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Es ist schon der Hammer wenn man bedenkt, dass es diese Truppe mittlerweile seit 51 Jahren gibt. 1965 wurde mit dem Album My Generation der Startschuss für eine fulminante Karriere gesetzt. Trotz zahlreicher Höhen und Tiefen wie Alkoholproblemen von Pete Townshend und zwei tragischen Todesfällen von Schlagzeuger Keith Moon und Bassist John Entwistle sind The Who immer noch da. Das erste und einzige The-Who-Konzert das ich bisher gesehen habe fand 2006 in Ulm direkt vor dem Münster statt. Ich war danach schwer beeindruckt und habe gehofft, dass The Who wieder einmal in unseren Breitengraden auftreten. Als dann der Stuttgarter Termin bekannt gegeben wurde, war mir klar: Da muss ich hin!
An der Schleyerhalle angekommen sieht man viele Fans, die im Durchschnitt 50 Jahre und älter sind. Die Vorfreude und Spannung ist hier förmlich spürbar, ich selber bin auch schon sehr aufgeregt. Karten gibt es sogar noch an der Abendkasse, was mich bei lediglich zwei Auftritten in Deutschland ein bisschen wundert. Die Verkäufer am Merchandising-Stand haben alle Hände voll zu tun, da sich etliche Fans bereits im Vorfeld mit Postern, T-Shirts und weiterem Material zu bezahlbaren Preisen eindecken.
Die Vorband SLYDIGS aus England überraschen mich mit ihrem tollen Sound, Songs und mit Musikern, die vor Spielfreude nur so strotzen. Sänger Dean Fairhurst glänzt mit einer beinharten Gesangsdarbietung, die mich ein bisschen an Danny Bowes von Thunder und Ian Astbury von The Cult erinnert. Ich bin total hingerissen von der fulminanten Art, wie diese vier jungen Musiker ihre Songs bei hervorragendem Sound präsentieren. Aber ich bin hier kein Einzelfall. Die komplette Halle feiert die kühnen Briten ab.
Ben Breslin setzt am Rickenbacker-Bass Maßstäbe und zeigt eindrucksvoll, dass der Bass innerhalb einer Band eine sehr wichtige Rolle übernimmt. Hier kommt der Ricky-Sound sehr klar rüber, was live oft eher eine Seltenheit ist. Die Musiker flitzen über die Bühne, geben Vollgas und schaffen es mühelos, das Publikum für sich zu begeistern. Die Songs wechseln zwischen harten Rock’n’Roll-Stücken und melodischen Halbballaden, die jedoch nie in Kitschgefilde abdriften.
Louis Menguy an der Leadgitarre spielt sehr songdienlich, hat aber definitiv was auf dem Kasten. Die Truppe fungiert als gut geölte Einheit und bringt sehr viel Spaß rüber.
Nach ca. 45 Minuten verlässt das sympathische Quintett die Bühne und bekommt vom Stuttgarter Publikum verdient sehr viel Applaus. Nach dem Konzert geben die Jungs am Merchandising-Stand Autogramme. Die neue EP wird ihnen dabei regelrecht aus den Händen gerissen. Ich bin so begeistert, dass ich mir ein paar Tage später gleich die CD Never To Be Tamed bestelle. Antesten - die Songs sind klasse!
Setlist Slydigs:
1. High Off Your Love
2. Easy Solution
3. The Bitter End
4. The Truth Will Be Found
5. Never To Be Tamed
6. Soul Ain't Safe Round Here
7. To Catch A Fading Light
8. Stiff Upper Lip
9. The Love That Keeps On Giving
Nun steigt die Vorfreude immer mehr. Auf den Leinwänden werden alte Fotos THE WHO und natürlich von Keith Moon und John Entwistle gezeigt. Ein ganz fleißiger Archivar hat die Setlist aus dem letzten Konzert der Band in Stuttgart in den 70er Jahren herausgesucht und auch die wird im Hintergrund eingeblendet. So viel Liebe zum Detail hätte ich der Band gar nicht zugetraut. Dann geht das Licht aus und auf der Leinwand wird folgender Text eingeblendet: „Bitte bleiben Sie ruhig, The Who treten gleich auf!“ Ich finde diese Idee lustig, das hab ich so auch noch nie erlebt.
Und dann geht das Spektakel los. Die beiden Hauptprotagonisten, Pete Townshend und Roger Daltrey, beide mittlerweile über 70 Jahre alt, kaspern nicht lang rum, sondern beginnen ohne Umschweife mit „Who Are You“. Der Sound ist glasklar, man hört alle Instrumente deutlich heraus und der Gesang ist bestens ausgesteuert. Daltrey singt ausgezeichnet, man merkt ihm sein Alter zu keiner Sekunde an. Das Mikrophon schwingt er zwar lange nicht mehr so inflationär wie früher, aber wer braucht das schon? Die meisten Songs werden mit Hintergrundeinblendungen passend zum jeweiligen Thema untermalt. Bei dem psychedelischen Brocken „I Can See For Miles“ setzt dies dem Ganzen noch die Krone auf, das ganze wirkt wie ein einziger Trip.
Die Ansagen macht an diesem Abend Pete Townshend, der hin und wieder etwas zu den Songs erzählt oder bemerkt, dass es einfach nur „fucking hot“ in der Halle ist. Townshend hält es nicht lange ruhig in seiner Ecke aus, spätestens bei „My Generation“ packt er die „Windmühle“ aus und malträtiert seine Gitarre, wie man es von ihm kennt und auch sehen möchte. Der erste Gänsehautmoment kommt bei „Behind Blue Eyes“. Die Hintergrundeinspielungen mit Fotos der Bandmitglieder aus den 70er Jahren untermalen den Song äußerst treffend. Vor allem wischt das fetzige Gitarrensolo dieses Monoliths die Sparwitz-Version der Band Limp Bizkit locker vom Platz.
