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Boum! OFFENBACHS "Großherzogin" schlägt in Bremen ein
„Es gilt wahrzunehmen, dass Jacques Offenbach neben Verdi und Wagner der dritte große Exponent des europäischen Musiktheaters im 19. Jahrhundert ist.“ Behauptet zumindest der Musikwissenschaftler Egon Voss. Die MAS-Klassik-Redaktion machte beim Abschlusskonzert des diesjährigen Bremer Musikfestes die Nagelprobe. Auf dem Programm stand nämlich La Grand-Duchesse de Gérolstein, die Offenbach 1867 pünktlich zur Weltausstellung in Paris auf die Bühnenbretter gebracht hatte. Ein antimilitaristischer Irrwitz, der sich gegen Nationalismus, despotische Kleinstaaterei und die Dummheit und Dekadenz der Mächtigen richtet - und sich darin geradezu prophetisch ausnimmt. Das pompös-verlotterte System „Napoleon III.“ mochte zwar imperialen Glanz verbreiten, nach innen geriet es in zunehmend in eine politische und soziale Schieflage, die sich auch im außenpolitischen Kräftemessen mit Bismarcks Preußen nicht kompensieren ließ.
Nach dem revolutions- und kriegsbedingten Untergang des Seconde Empire 1871 war nichts mehr, wie es einmal war. Der scharfe Spott, mit dem der Meister der opera bouffon nicht nur in seiner Grand Duchesse den Zeitgenossen auf unterhaltsamste Weise den Spiegel vorgehalten hatte, qualifizierte ihn nun in den Augen jener, die ihn zuvor begeistert beklatscht hatten, zum vaterlandslosen grand corrupteur der Nation! Die Musik war schuld an der Misere! Die Moral von Volk und Vaterland hatte dieser Kölner untergraben! Also Schluss mit Lustig! Offenbach musste Frankreich für einige Zeit verlassen.
Gerade im halbszenischen Bremer „Konzert-Konzentrat“ erwies sich die Grand Duchesse als eine Operette mit Sprengkraft in jeder Hinsicht.
Wie Offenbach hier mit viel hohlem Tschingerassa-Bumm eine dekadent-durchtriebene Fürstinnen-Clique vorführt, die sich heute als Besetzung nicht für die Diktatur einer Bananenrepublik empfehlen würde, ist nicht nur für die Verhältnisse im champagnerseligen Reich Napoleon III. entlarvend, sondern eigentlich zeitlos aktuell. Politischer Witz und hemmungslose Albernheit vermischen sich dabei auf unnachahmliche Weise: Da ist die in die Jahre gekommene, soldatentolle Fürstin Julia (stimmlich brillant, aber etwas zu jugendlich: Aurélia Legay), für die zur Ablenkung vom langweiligen Hofleben schon mal schnell ein Krieg mit dem Nachbarstaat vom Zaun gebrochen wird. Ihre zackigen Männer fürs Grobe, die Generäle Boum und Puck (schön cholerisch: Francois Le Roux, Franck Leguriel), agieren am liebsten mit dem Finger am Abzug, stets bereit, eine neue Waffe auszuprobieren. Während sie versuchen, Julia mit dem Weichei Prinz Paul (herrlich vertrottel: Eric Huchet) zu verkuppeln, hat die Fürstin ein Auge auf den feschen Soldaten Fritz (mit strahlendem Tenor: Bernard Richter) geworfen, den sie kurzerhand zum General befördert. So ein Pech, dass der aufrechte Fritz das Bauernmädchen Wanda (exzellent: Sandrine Piau) liebt. Die Abgewiesene sinnt auf blutige Rache …
Dem musikalischen wie sprachlichen Vergnügen leistet die in Bremen zugrunde gelegte vollständige Fassung des Werkes von Jean-Christophe Keck mit der Dialogeinrichtung von Agathe Mélinand erheblichen Vorschub. Sowohl das parodistische Element wie auch der atemberaubende Wirbel der Ensembles und die Vielfalt in der Instrumentierung kamen dadurch bestens zur Geltung. Offenbach erweist sich hier einmal mehr nicht nur als dionysischer Tanzmeister der belle epoque, sondern auch als Erfinder von hinreißenden Melodien und als begabter Orchestrator, der dem Libretto mit Farben, Stimmungen und Klangeffekten höchst theaterwirksames Leben eingehaucht hat.
