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Am Ende ging es ganz schnell. 24.12.: 70. Geburtstag - 26.12.: die Krebsdiagnose - 28.12.: Lemmy stirbt.
Kaum ein anderer Musiker hat es zu einem derart Ikonenhaften Status gebracht wie der knarzig singende Bassist mit der Warze als Markenzeichen. 1980 hat er mit „Ace of Spades“ einen die Grenzen der harten Musikszene sprengenden All Time Hit gelandet. Spätestens seitdem dürfte es kaum jemanden, der sich mehr als nur sehr oberflächlich für Musik interessiert, gegeben haben, dem nicht zumindest sein Name ein Begriff gewesen ist. Eine Rocksammlung, die kein Album von Motörhead verzeichnen kann, verdient diesen Namen nicht.
Wenn man den Beginn der Pop-Musik mit dem Rock’n’Roll in den USA und dem Beat in Großbritannien datiert, also mit Chuck Berry, Elvis Presley und den Beatles, dann hat Lemmy die Pop-Musik von Anfang an mitbegleitet und ist damit fast so etwas wie ein Synonym für die echte Nachkriegszeit. Gezeugt in den letzten Tagen des 2. Weltkriegs, geboren am ersten Weihnachtsfest nach Kriegsende hat er die gut zehn Jahre des Verdrängens, Wundenleckens und des Aufräumens als Kind miterlebt.
Dann blies ein neuer Wind den Muff hinweg. Eine neue Generation fragte die Eltern, was das denn gewesen sei, was da passiert ist. Und sie sagte ganz klar, dass sie das nicht wiederholen wolle. Das prägte politisch die Wiederbewaffnungsdebatte in Deutschland, die Proteste gegen den Korea- und vor allem Vietnamkrieg, der in der Studentenbewegung und den vielen politisch-sozialen Bewegungen der 70er und 80er Jahre mündete (Friedens-, Lebensstil-, Frauen-, Anti-Atomkraft-, Ökobewegung, …)
Lemmy mit seinem typisch über dem Scheitel aufgehängten Mikrofon |
Aber dieser politische Protest war nur die eine Seite, die dauerhaft vor allem von intellektuellen Eliten getragen wurde und nur punktuell im Umfeld besonderer Ereignisse die breite Öffentlichkeit ergriff. Viel grundlegender war der kulturelle Protest, der eine ganze Generation ergriff und prägte. (Vielleicht weil er sich auch besser verkaufen lies.)
Und da war Lemmy mittendrin. In den 60ern spielte er in einigen Rock’n’Roll und Beat Bands, von denen die Rocking Vicars wohl die noch bekannteste war. Dann schlug er einen Weg ein, der einem im Rückblick als Umweg erscheinen mag. Denn der harte Metal, den Motörhead ab 1975 über 40 Jahre lang nur relativ leicht variieren würden, kann gut als direkte Fortsetzung dieser frühen Rock’n’Roll Jahre gesehen werden – und wurde auch von Lemmy selbst wohl so gesehen. Er lehnte es immer wieder ab, seine Musik als Heavy Metal zu bezeichnen. Für ihn war es schlicht und ergreifend Rock’n’Roll.
Da war die Band Hawkwind, der er von 1971 bis 1975 angehörte, eine ganz andere Nummer. Psychedelisch, spacig, unberechenbar gehörten sie zu der ausgefreakten LSD-Szene des Swinging London der Spät-60er und Früh-70er Jahre und damit mehr ins Umfeld von Pink Floyd und Co.
Marshall Lemmy |
Wie sich Lemmy in seiner Hawkwind-Zeit gekleidet hat, ist mir nicht bekannt. Sein klassisches Motörhead-Outfit, hätte in diese bunte Szene aber wohl kaum hineingepasst. Der bekennende Nazi-Devotionalien Sammler zeigte sich grundsätzlich mit schwarzem Hemd, schwarzer Hose, schwarzen Cowboystiefeln, einem dazu passenden schwarzen Hut und zumindest einem Eisernen Kreuz.
Das hat viele irritiert. Und das war wohl beabsichtigt. Rock’n’Roll ist Provokation. Und Lemmy wollte provozieren – mit harter Musik, unangepasstem Verhalten und einem konsequent unvernünftig ungesundem Lebensstil. Ob ihm das zuletzt zum Verhängnis geworden ist, darüber wird wohl nun ein Streit beginnen, der kaum zu lösen ist.
Man kann das alles kindisch, unerwachsen oder verantwortungslos nennen. Lemmy hat es zu einem überlebensgroßen Symbol des Rock’n’Roll gemacht, dessen Bodenständigkeit er bis zum Ende treu geblieben ist. Niemand kann ihm vorwerfen, dass er zum abgehobenen Star geworden ist. Er hat sich keine Märchenwelt wie Never- oder Graceland aufgebaut, sondern ist bis zum Ende seines Lebens der einsame Wolf gewesen, und auch der Normalo hatte gute Chancen ihm als Stammgast des Rainbow in L.A. an der Bar zu begegnen.
Ich bin froh, dass ich ihn am 5. Dezember 2012 noch einmal im Berliner Velodrom live erleben durfte - auch wenn das Konzert einen unterirdischen Sound hatte. Alle Bilder in diesem Nachruf stammen von diesem Konzert.
Rest in Peace, Lemmy!
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