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Zeit: 18.07.2016
Ort: Wiesbaden - Bowling Green
Internet:
http://www.davidgilmour.com
David Gilmour, der legendäre Pink-Floyd-Gitarrist ist derzeit mit seinem neuen Album Rattle That Lock weltweit unterwegs. Dabei spielt er nur eine sehr begrenzte Anzahl von Konzerten und auch die Spielorte scheint er sich je nach Lust und Laune auszusuchen. Das hat leider zur Folge, dass Karten für seine Konzerte verhältnismäßig schwierig zu bekommen sind. Das Konzert letztes Jahr in Oberhausen und das Konzert heuer in Stuttgart auf dem „Jazz Open“ waren in weniger als einer Stunde ausverkauft. Warum man für Wiesbaden wesentlich länger Karten bekommen konnte, ist mir schleierhaft.
Es ist bombig heiß, als ich in Wiesbaden am Bahnhof ankomme. Die Stadt begrüßt mich mit bestem Wetter und ich mache nach einem kurzen Check-in im Hotel die schöne Innenstadt unsicher. Dort sind sehr viele Leute mit Pink-Floyd-Shirts unterwegs, allerdings sind es bedeutend weniger, als ich angenommen hatte. Das Gelände des sogenannten „Bowling Green“ befindet sich direkt im Kurpark von Wiesbaden, neben dem Kurhaus und dem Hessischen Staatstheater. Die Bühne und die Sitzplätze werden extra für die Konzerte aufgebaut und danach sofort wieder abgebaut.
Der Einlass ist eine wahre Geduldsprobe, da sämtliche Karten personalisiert sind. Es muss tatsächlich jeder Konzertbesucher seinen Ausweis zeigen, der mehrere Karten gekauft hat. Seine „Gäste“ dürfen dann nur zusammen mit ihm auf das Festivalgelände. Ebay-Käufer, deren Verkäufer nicht da ist, müssen dies im Einzelfall im sogenannten „Klärungsbereich“ mit den Sicherheitskräften besprechen der sich am anderen Ende des Eingangs befindet. So sieht Rock'n'Roll in der heutigen Zeit wohl aus…
Ich habe einen Sitzplatz im hinteren Bereich, der mich schon nervt, als das Konzert noch gar nicht begonnen hat. Die Stühle sind geradezu bandscheibenfeindlich und von der Bühne sieht man nur das obere Drittel. Musiker, Instrumente oder Mikros kann man höchstens erahnen. Als das Konzert mit einem Intro aus diversen Pink-Floyd-Stücken losgeht und David Gilmour mit seiner Band auf die Bühne kommt, sehe ich nur etwas, wenn ich aufstehe oder mich extrem strecke. Das wird mir kurzerhand zu dumm und ich stelle mich schräg von der Bühne entfernt auf. Etliche Konzertbesucher sind schon vorgelaufen, zum Glück machen die Sicherheitskräfte hier keinen Ärger.
Der mittlerweile 70-jährige David Gilmour wird vom Publikum frenetisch begrüßt und steigt mit stoischer Ruhe in die ersten Stücke seines neuen Sololbums ein. Hier gefällt mir besonders der Titelsong am besten, da er mit ordentlich Tempo daherkommt. Der Sound ist glasklar und von sehr hoher Qualität. Hier überlässt Gilmour nichts dem Zufall und bietet dem Publikum nur das Beste. Man merkt ihm an, dass er mittlerweile nicht mehr der Jüngste ist. Der Gesang ist immer noch voluminös und rau, zeigt jedoch vor allem bei dem viel zu früh gespielten „What Do You Want From Me“ etliche Schwächen. Ansagen macht Gilmour kaum, er lässt eher die Musik für sich sprechen. Was er auf der Gitarre leistet, ist natürlich phänomenal. Hier merkt man ihm sein Alter zu keiner Sekunde an. Er bearbeitet seine Instrumente gefühlvoll und präzise wie man es von ihm gewohnt ist und verzaubert mit seinem unverkennbaren Gitarrensound reihenweise das Publikum. Dabei scheint er völlig in seiner eigenen Welt versunken zu sein und die Fans mehr am Rande wahrzunehmen.
„The Great Gig In The Sky“ ist für mich das erste Highlight des Abends. Seine Backgroundsängerinnen leisten hier Großartiges. Er selbst spielt im Sitzen seine bekannte Lap-Steel-Gitarre und produziert so die typischen Gitarrenparts dieses Weltklasse-Songs. „Wish You Were Here“ kann für mich heute irgendwie nicht die gewünschte Atmosphäre erzeugen. Gilmour singt wie immer bei den Gitarrenparts mit, wobei er nicht immer die Töne trifft. Das Publikum ist darüber hinaus sehr lahm, das vorangegangene „The Boat Lies Waiting“ hat einen Großteil der Fans in den Schlafwagenmodus versetzt. Das hervorragende „Money“, mit tollen Videoeinblendungen, sowie ein überragendes „High Hopes“ bringen das erste Set in die Zielgerade, bevor es eine etwa 20-minütige Pause gibt.
