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Zeit: 02.09.2016
Ort: Rastatt - Badnerhalle
Fotograf: Karl-Friedrich Wild
Letztes Jahr waren Golden Earring die Hauptband auf dem Festival „Lieder am See“ und haben da trotz nasskaltem Wetter ein wahres Hit-Feuerwerk abgebrannt. Leider dauerte die Spielzeit nur 75 Minuten. Der Manager der Band hat mir am Merchandise-Stand vor Ort mitgeteilt, dass ich nächstes Jahr auf das Hallenkonzert der Band „irgendwo in Deutschland“ kommen soll. Dort würden die Holländer immer volle zwei Stunden spielen.
Einen Einlass oder eine Kontrolle an der Hallentür gibt es gar nicht, ich gehe einfach so rein. So was hab ich bisher auch noch nie erlebt! Das Licht geht sofort aus und Golden Earring beginnen mit dem Opener „Identical“. Der Sound ist sehr laut und zu Beginn noch ziemlich schwammig. Gesanglich kann man Barry Hay zwar hören, aber nicht besonders deutlich. Der Gesamtsound ändert sich noch ein kleines bisschen, bleibt jedoch insgesamt zu laut und zu dröhnig.
George Kooymans lässt gleich anschließend „Another 45 Miles“ vom Stapel. Der Song kommt astrein rüber, Kooymans singt hervorragend. Mir fällt regelrecht die Kinnlade runter, als mit „Twilight Zone“ einer ihrer größten Hits so früh im Set auftaucht. Was soll denn da noch alles kommen? „Twilight Zone“ wird recht brachial runtergerotzt und hat nicht mehr viel mit der relativ poppigen LP-Version gemeinsam. Highlight ist hier der kultige Bassist Rinus Gerritsen, der sich speziell hier in einen regelrechten Rausch zu spielen scheint.
Barry Hay ist ein Frontmann allererster Güteklasse. Mit seinen Tätowierungen und seiner bestechenden Bühnenpräsenz erinnert er teilweise an einen Preisboxer oder Mitglied einer Motorradgang. Gesanglich ist er voll auf der Höhe, was leider aufgrund des undifferenzierten Sounds nicht immer astrein rüberkommt. Bei „Long Blond Animal“ gelingt es ihm mühelos, das Publikum zum Mitsingen zu bewegen. Die Halle ist ausverkauft und die Stimmung unter den Fans sehr gut. Das Konzert nimmt so langsam Fahrt auf und ich komme mit jedem Song immer mehr in Partystimmung.
„Going To The Run“ sorgt für Gänsehaut pur. Barry Hay und George Kooymans teilen sich hier den Gesang und bringen das traurige Thema des Songs sehr leidenschaftlich rüber. Kooymans ist mit Begeisterung bei der Sache. Er spielt seine Gitarre mit viel Power und freut sich sichtlich über die tolle Atmosphäre in der Badnerhalle. Die Band hat einen Saxophonisten dabei, der bei dem einen oder anderen Song zum Einsatz kommt. Dies passt prima zum Gesamtpaket dazu. Bassist Rinus Gerritsen bekommt nun seinen Solospot und legt mit einem doppelhälsigen Bass ein donnerndes, aber langweiliges Basssolo hin. Das hätte man sich wirklich sparen können!
Gleich anschließend folgt der Signaturhit der Truppe: „Radar Love“. Hier bekommt der umtriebige Schlagzeuger Cesar Zuiderwijk seinen großen Auftritt. Sein Schlagzeug ist riesig und im Hintergrund mit zwei großen Bassdrums ausgestattet. Bei dem äußerst kurzweiligen Solo verwendet er wirklich alle Teile, die ihm sein Schlagzeug zur Verfügung stellt. Die Power und Energie die er dabei freisetzt, sind wirklich erstaunlich. Er bekommt verdientermaßen viel Applaus, die Band beendet den Song sehr fulminant. Ich schaue auf die Uhr und stelle mit Erschrecken fest, dass bereits 60 Minuten vorbei sind. Auf geht’s in die zweite Hälfte des Sets!
Doch was passiert? Die Musiker verlassen die Bühne! Ich denke mir zuerst, ich sehe nicht richtig. Aber es ist so, der reguläre Teil des Gigs ist jetzt bereits vorbei. Golden Earring kommen noch für zwei Zugaben in Form von einem recht psychedelischen „She Flies On Strange Wings“ und dem Partykracher „Holy Holy Life“ zurück. Dann ist nach exakt 75 Minuten bereits Schicht im Schacht und das Licht geht fast sofort an. Die Fans in der Badnerhalle applaudieren begeistert und artig, was die Band jedoch nicht davon abhält, schnellen Schrittes die Bühne zu verlassen. Was mich wirklich wundert ist, dass keiner pfeift oder sich über die kurze Spielzeit beschwert. Die meisten sind froh, dabei gewesen zu sein und freuen sich über die musikalisch tolle Leistung der famosen Holländer, an denen das Alter scheinbar spurlos vorbei gegangen zu sein scheint.
Ich dagegen bin angepisst ohne Ende. Für 50 Euro Eintrittsgeld kann doch nicht nach 75 Minuten das Konzert zu Ende sein! Vor allem war die Aussicht auf zwei Stunden Spielzeit überhaupt erst meine Motivation, dorthin zu gehen. Letztes Jahr hatte ich eben auch schon exakt 75 Minuten, da hätte ich mir den Weg und den Aufwand sparen können. Wenn man sich die Setlisten anschaut, die Golden Earring in Holland spielen, war dies eine absolute Mogelpackung. Dienst nach Vorschrift und dann ab ins Bett.
Ich habe für mich jedenfalls beschlossen, nie mehr auf ein Golden-Earring-Konzert zu gehen. Wenn die nicht einmal 90 Minuten zusammenbringen, kann ich gerne darauf verzichten. Fazit: Musikalisch klasse, aber für einen Headliner-Gig viel zu wenig Spielzeit.
Setlist:
1. Identical
2. Another 45 Miles
3. Twilight Zone
4. When the Lady Smiles
5. The Devil Made Me Do It
6. Going to the Run
7. Long Blond Animal
8. Radar Love
9. She Flies on Strange Wings
10. Holy Holy Life
Stefan Graßl
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