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A Saucerful of Secrets, erschienen 1968, war für Pink Floyd vermutlich das schwerste Album. Ähnlich schwer dürfte später A Momentary Lapse of Reason gewesen sein, allerdings konnte man Mitte der 80er auf zwei Jahrzehnte Bandgeschichte, jede Menge Beziehungen im Musikmarkt und vor allem reichlich finanzielle Ressourcen zurückgreifen. Das war 1968 völlig anders. Die Band hatte sich ihren Status als Liveband begründet und einen ordentlichen Grundstein mit ihrem Debüt gelegt, jedoch galt Syd Barrett in der Öffentlichkeit als Mr. Pink Floyd und nicht wenige hatten die Band nach dessem Abgang abgeschrieben. So sehr ich Mr. Waters schätze und auch sein Anteil an Animals und The Wall unbestritten sehr hoch lag, so war er für die 80er-Floyd sicher musikalisch nicht so wichtig wie Barrett für die Urformation.
Die Band hatte sich während der Aufnahmen zum zweiten Album von Barrett getrennt, kurz zuvor bereits David Gilmour als Gitarristen (zunächst als zusätzlichen) in die Band geholt. Dementsprechend strittig ist bis heute der tatsächliche Anteil Barretts an dem Album. Offiziell hat er nur “Jugband Blues“ geschrieben und gesungen sowie mit eingespielt.
Es gibt auch Aussagen, dass er auf “Set the Corntrols for the heart of the sun“ und “Let there be more light“ mitgewirkt hat. Doch da gehen die Meinungen und Aussagen auseinander. Unter dem Strich wurde A Saucerful of Secrets auf Grund der veränderten Bandkonstallation zu einem Album mit den meisten Beiträgen aller Bandmitglieder. So stammen “Let there be more light“, "Set the controls for the heart of the sun“ und “Corporal Clegg“ von Waters, “Remember a Day“ und “See Saw“ von Wright und das zwölfminütige Titelstück von Waters, Wright, Mason und Gilmour. Hinzu gesellte sich die oben bereits genannte Barrett Komposition.
Und den Briten gelang unter dem Druck ein ganz famoses Album das sich vom psychedelischen Pop hin zu mehr atmosphärischen Stücken entwickeln sollte und ganz nebenbei einige Blaupausen für spätere Floyd-Songs, aber auch noch nicht erfundene Musikstile wie Spacerock (“Set the controls“, “Let there be more light“) und Stonerrock ("Let there be more light“) liefern sollte. Den melodischen, psychedelischen Popsong hielten hingegen die Wright-Kompositionen hoch.
Dabei empfinde ich die erste Seite des Albums als die stärkere und spannendere. Eröffnet vom spacigen “Let there be more light“, das die Verbindung zu Stücken wie "Astronomy Domine" locker schafft und perfektioniert. Der hypnotische, tanzende Bass Waters' wird perfekt vom Schlagzeugspiel Masons unterstützt. Über diesem zackigen Grundgerüst breitet Wright seine wohl intensivsten Klänge auf der Farfisa-Orgel aus. Gilmour steuert später sehr spannende Gitarrenklänge dazu, zusätzlich liefern sich Waters und Gilmour ein eindrucksvolles Duell bei den Vocals. Das psychedelische Outro mit vielen Effekten auf Gitarre und Orgel wird von einem ersten genialem Gilmour-Solo zusammengehalten. Ein klares Zeichen: Mit uns ist auch ohne Syd zu rechnen.
Das folgende “Remember a day“ ist für mich bis heute die schönste Wright-Komposition überhaupt. Das Tastenspiel dominiert das Stück und variiert wie der Song zwischen melancholisch perlenden und euphorischen Parts. Eine einfache akustische Gitarre umrahmt das Stück, auf der E-Gitarre werden die wohl schönsten psychedelischen Effekte gespielt. Dazu kommen noch sehr atmosphärische Perkussionseffekte. Und nicht zuletzt gehört der traumwandlerische Gesang natürlich auch noch dazu. Herrlichster Psychpop.
