Artikel
Info
Zeit: 13.06.2017
Ort: Dresden, Chemiefabrik
Internet:
http://www.ravenlunatics.com
Sie schienen bereits ausgestorben, die Tontechniker, nach deren Meinung Heavy Metal in der Konzertsituation im Wesentlichen aus Drums und Lärm bestehen müsse. An diesem Dienstagabend in Dresden wird zunächst der Gegenbeweis erbracht: Kill Ritual, die wenige Minuten nach 21 Uhr den Konzertabend eröffnen, müssen mit einem völlig üblen Klanggewand vorlieb nehmen. Zum einen sind die Regler derart weit aufgerissen, dass der kleine und niedrige Raum zur totalen Dröhnfalle und der Krach fast zur physischen Erfahrung wird, zum anderen hört man aus dieser Dröhnattacke in bestechender Schärfe den Drummer und in kaum geringerer Schärfe die Leadgitarren heraus, wozu sich bisweilen noch der Leadgesang gesellt. Alles andere geht in einem Grundgeräusch unter und führt dazu, dass die Leistung der Band (vom spieltechnisch offensichtlich hochkompetenten Drummer abgesehen) komplett unbewertbar ausfällt. Schade um den durchaus gutklassigen Power/Thrash, den der Rezensent vom Debütalbum The Serpentine Ritual (das einzige der drei Alben, das er von den US-Westküstlern kennt) noch in Erinnerung hat – der Rest des Publikums hält sich gleichfalls vornehm zurück, und das Gros entflieht der Lärmattacke in den Außenbereich des Clubs.
Bei Hirax wandelt sich die Lärmwand: Sie bleibt zwar immens laut, aber man hört plötzlich in bestechender Schärfe die Gitarrenarbeit und auch noch die Drums, während die klangliche Integration des Basses überhaupt nicht gelingt und die Vocals so anmuten, als würden sie hinter einem Vorhang gesungen, was sich auch nur unwesentlich bessert, als nach den ersten zwei Songs das Frontmikrofon ausgetauscht wird. Das ergibt ein völlig seltsames Gesamtklangbild, das aber wenigstens Detailbetrachtungen ermöglicht, z.B. die Feststellung, dass Hirax (ähnlich wie beispielsweise Anvil) live eigentlich einen zweiten Gitarristen bräuchten, da ihr Material mit nur einer Gitarre etwas leer anmutet (auch wenn dieses Problem bei besserer Abmischung des Basses vielleicht nicht ganz so drängend anmutet). Zwar präsentiert sich Lance Harrison am Sechssaiter trotz geringer Körpergröße als spielerischer Riese, aber wenn man seinen Bruder Steve am Viersaiter kaum hört, steht auch er auf verlorenem Posten. Das stört in den ausgefeilteren Nummern eher als im knapp bemessenen frühen Überschallgepolter Marke „Hate Fear And Power“, das dementsprechend auch den stärksten Eindruck hinterläßt. Katon W. De Pena präsentiert sich als Aktivposten, verzichtet allerdings, soweit man das hören kann, auf die Ausflüge in höhere Tonlagen und shoutet sich weiter unten durchs Material des Sets, das zum Teil aus den Achtzigern stammt, aber auch Songs jüngeren Datums beinhaltet – Hirax leben durchaus nicht nur von ihrer Vergangenheit, sondern haben auch seit ihrer Revitalisierung immer mal neues Material veröffentlicht, und das will natürlich auch promotet werden (es ist am Merchstand unter anderem auch in klassischer Vinylform zu erstehen). Der Rezensent, der die Band zum ersten Mal live sieht, schätzt sowohl „Lightning Thunder“ als auch „El Negro Diablo“ hoch ein, während sich ihm der Kultsong „Bombs Of Death“, traditioneller Bestandteil von Hirax-Shows, irgendwie nicht so richtig erschließt. Der Club beherbergt mittlerweile allerdings eine größere Anzahl von Menschen, und unter denen finden sich etliche Die-Hard-Anhänger des Quartetts, die von Katon bisweilen auch zum Mitsingen auf die Bühne geholt werden, so dass eine muntere Partystimmung entsteht, auch wenn am Ende kurioserweise niemand eine Zugabe einfordert.
