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Irgendein phantasiebegabter Mensch hat den Sound von Iva Nova mal als Folkpunk bezeichnet. Das besitzt nur dann seine Berechtigung, wenn man den Terminus Punk als „unkonventionelle Herangehensweise ohne Scheu vor eventuellen Folgen“ übersetzt – mit gleicher Berechtigung könnte man dann allerdings auch die Progressive-Schublade öffnen und hätte damit vielleicht sogar einen Treffer gelandet, wenn man denn „progressiv“ als „fortschrittlich“ im Wortsinne auffaßt. Zumindest dem Rezensenten fällt keine Band ein, die auch nur so ähnlich klingt wie Iva Nova aus St. Petersburg – einzig ein Gedankenexperiment lohnt sich: Wer sich vorstellen kann, wie Ganes heute klängen, hätten sie den Weg ihrer frühen Liveversion von „Mai Guai“ weiter verfolgt, der kann auch eine Vorstellung gewinnen, wie Iva Nova klingen, allerdings natürlich in ihrem Falle mit russischem Folk und nicht mit alpenländischem. „Extrem-Folk“ ist eine von der Band selbst verwendete Bezeichnung, und die übernehmen wir hier für den theoretischen Teil der Abhandlung kurzerhand.
Rein ins praktische Geschehen: Die große Veranstaltungstonne der Moritzbastei ist mit vielleicht 30 oder 40 Besuchern eher spärlich gefüllt, was für die Kasse eher schlecht, für die Anwesenden aber gut ist, denn so besteht kaum Gefahr, die Umstehenden bei ausladenderen Tanzaktivitäten niederzumähen. Und für solche Aktivitäten halten Iva Nova durchaus einiges Material bereit, wenngleich man sich beim Hören durchaus anstrengen und auch seltsame Taktarten rezipieren können muß. Auf den Arbeitstitel „The Dancing One“ hört dementsprechend auch ein neuer, noch unkonservierter Song, und Sängerin Anastasia meint grinsend zum Publikum, dieses fungiere jetzt praktisch als Versuchskaninchen, ob die Tanzbarkeit dieser Komposition schon stark genug ausgeprägt sei. Publikum wie Komposition bestehen den Test glänzend, was allerdings angehörs des zuvor erklungenen Programms auch nicht weiter verwunderlich war.
Interessant ist das zum Einsatz gebrachte Instrumentenarsenal: Schlagwerkerin Ekaterina (die einzige, die noch von der 2002er Gründungsbesetzung dabei ist) erweitert das übliche Drumset u.a. um diverse Glocken, Bassistin Galina (Bandküken, seit 2014 dabei) bleibt mit zwei verschiedenen Baßmodellen im Bereich des Normalen, dazu kommt Akkordeonistin Natalia, ebenso wie Galina an den Satzgesängen beteiligt. Die größte Vielfalt aber fährt die bereits erwähnte Sängerin Anastasia auf, die gelegentlich auch an einem traditionellen Keyboard sitzt, ansonsten aber auch eine einzelne Trommel vor sich stehen hat, sich mal mit Natalia ein Akkordeon-Kazoo-Soloduell liefert, Waschbrett spielt und über ein Effektgerät gebietet, mit dem sie alle möglichen und unmöglichen Geräusche erzeugen kann, was sich keineswegs nur dann anbietet, wenn sich der betreffende Song um die Gattung der Baba-Jaga dreht und dieser halbwegs geradlinigen Folkrocknummer ein völlig schräges Intro vorgesetzt wird, das ein wenig an eine analoge Effektorgie von Salut Salon erinnert. Neben ihrem Hauptmikrofon hat sie noch zwei weitere im Einsatz, über die gleichfalls verschiedene Effekte laufen, so dass die mit einer mittelhohen bis hohen klaren Stimme ausgestattete Rothaarige (sie singt in Russisch, hält die Ansagen aber in gut verständlichem Englisch) bedarfsweise auch so klingen kann wie ein Mix aus Lemmy und Major Tom.
Dass der Gesamtmix musikalisch nicht selten weit ins Psychedelische hineinreicht, findet seinen optischen Widerhall durch die bunten Welten, die das einzige männliche Bandmitglied per Projektor an die Rückwand der Veranstaltungstonne wirft. „Frühe Pink Floyd erkunden russischen Folk“ könnte man manche Momente umschreiben (und Iva Nova rocken definitiv, auch ohne dass sie einen Gitarristen in der Band haben), aber Worte sind hier sowieso ein eher unzulängliches Mittel – man muß dieses Quartett (plus Lichtdesigner) besser selbst live erlebt haben. Die Band spielt nicht zum ersten Mal in Leipzig, was die eher schwache Publikumsresonanz umso unerklärlicher macht – so übel kann das (vom Rezensenten nicht miterlebte) Vorgängerkonzert in der Messestadt doch eigentlich nicht gewesen sein, dass sich nur so ein mächtiges Häuflein in der Moritzbastei einfindet (Dienstagtermin hin oder her). Aber die Anwesenden sind begeistert, schwingen fleißig das Tanzbein, goutieren auch die eingestreuten balladeskeren Momente und geben sich nach anderthalb Stunden auch nicht ohne zwei Zugaben zufrieden. Nächstes Mal wieder? Sehr gerne!
Roland Ludwig
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