Die nächste Waters-Komposition “Set the controls for the heart of the sun“ folgt hierauf. Ein mystischer Bass eröffnet, Glockenklänge bilden atmosphärische Stereoeffekte und Nick Mason trommelt eine sanfte, psychedelisch treibende Perkussion dazu. Rick Wright steuert sehr atmosphärische Keyboardklänge hinzu, die wirklich nur Atmosphäre erzeugen und ansonsten kaum auffallen, und das ist als Kompliment gemeint. Das Stück baut sich unter Waters' manischem Gesang immer mehr auf, bis die Glockenklänge und Keyboards scheinbar im Raum abheben und den Hörer mit den auftauchenden Vögeln dahin schweben lassen.
“Corperal Clegg“ stellt dann textlich Waters' erste Auseinandersetzung mit Krieg und dem Tod seines Vaters dar. Seine Ausdrucksform ist bis auf seinen bekannten Zynismus jedoch noch eine andere. Das Stück ist ein heavy Psych-Trip mit rockigen Gitarren und scharfen Gitarrenklängen und nicht nur im Gesang leicht verrücktem Unterton. Die Strophe gibt sich dann fast poppig und sanft, nur um dann wieder in den rockigen Sound mit wieder scharfen Gitarren zurückzukehren. Trotzdem darf auch hier Rick Wright in den Strophen seine schwebende Orgel einsetzen. Beendet wird das Stück mit einer Dauerwiederholung des Titels, schrägen Spielzeugbläsersounds und einer Menge fast schon kakophonischer Klänge, welche wohl Kriegslärm, Sirenen aber auch andere Sounds enthalten. Man könnte diese Komposition schon als einen ganz frühen Fingerzeig auf The Wall interpretieren.
Die zweite Seite beginnt mit dem Titelstück, und mit diesem habe ich mich immer schwer getan. In den ersten Jahren meiner Floyd-Gefolgschaft habe ich dieses Stück wohl so gut wie nie und wenn, dann nur in der Ummagumma-Livefassung gehört. Richtig beschäftigt habe ich mich damit wohl erst wieder mit Erscheinen der "Shine On"-Box. Man kann “A Saucerful of Secrets“ als grandiose Kunst zwischen Komposition und Improvisation ansehen oder aber auch nur als zusammengeschachtelten Longtrack. Im Grunde trifft beides zu, denn das Stück wurde aus unterschiedlichen Fragmenten zusammengesetzt und dann aufgenommen. In jedem Falle beinhaltet es einige grandiose und einzigartige Instrumentalpassagen: da wäre natürlich das fantastische Orgelspiel am Ende des Stückes von Wright (auf einer Kirchenorgel), das manische Schlagzeugspiel Masons im zweiten Part, aber auch die unheimlichen Gitarreneffekte, die man so vorher sicher noch niergendwo gehört hatte. Hier findet man durchaus auch schon Hinweise auf Dark Side of The Moon (die Effekte auf "On the Run" zum Beispiel). Aber am Ende ist das Hören von "A Saucerful of Secrets" niemals entspannend. Dafür ist es zu monströs, zickig und erschlagend. Insgesamt war das Stück am Ende vielleicht sogar etwas überambitioniert unter dem Gesichtspunkt, jetzt allen zeigen zu müssen, was noch in der Band steckt. Andereseits lieferte das Stück rückblickend gesehen viele Versatzstücke, welche später weiterentwickelt wurden und zu den noch folgenden Alben führen sollte, So macht es schlussendlich auch ganz viel Sinn, dass für das Abschiedswerk The endless River auf Orgeleinspielungen auf dieses Album zurückgegriffen wurde.
Mit dem entspannten-Wright Stück “See-Saw“ kann der Hörer nach dem monströsem Titelstück wieder etwas entspannen. Der relaxte Gesang Wrights wird von schwebenden Keyboards und lockeren, psychedelischen Gitarrensounds umspielt. Hinzu kommen die für die damalige Zeit gewagten Stereoeffekte, die dem Stück ein besonderes Flair geben.
Abgeschlossen wird mit Barretts “Jugband Blues“, welches wohl das einzig brauchbare Barrett-Stück der letzten Monate war. Es ist ein insgesamt recht einfaches psychelisches Rockstück. Wummernder Bass, akustische Gitarren und jede Menge psychedelische Effekte. Die Strophen sind eher melancholisch ausgelegt, während der Refrain mit Brasssektion und vielen Geräuschen psychedelisch fröhlich ist. Das Stück mündet in seltsamen Klängen und der Brassband bevor nur der Gesang begleitet von der akustischen Gitarre zurückkehrt und die magischen Worte
And the sea isn't green
And I love the queen
And what exactly is a dream
And what exactly is a joke
erklingen und die letzten Klänge des Albums verhallen. Ein typisches Barrett-Stück das zeigt, wie die Band sich wohl mit einem gesunden Barrett weiterentwickelt hätte. Und ein gespenstischer Text, denn liest man diesen, bekommt man das Gefühl, dass der gute Syd in diesem Stück über sich und seinen schwindenden Status im Bandgefüge ebenso wie sein schwindendes Interesse an seiner Umwelt besingt und sein Schicksal selbst benennt.
