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1992 war ein Jahr, das in meinem Leben deutliche Zäsuren hinterlassen hat. Der Februar hat gleich zwei Ritzen in meinem Colt hinterlassen. Die zweite hat einiges damit zu tun, dass ich jetzt diese Buchstaben in die Maschine hacke.
Tiefer aber ist die erste. Am 6. Februar, einen Tag vor meinem 29. Geburtstag, steht in meinem damaligen Terminkalender „14°° EMA“. Kryptisch! Was hätte damals wohl ein Tatort-Kommissar hinter diesen Kürzeln vermutet, falls ich in Mordverdacht geraten wäre. Die Antwort ist recht einfach. EMA steht für die Ernst Moritz Arndt Gemeinde in Berlin-Zehlendorf.
Eine Woche vor diesem Termin hatte ich in Hannover mein Examen bestanden – und das bedeutete: erst einmal Arbeitslosigkeit. Ende der 80er / Anfang der 90er waren die Kirchen in einer massiven Finanzkrise und gleichzeitig schlossen so viel Theologen, wie nie zuvor, ihre Examen ab und wollten ins Vikariat (Für angehende Pfarrer das Pendant zum Referendariat der Lehrer). Das bedeutete: Wartezeiten. Drei Jahre wurde mir gesagt. Und als ich anmerkte, ich würde mein Vikariat gerne als Gastvikar in Berlin absolvieren, musste ich mit einer noch längeren Wartezeit rechnen, denn es gab nur eine streng begrenzte Anzahl von Gastvikariatsplätzen.
EMA war die Lösung für die erste Hälfte der zu erwartenden Wartezeit. Dort ging eine Sozialarbeiterin in den Mutterschaftsurlaub und man suchte für anderthalb Jahre eine Vertretung. Die Pfarrerin der Gemeinde wollte die Jugendarbeit der Gemeinde etwas theologischer machen, und da erschien ihr ein Theologe mit viel Erfahrung in der ehrenamtlichen Jugendarbeit wohl als der geeignete Kandidat. Die Folge: Ab 1.3.1992 leitete ich mit einer 50% Anstellung den Jugendkeller der EMA. Das war das Ende des Studenten Norbert Andrae. (So hieß Norbert vor seiner Heirat; Anm. d. Red.)
Aber da gab es ja noch die zweite Ritze. Bevor ich die Stelle antrat, absolvierte ich vom 16. bis 25. Februar ein Seminar „Schreiben und Arbeiten“ in Hannover. Hintergrund: Die hannoversche Landeskirche hatte sich einige Zeit zuvor entschlossen, sich an einem der ersten privaten Rundfunksender Deutschlands zu beteiligen, dem FFN. Der Sender warf überraschend schnell Gewinne ab. Und als gemeinnützige Institution durfte die Kirche das Geld nicht einfach einstecken; es musste in dem Bereich reinvestiert werden, in dem es gewonnen wurde.
Siegfried von Kotzfleisch, damals Chefredakteur des Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatts, hatte eine kongeniale Idee: Nutzt das Geld, um kommende Pfarrer für den Umgang mit den Medien fit zu machen. Ich weiß gar nicht mehr, wie ich an die Information für dieses Seminar gekommen bin, aber es gehört zu den besten, die ich je besucht habe. In zehn Tagen wurden wir geschliffen, wie nie zuvor. Selten habe ich so direkt und konkret gesagt bekommen, was gut und was WARUM nicht gut war. Eine klasse Woche.
Und mir wurde ein Impuls gegeben: Wenn Sie was sagen wollen, sagen Sie das der örtlichen Zeitung. Mehr als Nein sagen, können die nicht. Das hatte Wirkung: Im Mai erschien mein zweiter bezahlter Artikel in einer Zeitung (der erste ist eine ganz andere Geschichte, die sich schon vor dem Studium abgespielt hatte.) und letztlich kam damit meine journalistische Seite ins Rollen, von der die MAS mittlerweile die Hauptstraße ist.
Neben all diesen Wechseln hatte ich es im Februar 1992 tatsächlich noch geschafft mir ein gutes halbes Dutzend CDs zuzulegen. Aktuell war dabei unter anderem Chris Reas Auberge, ein Album eines Künstlers, den ich schon eine Zeit lang beobachtet hatte, und der dann mit einigen Chartbreakern sehr deutlich auf sich aufmerksam gemacht hatte. Das elegante, leicht abgeklärte und letztlich zeitlose Auberge ist das Album, mit dem er begonnen hat, sich in die Sphären der elder statesmen of Rock zu begeben.
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