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Paul Di’Anno muss man dem einigermaßen gut informierten Metal-Fan nicht mehr groß vorstellen. Er hat mit Iron Maiden die beiden Alben Iron Maiden und Killers veröffentlicht und die Karriere der eisernen Jungfrauen gewaltig angeschoben. Mittlerweile schlägt er sich als Paul Di’Anno And the Phantomz musikalisch durch und spielt hin und wieder Konzerte, die jedoch nicht groß beworben werden. Bei diesem Konzert haben ein paar lokale Zeitungen für Furore gesorgt, indem sie mit dem „Sänger von Iron Maiden“ geworben haben. Nur hatte Bruce Dickinson leider keine Zeit…
Das Rössle in Neresheim ist eine urige Biker-Kneipe, die im ersten Stock einen Konzertsaal beherbergt, der vielleicht 300 Zuschauer fasst. Nicht ganz so viele sind an dem Abend vor Ort, aber ich denke dass 150 Fans den Weg in die schwäbische Kleinstadt angetreten sind. Der Veranstalter lässt sich hier nicht lumpen und bietet eine riesige Theke, bei der es eine große Auswahl von Getränken gibt. Und das tolle: Hier wartet keiner länger als ein paar Minuten auf sein Getränk!
Als Vorband fungiert die lokale Band FRAGMENTATION die mit ihrem modernen Metal beim Publikum sehr gut ankommen. Mein Geschmack ist es eher nicht, aber was die Jungs musikalisch abliefern, hat Klasse und ist handwerklich sehr gut gemacht. Soundtechnisch ist auch alles im grünen Bereich. Hier muss man dem Mischer großes Lob aussprechen, da ich denke dass der Raum an sich nicht leicht zu beschallen ist. Die Band bezeichnet ihren Stil als „Melodic Death Metal“. Wer die Jungs antesten möchte oder weitere Infos haben will, kann dies gerne unter www.fragmentation-band.de tun. Es war mit Odium noch eine weitere Vorband angekündigt, die aber im Vorfeld abgesagt haben.
Ich unterhalte mich während des Auftritts mit dem Bassisten von Paul Di’Anno. Er teilt mir mit, dass es heute Abend ein reines Klassiker-Set geben wird. Wenn sie als Architects of Chaoz auftreten, spielen sie meistens komplett ihr Debütalbum mit dem Titel The League of Shadows, das vom Metal-Hammer zum besten Debüt-Album 2015 auserkoren wurde! Was soll da also noch schiefgehen? Ich hole mir was zu trinken und stolpere fast über einen ziemlich untersetzten, kahlköpfigen Mann, der im Rollstuhl sitzt, von einigen Leuten geschoben wird und sich vehement mit seinen Krücken Platz verschafft. „Komischer Kauz“ denke ich mir noch - bis mir klar wird: Der Kauz ist der Typ, wegen dem ich da bin. Es ist PAUL DI’ANNO! Ich bin total geschockt! Beim vergangenen Auftritt im Jahr 2012 war er zwar auch ein bisschen angeschlagen, aber vergleichsweise topfit im Gegensatz zu heute Abend. Er läuft mit Krücken aus dem Backstage-Bereich auf die Bühne und nimmt auf einem Kneipenstuhl Platz.
Das Intro „The Ides Of March“ ertönt vom Band und seine Begleitband, die komplett aus deutschen Musikern besteht, kommt auf die Bühne. Links und rechts von ihm stehen jeweils eine Flasche Schnaps und eine Flasche Bier, von denen er während des kompletten Gigs immer abwechselnd große Schlucke davon nimmt. „Sanctuary“ bildet den Auftakt eines denkwürdigen 90-minütigen Sets. Pauls Stimme hört man zu Beginn des Sets nur schlecht, die Mischer tun jedoch auch hier wieder ihr Bestes. Allerdings kann hier der beste Mischer der Welt nichts mehr retten. Paul singt so grottig, dass es schon fast beschämend ist. Er trifft keinen einzigen Ton, lallt den Text teilweise ins Mikro und spricht dabei nicht einmal die Wörter aus. Manchmal singt er Silben wie „Blablabla“ oder „Nananana“. Kurz: er weiß einfach auch den Text nicht mehr. Ich bin fassungslos und maßlos enttäuscht. Es geht jedoch nicht nur mir so. Einige der Zuschauer gehen nach kurzer Zeit, etwa zwei Drittel der ursprünglichen Besuchermenge bleibt im Raum. Hier zeigt sich wieder einmal die Nibelungentreue der Metal-Fans, die ihren Helden immer wieder verzeihen und vieles erdulden.