Damit dieses Konzept aufgeht, braucht es hingebungsvolle Akteure, die das Schwere leicht, das (scheinbar) Leichte aber immer noch ernst genug zu nehmen wissen, um die Klamauk-Notbremse zu ziehen. Die Aufführung unter der Leitung von Marc Minkowski, der mit seinen Les Musiciens du Louvre inzwischen eine regelrechte Offenbach-Renaissance ausgelöst hat (La Belle Helene und Orphèe aux enfers), überzeugte denn auch durch knallige Effekte, temperamentvolles Musizieren und großen Spielwitz. Da tröteten die Klarinetten und knartzten die Kontrabässe ihre Soundeffekte punktgenau ins Getümmel. Die stimmlich durchweg hervorragenden Sänger-Darsteller/innen verwandelten Podium und Bühnengalerie im Konzerthaus Die Glocke kurzerhand in den Exerzierplatz, das Schloss und diverse Geheimgänge im fiktiven Fürstentum Gerolstein. Eine handvoll Requisiten tat das übrige, um echte Theaterspannung aufkommen zu lassen, ohne von der rein musikalischen Aktion abzulenken. Und die fordert von allen Beteiligten das Äußerste - geradezu kettenreaktionsartig zünden nämlich die Couplets und Ensembles. Chor und Orchester agierten während der mehr als drei Stunden dauernden Vorführung mit nie nachlassender Energie, die das Publikum schon nach den ersten Nummern mitriss. In den Finali, in denen die Lautstärke des (relativ) kleinen Ensembles gelegentlich granatenstarke Durchschlagskraft erreichte, feuerte Minkowski sein Ensemble noch durch Luftsprünge an. Boum!
Georg Henkel & Sven Kerkhoff
Info
Künstler: Musikfest Bremen 2004: Offenbach - La Grande Duchesse de Gerolstein
Zeit: 29.09.2004
Zeit: 29.09.2004
Chor und Orchester der Musiciens du Louvre |
„Es gilt wahrzunehmen, dass Jacques Offenbach neben Verdi und Wagner der dritte große Exponent des europäischen Musiktheaters im 19. Jahrhundert ist.“ Behauptet zumindest der Musikwissenschaftler Egon Voss. Die MAS-Klassik-Redaktion machte beim Abschlusskonzert des diesjährigen Bremer Musikfestes die Nagelprobe. Auf dem Programm stand nämlich La Grand-Duchesse de Gérolstein, die Offenbach 1867 pünktlich zur Weltausstellung in Paris auf die Bühnenbretter gebracht hatte. Ein antimilitaristischer Irrwitz, der sich gegen Nationalismus, despotische Kleinstaaterei und die Dummheit und Dekadenz der Mächtigen richtet - und sich darin geradezu prophetisch ausnimmt. Das pompös-verlotterte System „Napoleon III.“ mochte zwar imperialen Glanz verbreiten, nach innen geriet es in zunehmend in eine politische und soziale Schieflage, die sich auch im außenpolitischen Kräftemessen mit Bismarcks Preußen nicht kompensieren ließ.
Nach dem revolutions- und kriegsbedingten Untergang des Seconde Empire 1871 war nichts mehr, wie es einmal war. Der scharfe Spott, mit dem der Meister der opera bouffon nicht nur in seiner Grand Duchesse den Zeitgenossen auf unterhaltsamste Weise den Spiegel vorgehalten hatte, qualifizierte ihn nun in den Augen jener, die ihn zuvor begeistert beklatscht hatten, zum vaterlandslosen grand corrupteur der Nation! Die Musik war schuld an der Misere! Die Moral von Volk und Vaterland hatte dieser Kölner untergraben! Also Schluss mit Lustig! Offenbach musste Frankreich für einige Zeit verlassen.
Gerade im halbszenischen Bremer „Konzert-Konzentrat“ erwies sich die Grand Duchesse als eine Operette mit Sprengkraft in jeder Hinsicht.