Raven gehören schon lange zu den Favoriten des Rezensenten, aber irgendwie hat er es nie fertiggebracht, sie mal live zu erleben – bis zu ebenjenem Abend. Der Sound bleibt laut, wird aber plötzlich relativ homogen und doch transparent, so dass von dieser Warte aus einem unterhaltsamen Konzert nichts im Wege steht. Statt dessen hätte diesem Ziel beinahe ein anderer Umstand einen Strich durch die Rechnung gemacht, nämlich ein Herzanfall von Drummer Joe Hasselvander im Mai. Anstatt aber die anstehenden Konzerte abzusagen, arbeiteten die Gallagher-Brüder (Mark und John, nicht etwa Liam und Noel) drei Gastschlagzeuger ein, mit denen sie die im Kalender stehenden Gigs retten konnten. Für die Europatour sitzt Dave Chedrick auf dem Drumhocker – und das bedeutet, dass er das an diesem Abend schon zum zweiten Mal tut, denn er ist der Schlagwerker von Kill Ritual und hat somit pro Abend zwei Sets zu bestreiten. (Nebenbei bemerkt hat er vor Jahren auch mal für Hirax getrommelt – aber drei Sets wären dann wirklich zuviel des Guten für die Kondition gewesen ...) Er entledigt sich dieser Aufgabe allerdings in souveräner Weise: Der Rezensent hat wie erwähnt Raven nie mit Joe Hasselvander (und auch nicht mit Rob „Wacko“ Hunter) gesehen, aber rein spielerisch gibt es keinerlei Abstriche zu machen, im Gegenteil: Der Energietransport (dem bei einer Band, die nach Eigendefinition „Athletic Rock“ spielt, natürlich besondere Wichtigkeit zukommt) klappt mit dem Jungspund tadellos, das Zusammenspiel läßt keine Wünsche offen, und das eine oder andere Zusatzfill bereichert den einen oder anderen Song in interessanter Weise. Die Jugendfrische animiert offensichtlich auch die beiden Alten zu Höchstleistungen: Immerhin gehen beide Gallaghers auf die 60 zu, aber sie toben über die Bühne, als seien sie maximal halb so alt, sind natürlich fit an den Saiten, und John (der seine Bewegungsfreiheit durch den Einsatz eines Kopfmikrofons gewinnt) traut sich sogar noch, diverse spitze Schreie anzubringen – mit Erfolg: Keiner davon wirkt lächerlich oder auch nur bemüht, und die reguläre Tonlage ist zwar ein wenig gediegener als früher, paßt aber deswegen nicht schlechter zu den Songs. Von selbigen gibt es diesmal übrigens ein paar Raritäten: Die Speed-Metal-Miterfinder haben einige Nummern ausgebuddelt, die sie seit Jahrzehnten nicht mehr im Set hatten, und so dürfen sich die Anhänger beispielsweise über „Hard Ride“ (vom 1981er Debüt Rock Until You Drop) oder „Hung, Drawn And Quartered“ (von All For One aus dem Jahr 1984) freuen, nachdem „Destroy All Monsters“ den umjubelten Auftakt des Gigs gebildet hat. Standards wie die Titeltracks der beiden genannten Alben gibt es aber natürlich auch zu hören, und selbst „Stay Hard“ vom gleichnamigen, den temporären Abstieg der Band einläutenden Werk sorgt nicht für einen entscheidenden Stimmungsabfall, wohingegen Raven mit Songs wie „Crash Bang Wallop“ oder „Don’t Need Your Money“ natürlich sowieso nichts falsch machen können. Nur schade, dass sich die archäologische Arbeit nicht auch auf die weitgehend unterschätzten Alben Nothing Exceeds Like Excess und Architect Of Fear ausdehnt – wenn mal wieder so eine Aktion ansteht, notiert der Rezensent auf seinem Wunschzettel „Die For Allah“ vom erstgenannten und den Titeltrack vom zweitgenannten Werk, die auf der 1995er Japan-Livescheibe ja beide noch vertreten waren. Johns Baßsolo bindet praktisch den Zugabenteil an den regulären Set, und das Finale bildet ein großes Medley aus u.a. „High Voltage“ und „Dog Eat Dog“ einer gewissen australischen Band, mündend in „Born To Be Wild“, das in Ermangelung von Udo Dirkschneider auch von den noch anwesenden Fans fleißig mitgesungen wird, wie das schon den ganzen Raven-Gig hindurch Usus gewesen ist, obwohl die Kopfzahl im Vergleich mit Hirax ein wenig abgenommen hat. Feiner Gig und versöhnlicher Abschluß eines Events, dessen Auftakt zu den schlimmsten Befürchtungen Anlaß gab.
Roland Ludwig
Zurück zur Artikelübersicht |