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Titel: Volksmusik der ganzen Welt
Verlag: Reclam
ISBN: 978-3-15-011069-0
Preis: € 14,95
158 Seiten
Musik zu kategorisieren ist schwer!
Die MAS-Redaktion scheint recht harmoniesüchtig zu sein. Harte Konflikte hat es in den 16 Jahren des Bestehens der MAS kaum gegeben. Die wohl kontroverseste Diskussion, die wir je (per email) auf dem virtuellen Redaktionsflur geführt haben, beschäftigte sich mit der Genre-Liste, mit der wir unsere Reviews sortieren. Muss es so viele Genres geben? oder reichen auch weniger. Das wurde lange diskutiert, weil man bei jedem Vorschlag immer wieder Alben hatte, die in keine Kategorie passten.
Was zum Beispiel ist Volksmusik? Da gibt es bei uns nun die Kategorie „Schlager und Volksmusik“. Da hat man ein Bild vor Ohren, bei dem Florian Silbereisen und Lederhosen wichtige Rollen spielen. Aber es gibt dann auch „World Music, Ethno, Ambient“. Das ergibt ein ganz anderes Bild. Peter Gabriel und der von Slobin häufig erwähnte Paul Simon und sein Album Graceland gehören dazu, genau wie Youssou N’Dour und Mory Kanté. Als Dritten im Bunde gibt es noch „Country & Folk“. Und bereits die Beschränkung auf diese drei Bereiche machen Probleme, wenn man plötzlich skandinavische Volksmusik, Jethro Tull oder die Pogues einsortieren will. Und gehört nicht etliches aus den Bereichen Soul, Blues oder Gospel auch in den Bereich einer Volksmusik? Kann man die Scherben dort einsortieren? Oder überhaupt Musiken, in denen sich das „Volk“ zu Wort meldet?`
Wenn uns Volksmusik der ganzen Welt eins lehrt, dann das, dass diese Fragen mehr als berechtigt sind. Slobin scheitert nicht an der Frage, was Volksmusik ist. Er macht deutlich, dass sie nicht zu beantworten ist. Oft ist es sehr subjektiv, was als Volksmusik betrachtet wird und was nicht. Auch mir fällt oft schwer zu begründen, warum ich ein Album auch bei Folk einsortieren würde.
Das macht eine Darstellung schwer. Es kommt ein zweites hinzu. Volksmusiken entstehen dort, wo das Volk ist. Und da Slobin den globalen Ansatz wählt, kann er sich nicht auf eine Entwicklungslinie beziehen. Da wir damit Phänomene zu beschreiben haben, die unabhängig voneinander, spontan, unorganisiert entstehen und dennoch oft miteinander verbunden sind, kann es hier auch keine chronologische Darstellung geben. Wie bei der Definition verzichtet Slobin daher auch darauf. Das führt zu einem Buch, das oft sprunghaft wirkt, assoziativ von einem Volk zum anderen springt, ein Beispiel hier, ein nächstes dort abgreift und so versucht Allgemeines am Einzelnen zu beschreiben.
Am Ende liefert Volksmusik der ganzen Welt eine Fülle interessanter Details und Hinweise auf die Wechselwirkung von Folklore und Tourismus zum Beispiel, auf die Frage, wie sich der Charakter einer identitätsstiftenden Volksmusik mit den Mechanismen ihrer Vermarktung verträgt, was mit Volksmusik passiert, wenn die Menschen mehrheitlich in Städten leben, und und und
Wer fertige oder gar einfache Antworten liebt, ist bei Mark Slobin falsch. Wer über das Verhältnis des Lebens zur Musik - und umgekehrt - nachdenken will, bekommt hier reichlich Futter.
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