Aber das hier geht zu weit. Er hat noch Glück, dass seine Band musikalisch hammermäßig gut ist. Das Quartett spielt sich in einen musikalischen Rausch, der vom Allerfeinsten ist. Die Songs werden alle etwas schneller präsentiert als in der Studio-Version und bekommen schon allein dadurch eine ganz eigene Dynamik. Damit kein falscher Eindruck entsteht, muss man sagen, dass Paul auch hin und wieder richtig gut singt. Aber das sind reine Ausnahmen, der Großteil des Gesangs ist einfach nur richtig mies. Wäre es nicht Paul Di’Anno und wäre er nicht so schwer angeschlagen: man würde ihn vermutlich von der Bühne prügeln. Jeder Sänger der so vogelwild singt, hat dies auch verdient. Es ist einfach nur schade, denn die Songs aus der Frühphase von Iron Maiden waren, sind und bleiben Perlen, die bei einem Paul Di’Anno in guter Verfassung zu strahlen beginnen. Heute jedoch springt der Funke keinesfalls über. Das erkennt man dadurch, dass ein Großteil der Anwesenden sich nach ein paar Songs einfach unterhält. Wie bei einer Plattenparty, die für die meisten Besucher im Hintergrund abläuft beginnt man ein Schwätzchen. Etwas Schlimmeres kann einem Künstler eigentlich gar nicht passieren! Ich halte es nicht mehr aus und verziehe mich ins Freie, wo ich mich unter ein paar Fans mische, die ebenfalls schwer enttäuscht sind.
Paul bringt dazwischen immer etwas seltsame Ansagen, die meistens nur ziemlich doofes Geplapper sind. Er erzählt, dass er große körperliche Schmerzen hat und dass ihm der Gig sehr viel Kraft gibt. Wenn ihm seine Fans angeblich so wichtig sind, sollte er sich überlegen, ob man so vor seinen Fans auftritt. Die Leute hier haben bezahlt! Er prostet den Anwesenden zu, allerdings kommt nicht besonders viel zurück. Kurz vor Schluss brüllt er ins Publikum, ob jemand Bock auf Punk hat. Dies wird nicht bejaht, trotzdem kommt der Ramones-Klassiker „Blitzkrieg Bop“. Man lässt auch das über sich ergehen, bevor der Hit „Running Free“ das überaus duldsame Publikum noch einmal zum Mitsingen auffordert. Die Fans im Rössle geben hier Vollgas und sorgen so für einen einigermaßen versöhnlichen Abschluss eines musikalisch hervorragenden, aber gesanglich höchst minderwertigen Auftritts.
Kurz vor Schluss winkt Paul vehement in Richtung rechte Bühnenseite. Ein Roadie bringt ihm seine Krücken und er humpelt in Richtung Backstage-Bereich. Er bekommt nicht mehr als Anstandsapplaus der geduldigen Fans. Aber ganz ehrlich: Mehr hat er auch nicht verdient! Ich unterhalte mich im Vorraum noch mit einigen Fans und die Meinung der meisten ist: So kann man sich live nicht präsentieren. Paul Di’Anno sollte sich ernsthaft überlegen, ob er so noch auftreten sollte. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand, der ihn an dem heutigen Abend gesehen hat, jemals wieder zu einem seiner Auftritte kommt. Das ganze war kein Live-Auftritt, sondern die systematische Demontage eines von mir bis dahin hoch verehrten Sängers einer meiner absoluten Lieblings-Bands! Außerdem war es ein Schlag in die Fresse des Veranstalters, der hier wirklich alles toll vorbereitet hat und sicher auch mit etwas anderem gerechnet hat.
Fazit: Wenn Paul Di’Anno zum Tanz einlädt: Einladung dringend ausschlagen! Macht Euch einen ruhigen Abend mit einer Iron-Maiden-Live-DVD, einem eurer Lieblingsalben oder dem neuen Album. Oder bohrt 90 Minuten lang in der Nase. Ich kann euch garantieren: Egal was ihr macht - ihr verpasst überhaupt nix!
Setlist:
Intro
Sanctuary
Prowler
Charlotte the Harlot
Remember Tomorrow
Transylvania
Wrathchild
Purgatory
The Beast Arises
A Song for You
Faith Healer
Children of Madness
Killers
Phantom of the Opera
Blitzkrieg Bop
Running Free
Stefan Graßl
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