Insgesamt gebührt A Saucerful of secrets ein höherer Status in der Bandgeschichte, als ihm häufig zugestanden wird. Denn es zeigt eine gefestigte und gewachsene band, die trotz schwieriger Zeiten an ihrer Kreativität und an ihrem Traum festhält.
Natürlich fehlen noch meine persönlichen Einstellungen zum Album, auch wenn ich sie oben bereits habe anklingen lassen. Wie fast alle frühen Alben der Band mit Ausnahme von More bis einschließlich Atom Heart Mother habe ich lange gebraucht in diese Alben hinein zu kommen. Allerdings fiel mir gerade beim Schreiben dieser Story auf, dass ich von A Saucerful of Secrets tatsächlich in sehr frühen Tagen bereits eine Menge Stücke sehr mochte. Es gab da ja diese Kassetten, die bei mir rauf und runter liefen, bevor ich 1981 die Albumkollektion geschenkt bekam. Eine stammte aus einer Radiosendung, die wahrscheinlich als Vorgeschmack für die Wall-Shows in Deutschland liefen. Ich weiß noch, dass es eine zwei Mal eintündige Sndung war und ich glaube, sie wurde von Winfrid Trenkler moderiert. Hier wurden völlig werbefrei und ohne Reinquatschen des Moderators Stücke aus allen Alben der Band präsentiert. Und ich bin mir sicher, dass "Remember a Day“ und “See-Saw“ dabei waren, und auf jeden Fall "Let there be more light“ oder “Set the controls for the heart of the sun“, vielleicht sogar beide.
Als ich jedoch die Albumbox dann bekam, schreckte mich immer das Titelstück ab, in welches ich gar nicht reinkam. Hingegen fand mein Freund Helmuth, übrigens ein Kolumbianer, der eigentlich auf Elvis (und hier auch noch auf die schwülstige letzte Schaffensphase des Kings) stand, das Stück immer cool und kam einige Male zu mir herunter (er wohnte im selben Haus), um es sich auf meiner neuen Anlage (Akai Hifi Turm, 40 Watt Sinus, die Boxen sind heute noch bei mir im Einsatz und die Endstufe ist ebenfalls immer noch funktionstüchtig) anzuhören. Natürlich brachte er dann auch immer einige Elvis-Scheiben mit. Was für eine Mischung. Sei es drum: wie oben beschrieben dauerte es bei mir tatsächlich bis Anfang der 90er, bis ich tiefer in dieses Stück hineinkam. Geholfen hat dabei sicherlich auch meine inzwischen aufgeflammte Liebe zu den Legendary Pink Dots, die sich ja ebenfalls gern mal in sehr vertrackten und ungewöhnlichen Sounds üben.
Nachdem ich nun gerade wieder mal dieses Album zwei Mal nach längerer Zeit durchgehört habe (das letzte Mal habe ich dies im Rahmen meiner persönlichen Vorbereitung für The Endless River getan, bei der ich im Vorfeld alle Alben chronologisch gehört habe, wie sich das für so einen Freak halt gehört) kann ich nur nochmals bestätigen, dass es zu den besten der an Klassikern nicht armen Diskographie der Band gehört und im Grunde nicht ein Stück enthält das irgendwie schlecht wäre oder als Füllmaterial gelten könnte. Und so sehr sich die Band später mal von ihren Anfängen mit Barrett unterscheiden sollte (ohne diese Wurzeln jemals komplett verloren zu haben), so wenig kann ich verstehen, wenn Barrett-Fans die Kompositionen der neuen Floyd auf diesem Album verteufeln, denn sie sind irgendwie die logische Fortsetzung des Debüts.
Also: Hört mal wieder rein in dieses frühe Meisterwerk!
Wolfgang Kabsch
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