Wie Offenbach hier mit viel hohlem Tschingerassa-Bumm eine dekadent-durchtriebene Fürstinnen-Clique vorführt, die sich heute als Besetzung nicht für die Diktatur einer Bananenrepublik empfehlen würde, ist nicht nur für die Verhältnisse im champagnerseligen Reich Napoleon III. entlarvend, sondern eigentlich zeitlos aktuell. Politischer Witz und hemmungslose Albernheit vermischen sich dabei auf unnachahmliche Weise: Da ist die in die Jahre gekommene, soldatentolle Fürstin Julia (stimmlich brillant, aber etwas zu jugendlich: Aurélia Legay), für die zur Ablenkung vom langweiligen Hofleben schon mal schnell ein Krieg mit dem Nachbarstaat vom Zaun gebrochen wird. Ihre zackigen Männer fürs Grobe, die Generäle Boum und Puck (schön cholerisch: Francois Le Roux, Franck Leguriel), agieren am liebsten mit dem Finger am Abzug, stets bereit, eine neue Waffe auszuprobieren. Während sie versuchen, Julia mit dem Weichei Prinz Paul (herrlich vertrottel: Eric Huchet) zu verkuppeln, hat die Fürstin ein Auge auf den feschen Soldaten Fritz (mit strahlendem Tenor: Bernard Richter) geworfen, den sie kurzerhand zum General befördert. So ein Pech, dass der aufrechte Fritz das Bauernmädchen Wanda (exzellent: Sandrine Piau) liebt. Die Abgewiesene sinnt auf blutige Rache …
Der Maestro und der Editor der neuen Offenbachausgabe: Jean-Christophe Keck |
Dem musikalischen wie sprachlichen Vergnügen leistet die in Bremen zugrunde gelegte vollständige Fassung des Werkes von Jean-Christophe Keck mit der Dialogeinrichtung von Agathe Mélinand erheblichen Vorschub. Sowohl das parodistische Element wie auch der atemberaubende Wirbel der Ensembles und die Vielfalt in der Instrumentierung kamen dadurch bestens zur Geltung. Offenbach erweist sich hier einmal mehr nicht nur als dionysischer Tanzmeister der belle epoque, sondern auch als Erfinder von hinreißenden Melodien und als begabter Orchestrator, der dem Libretto mit Farben, Stimmungen und Klangeffekten höchst theaterwirksames Leben eingehaucht hat.
Großer Applaus für die Kuenstler |
Damit dieses Konzept aufgeht, braucht es hingebungsvolle Akteure, die das Schwere leicht, das (scheinbar) Leichte aber immer noch ernst genug zu nehmen wissen, um die Klamauk-Notbremse zu ziehen. Die Aufführung unter der Leitung von Marc Minkowski, der mit seinen Les Musiciens du Louvre inzwischen eine regelrechte Offenbach-Renaissance ausgelöst hat (La Belle Helene und Orphèe aux enfers), überzeugte denn auch durch knallige Effekte, temperamentvolles Musizieren und großen Spielwitz. Da tröteten die Klarinetten und knartzten die Kontrabässe ihre Soundeffekte punktgenau ins Getümmel. Die stimmlich durchweg hervorragenden Sänger-Darsteller/innen verwandelten Podium und Bühnengalerie im Konzerthaus Die Glocke kurzerhand in den Exerzierplatz, das Schloss und diverse Geheimgänge im fiktiven Fürstentum Gerolstein. Eine handvoll Requisiten tat das übrige, um echte Theaterspannung aufkommen zu lassen, ohne von der rein musikalischen Aktion abzulenken. Und die fordert von allen Beteiligten das Äußerste - geradezu kettenreaktionsartig zünden nämlich die Couplets und Ensembles. Chor und Orchester agierten während der mehr als drei Stunden dauernden Vorführung mit nie nachlassender Energie, die das Publikum schon nach den ersten Nummern mitriss. In den Finali, in denen die Lautstärke des (relativ) kleinen Ensembles gelegentlich granatenstarke Durchschlagskraft erreichte, feuerte Minkowski sein Ensemble noch durch Luftsprünge an. Boum!
Georg Henkel & Sven Kerkhoff
Georg Henkel
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