In der Pause unterhalte ich mich mit ein paar Fans, die auch der Meinung sind, dass das Konzert etwas hüftsteif daherkommt und die Songauswahl etwas unglücklich ist. Nach der Pause geht es für meinen Geschmack mit dem lauten, schweren „One Of These Days“ wesentlich lebendiger weiter. Band und Publikum geben hier schon ein bisschen mehr Tempo, was dem Konzert sichtlich gut tut. „Shine On You Crazy Diamond“ ist für mich zweifellos der beste Song des ganzen Abends. Er wird mit tollen Videosequenzen untermalt, die auf den legendären Pink-Floyd-Gründer Syd Barret hinweisen.
David Gilmours Begleitband besteht aus hervorragenden Musikern, die mir jedoch namentlich nicht alle bekannt sind. Lediglich der fabelhafte Bassist Guy Pratt und der überragende Keyboarder Chuck Leavell sind mir geläufig. Guy Pratt war schon bei Pink Floyds Division Bell-Tour mit an Bord, Chuck Leavell ist meistens bei den Touren der Rolling Stones dabei und auch als Solo-Künstler sehr bekannt.
Gerade als das Konzert beginnt Fahrt aufzunehmen, wird es mit dem sehr langsamen „On an Island“ wieder rüde ausgebremst. Das jazzige „The Girl In A Yellow Dress“ versetzt das Publikum in eine schwummrige Bar, in der eine Frau mit gelbem Kleid tanzt und die Männer ihr dabei nachschauen… Im Rahmen dieses Konzerts fällt der Song schon sehr ab und bezeichnet für mich den Tiefpunkt des Auftritts. Musikalisch ist das Stück sicher nicht schlecht, passt jedoch für meine Begriffe nicht in die Setlist. Das schmissige „Sorrow“ und das anschließende „Run Like Hell“ versetzen das Publikum in Verzückung, beenden jedoch schon den regulären Teil. Bei „Run Like Hell“ übernimmt Guy Pratt die Parts, die normalerweise von Roger Waters gesungen werden und macht hier eine ausgezeichnete Figur.
Der Zugabenblock hat es in sich. In „Time“ zeigt Gilmour sein ganzes Können, gesanglich wie spielerisch. Das Solo ist vom Feinsten und man sieht ihm hier auch an, dass ihm das Livespielen Spaß macht. Auch hier laufen im Hintergrund Videoeinspielungen, die den Song hervorragend optisch unterstützen. Die Band jammt zwischendurch ein bisschen, auch Gilmour lässt sich hier zu einigen Improvisationen hinreißen. Das letzte Stück dürfte Gilmours Paradesück sein. „Comfortably Numb“ ist in meinen Augen sein Signatur-Solo und einer der besten Songs, den Gilmour je geschrieben hat. Es wird viel Nebel aufgefahren, eine phantastische Lasershow setzt die Bühne in eine geradezu mystische Atmosphäre. Danach gibt es Standing-Ovations des Wiesbadener Publikums, das vor allem in der zweiten Hälfte sehr viel mehr Reaktionen gezeigt hat als im ersten Durchgang. Gilmour bedankt sich beim Publikum und verabschiedet sich kurz und knapp, um gleich darauf in gemütlich schlurfendem Gang die Bühne zu verlassen.
Ich bin hin und hergerissen. Auf der einen Seite habe ich mich wahnsinnig gefreut, den legendären Musiker einmal live zu sehen. Einige der gespielten Songs fand ich großartig, etliche seiner Solostücke fand ich nicht so gut, teilweise verzichtbar. Ich finde, dass er sich was die Setlist betrifft, etwas mehr Mühe geben hätte können. Mir hätte es wesentlich besser gefallen, wenn er z. B. die Songs von Dark Side Of The Moon zusammenhängend gespielt hätte. Jeder der die Stücke auf der LP kennt weiß, welche Dramatik „Breathe“, „Time“ und „The Great Gig In The Sky“ in der Originalreihenfolge entfachen können. Die Stücke gehören einfach zusammen. Ansonsten war es ein musikalisch äußerst gelungenes Konzert eines 70 Jahre alten Gitarristen, der nichts von seiner Spielkunst eingebüßt hat und mich mit jeder Note in seinen Bann gezogen hat.
Ein großer Kritikpunkt ist die Bühne. Wenn man für die günstigsten Karten 85 Euro bezahlt, sollte man auch auf den Sitzplätzen etwas von der Bühne sehen und nicht nur die Videoleinwand! Überhaupt sollte mal prinzipiell überdenken ob es Sinn macht, ein solches Konzert mit Sitzplätzen auszustatten. Das Bowling Green an sich ist für ein Open-Air-Konzert super geeignet. Eine Ohrfeige haben sich etliche Ordner verdient. Wer die Idee hatte, bei dem ruhigen „Wish You Were Here“ mit ohrenbetäubendem Lärm die Absperrungen im hinteren Bereich abzubauen, gehört im Nachhinein mit Lohnkürzung bestraft. Nur unter massiven Beschwerden etlicher Fans („Ihr macht das ganze Konzert kaputt!“) wurde das unterlassen. Eigentlich unfassbar!
Setlist:
5 A.M.
Rattle That Lock
Faces of Stone
What Do You Want From Me
The Blue
The Great Gig in the Sky
A Boat Lies Waiting
Wish You Were Here
Money
In Any Tongue
High Hopes
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One of These Days
Shine On You Crazy Diamond (Parts I-V)
Fat Old Sun
Coming Back to Life
On an Island
The Girl in the Yellow Dress
Today
Sorrow
Run Like Hell
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Time
Breathe (Reprise)
Comfortably Numb
Stefan Graßl
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