Stimmungstechnisch hätte ich mir an diesem Abend wesentlich mehr erhofft. Es gibt keine Stehplätze, der komplette Innenraum ist bestuhlt. Das Konzert bekommt daher teilweise gerade bei ruhigeren Passagen Wohnzimmercharakter, was der Begeisterung nicht gerade förderlich ist. Die Spielfreude, das Können und die Songauswahl an sich hätten wesentlich mehr Euphorie verdient gehabt.
„Join Together“ wird äußerst originalgetreu vorgetragen, verpufft jedoch. Ich vermute, dass den Song einfach zu wenige Leute kennen. Ähnlich verhält es sich bei „Eminence Front“ und dem Instrumental „The Rock“. Hier erschlägt mich die Bilderflut regelrecht, die optische Seite des Quadrophenia-Stückes wirkt wie ein Dampfhammer. Townshend gibt hier Vollgas und lässt seiner Gitarre keine Sekunde Ruhe. Bei „5:15“ wurde früher meistens ein Basssolo gespielt, worauf heute verzichtet wird. Pino Palladino hat sich aufgrund der äußerst originalgetreu vorgetragenen Bassläufe seines legendären Vorgängers „The Ox“ John Entwistle trotzdem Sonderapplaus verdient. Einen weiteren Anteil an der Bühnenpräsenz von The Who hat Schlagzeuger Zak Starkey, der Sohn von Ringo Starr. Durch den sehr an Keith Moon „The Loon“ angelehnten Spielstil meint man, die Originalbesetzung auf der Bühne zu sehen. Trotzdem geht die Band von heute wesentlich feingeistiger an die Live-Umsetzung der Stücke heran als etwa auf Live At Leeds.Simon Townshend, der Bruder von Pete, übernimmt große Teile des Background-Gesangs und spielt dazu Gitarre. Gleich drei Keyboarder sorgen für den Breitband-Sound der Band, darunter Loren Gold, John Corey sowie Frank Simes.
„Love, Reign O'er Me“ gerät für mich zum Highlight des Abends. Daltrey singt beängstigend stark, was er aus seinem Kehlchen noch herausholen kann, ist schier unglaublich. „I’m One“ bringt Townshend unplugged ohne jegliche Begleitung, auch er singt sicher und sehr voluminös. Die Rockoper Tommy war der große Durchbruch der Band. Diesem Meilenstein wird mit einer ganzen Reihe von Songs Tribut gezollt. „Amazing Journey“ packt die Psychedelic-Keule aus, „Sparks“ lässt sprichwörtlich die Funken und Fetzen fliegen und gibt einmal mehr Townshend die Möglichkeit, sein außergewöhnliches Können unter Beweis zu stellen. „The Acid Queen“ übertrifft jedoch alles. Hier singt Townshend so mitreißend, dass es eine wahre Freude ist. Der Doppelschlag „Pinball Wizard“ und natürlich „See Me, Feel Me“ bilden die Schlusspunkte des Tommy-Reigens, ohne den ein Konzert der Band natürlich nie stattfinden kann.
Ohne Pause kommt „Baba O’ Riley“, bei dem Daltrey mit seiner Pferdelunge eine äußerst gelungene Blues-Harp beisteuert. Wer einmal dieses Instrument gespielt hat weiß, was er hier für eine Leistung abliefert. Es folgt das unvermeidliche „Won’t Get Fooled Again“. Hier wird noch mal alles ausgepackt, was die Band ausmacht. Wuchtige Riffs, außergewöhnliche Schlagzeugparts, ein alles zukleisternder Bass und die Stimme von Daltrey, die den Urschrei „Yeah“ mit der Intensität einer Abrissbirne rausbrüllt.
Nach geschlagenen 135 Minuten ist dann Schluss. Die Fans in der Schleyerhalle sind völlig aus dem Häuschen und feiern ihre Helden von einst mit großer Begeisterung. Daltrey und Townshend stellen ihre Bandkollegen vor, bedanken sich für die große Unterstützung der deutschen Fans und gehen zufrieden, aber auch etwas wehmütig von der Bühne. Ich bin begeistert. Mit einem derartigen Hit-Feuerwerk und einer derartig grandiosen Leistung hab ich wirklich nicht gerechnet. Die Songauswahl war ein Geschenk an langjährige Fans und eben kein bombensicheres Best-Of-Programm. Sicher machen die Hintergrundeinspielungen auch etwas aus, aber die Musik war insgesamt große Klasse. Mit etwas Realismus kann man sagen, dass dies wohl einer der letzten Auftritte der legendären Truppe in Deutschland gewesen sein dürfte. Falls sie sich wieder zehn Jahre Zeit lassen, wären Townshend und Daltrey über 80 Jahre alt. Von daher war dies eine durchaus legendäre Veranstaltung und jeder der dabei war, kann sich glücklich schätzen.
Vielen Dank für Eure wunderbare Musik, für die tollen Auftritte und für die unzähligen Anekdoten, ohne die die Rockwelt wesentlich ärmer wäre. Long live rock - long live The Who!
Setlist The Who:
1. Who Are You
2. The Kids Are Alright
3. I Can See for Miles
4. My Generation
5. Relay
6. Behind Blue Eyes
7. Bargain
8. Join Together
9. You Better You Bet
10. 5:15
11. I'm One
12. The Rock
13. Love, Reign O'er Me
14. Eminence Front
15. Amazing Journey
16. Sparks
17. The Acid Queen
18. Pinball Wizard
19. See Me, Feel Me
20. Baba O'Riley
21. Won't Get Fooled Again
Stefan Graßl
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