammer Of The Scots
Season Of The Witch
Highland Farewell
Excalibur
Morgane LeFay
Rebellion (The Clans Are Marching)
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The Round Table (Forever)
Heavy Metal Breakdown
Roland Ludwig
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